Rouhanis neoliberal-autoritäre Wirtschaftsdoktrin

Auch ein Blick auf Rouhanis Budgetplanungen hätte ernsthafte Zweifel erzeugen müssen, ob der Regierung an der Linderung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes gelegen ist. So basierte sein Budgetplan für das Jahr 2015/2016 auf zwei problematischen Pfeilern: Austerität und Sicherheit. Zum einen wurden mit Ausnahme des Gesundheitssektors sozialstaatliche Leistungen empfindlich reduziert, zum anderen die Verteidigungs- und Sicherheitssektoren beträchtlich stärker bezuschusst.
Mit anderen Worten: Rouhani schien mit diesem neoliberal-autoritären Mix nicht daran gelegen zu sein, das Leid der Hälfte der Bevölkerung, die an der Armutsgrenze lebt, zu lindern und autoritäre Strukturen zu schwächen. In der einzigen substanzvollen Analyse des Themas macht Hooshang Amirahmadi, Professor an der Rutgers-University mit Schwerpunkt Planung und Internationale Entwicklung, auf einen maßgeblichen Widerspruch des Neoliberalismus iranischen Zuschnitts aufmerksam: „Das Kernkonzept hinter dem Budget ist eine pervertierte Version des ‚neoliberalen‘ Modells […]. Die Befürworter der neoliberalen Wirtschaftspolitik unterstützen weitgehende ökonomische Liberalisierungen, freien Handel und Kürzungen öffentlicher Ausgaben, um in der Wirtschaft die Rolle des freien Marktes, des Einzelnen und des Privatsektors zu stärken. Jedoch setzt ökonomischer Liberalismus politischen Liberalismus voraus, der in der Islamischen Republik nicht vorhanden ist.“

Rouhani plädiert in seinem Buch „Nationale Sicherheit und Wirtschaftssystem Irans“ dafür, den Mindestlohn abzuschaffen und Einschränkungen zur Entlassung von Arbeitern aufzuheben!
Rouhani plädiert in seinem Buch „Nationale Sicherheit und Wirtschaftssystem Irans“ dafür, den Mindestlohn abzuschaffen und Einschränkungen zur Entlassung von Arbeitern aufzuheben!

In der Tat findet sich in Rouhanis Buch kein Konzept eines freien Unternehmertums, was den Verdacht stärkt, dass er lediglich alte Eliten wieder an die Pfründe lassen wollte. Amirahmadis Fazit fällt demnach auch mehr als nüchtern aus: Rouhanis Budget biete Qual, aber keine Hoffnung. Auch die weiteren Budgets von Rouhani stellen keine Umkehr von dieser irregeleiteten Richtung dar.
Wie in zahlreichen Ländern des globalen Südens zu beobachten, nicht zuletzt in Westasien und Nordafrika, stellt das Verfolgen eines neoliberalen Paradigmas ein ungeeigntes Mittel dar, um tiefgehende sozio-ökonomische Probleme zu meistern. Letztere sind im Iran sehr ähnlich wie in den Ländern, die vom „Arabischen Frühling“ erfasst wurden: hohe Jugendarbeitslosigkeit (die laut dem Statistical Center of Iran offiziell nun sogar bei 31,9% liegt); ein alarmierendes Maß an sozialer Ungerechtigkeit (obgleich von offizieller Seite keine Armutsgrenze bekanntgegeben wird, gehen Einschätzungen davon aus, dass jeder dritte Iraner sowie 50 bis 70 Prozent der Arbeiter in Armut leben); Korruption und Vetternwirtschaft, auch bei Rouhanis engsten Mitarbeitern, und vieles mehr.
Basis für den Wiederaufstieg des Rechtspopulismus
Vor diesem Hintergrund breiteten sich im Iran recht zügig Ernüchertung und Frustration bei den unteren und mittleren Schichten aus. Nicht nur, dass das Wirtschaftswachstum alles andere als inklusiv ist: Der durch Ölexporte generierte BIP-Anstieg ist kapitalintensiv, ohne Arbeitsplätze zu schaffen. So vertiefte sich die sozio-ökonomische Misere des Landes in vorhersehbarer Art und Weise.
Umso auffälliger ist das Ignorieren dieses Themas durch die meisten westlichen Iran-Analysten, die ihr Hauptaugenmerk eher auf internationale Sicherheitsfragen legen. Nur sehr wenige Wirtschaftswissenschaftler oder politische Ökonomen nehmen an politikrelevanten Debatten teil. Dies steht im Gegensatz zu den vielen Arbeiten über Irans Nachbarn, die vom „Arabischen Frühling“ betroffen waren. Mit anderen Worten: Entwicklungspolitische Problematiken in Bezug auf den Iran werden kaum wissenschaftlich untersucht.
Bleibt festzuhalten, dass der Neoliberalismus der Rouhani-Regierung mit ihrem Ausblenden der „sozialen Frage“ dieselben politischen Effekte heraufbeschworen hat wie zuvor die Khatami-Regierung, deren selbiges Manko erst den Aufstieg des Rechtspopulismus mit Ahmadinedschad ermöglichte. Dessen Hauptwahlslogan lautete ja, die Petrodollars zurück an den Esstisch der Menschen zu holen. Aber wie andere Rechtspopulisten auch hat er keine Umverteilungspolitik verfolgt. Dennoch ist seine Disqualifizierung durch den Wächterrat für die Präsidentschaftswahl im Mai eine gute Nachricht für Amtsinhaber Rouhani, der hoffen kann, nicht für sein sozio-ökonomisches Scheitern von den Wählern abgestraft zu werden.

  ALI FATHOLLAH-NEJAD*

*Dr. Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und am Belfer Center for Science and International Affairs der Harvard Kennedy School; fathollah-nejad.eu

Quellen: 

-Aziz Atamanov, Mohammad-Hadi Mostafavi, Djavad Salehi-Isfahani & Tara Vishwanath, Constructing Robust Poverty Trends in the Islamic Republic of Iran: 2008–14, Poverty and Equity Global Practice Group, World Bank (Policy Research Working Paper, Nr. 7836), September 2016; vgl. auch Djavad Salehi-Isfahani, The Economic Backdrop to Iran’s Elections, LobeLog, 24.02.2016.
-Yeganeh Torbati, Bozorgmehr Sharafedin & Babak Dehghanpisheh, After Iran’s nuclear pact, state firms win most foreign deals, Reuters, 19.01.2017.
-Hassan Rouhani, Amniat‐e Melli va Nezâm‐e Eqtesâdi‐e Irân, Tehran: Center for Strategic Research, 2010/1389, S. 35.
-Hooshang Amirahmadi, Rouhani’s Budget Offers Pain Without Hope, The National Interest (online), 14.02.2016.
-Iran Youth Unemployment Rate: 2011–2016, TradeEconomics.com, kein Datum, New York & Lissabon, Trading Economics, http://www.tradingeconomics.com/iran/youth-unemployment-rate.
Most Iranian Workers Are Far Below the Poverty Line
-Hooshang Amirahmadi, The JCPOA and the Iranian Economy, Vortrag im Rahmen der Konferenz „Iran: Rising Power in the Middle East“, Chapman University, Süd-Kalifornien, 13.10.2016.
Wieder ein Tag zum Feiern: Der 1. Mai im Iran