Wieder ein Tag zum Feiern: Der 1. Mai im Iran

Zum ersten Mal nach neun Jahren gingen am „Tag der Arbeit“ 20.000 Werktätige gemeinsam auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Der Versuch der Sicherheitskräfte, die Demonstrationszüge zu sprengen, scheiterte.

„Wir konnten heute den Tag des Arbeiters nicht so feiern, wie wir wollten, doch nächstes Jahr werden wir zahlreicher erscheinen“, sagte Alireza Mahdjub, Chef der Arbeiterorganisation „Khaneh Kargar“ (Haus der Arbeiter) auf einer Kundgebung in Teheran.
Laut der Nachrichtenagentur ILNA sollen am ersten Mai 20.000 ArbeiterInnen an mehreren Orten in der Hauptstadt Teheran für ihre Rechte demonstriert haben. Viele von ihnen seien aus den Städten Ghazvin, Karadj und Arak angereist.
Am Anfang hätten die Sicherheitskräfte versucht, die Demonstrationszüge zu sprengen, doch dann hätten sie sich zurückgezogen, sagt ein Augenzeuge im Gespräch mit Iran Journal. Es habe keinen Anlass zum Einschreiten der Polizei gegeben, die Protestzüge seien friedlich verlaufen, die Parolen harmlos gewesen: „Nicht das Regime, sondern einzelne Minister und andere Verantwortliche waren Gegenstand der Kritik“, so der Augenzeuge. Es habe auch „Provokateure“ gegeben, doch sie seien „sofort“ von den Ordnungskräften des „Khaneh Kargar“ ermahnt worden.
In den letzten neun Jahren waren Demonstrationen am Tag der Arbeit verboten. In den vergangenen Jahren fanden lediglich – wie etwa 2014 – staatlich organisierte Veranstaltungen in geschlossenen Räumlichkeiten statt.
Auch dieses Jahr deutete einiges auf ein Verbot hin: Im Vorfeld wurden mehrere Arbeiteraktivisten verhaftet und das Innenministerium ließ lange auf die Erlaubnis der beantragten Veranstaltungen warten.
Bis zum Vorabend war nicht klar, ob die „Großdemonstration“ am 1. Mai in Teheran stattfinden finden würde. Doch der Druck seitens der ArbeiteraktivistInnen habe dazu geführt, dass die Regierung die Protestmärsche in der Hauptstadt erlaubte, so Mahdjub in seiner Rede.
„Khane Kargar“, die bekannteste Arbeiterorganisation des Iran, ist staatlich. Unabhängige Arbeiterorganisationen werden vom islamischen Regime nicht geduldet, ihre Organisatoren und Vorstandsmitglieder als „Unruhestifter“ vor Gericht gestellt.
110 Jahre alte Forderungen
Dabei kämpfen iranische ArbeiterInnen seit 1905, als die erste iranische Gewerkschaft in einer kleinen Teheraner Druckerei gegründet wurde, für ihre Rechte. Gerechte Bezahlung und faire Arbeitsbedingungen sind heute wie damals das Ziel. Eine genossenschaftlich organisierte flächendeckende Bewegung für die Durchsetzung gemeinsamer Interessen gelang jedoch nur selten. Wechselnde Regierungen schlugen die Arbeiterbewegung aus unterschiedlichen Gründen nieder oder versuchten, deren Organisationen durch „Verstaatlichung“ unter ihre Kontrolle zu bringen.

Viele Demonstranten waren aus anderen Städten in die Hauptstadt angereist
Viele Demonstranten waren aus anderen Städten in die Hauptstadt angereist

Die politische Instabilität im Iran und die undemokratischen Regierungen sind dabei immer die Hauptgründe der Repressionen gegen die Arbeiterbewegung gewesen. Im 20. Jahrhundert kam die Angst vor dem Sozialismus hinzu; nach der islamischen Revolution 1979 die Angst vor unabhängigen Organisationen aller Art. Und das, obwohl die ArbeiterInnen im Zuge der Revolution das Schah-Regime gelähmt und durch Streiks insbesondere in der Ölindustrie den Sieg der Revolution begünstigt hatten.
Nur in den ersten Jahren nach der Machtübernahme von Mohammad Reza Pahlavi, dem letzten Schah des Iran, 1941, sowie kurz nach der Revolution von 1979, als das islamische Regime seine Herrschaft noch nicht ausgebaut hatte, konnten die iranischen Gewerkschaften sich frei entfalten. Einige ihrer Forderungen wurden anerkannt. Doch mit dem Beginn des Iran-Irak-Kriegs im September 1980 änderte sich die Situation drastisch: Jede kritische Stimme wurde im Keim erstickt. Damaligen Zeitungsberichten zufolge wurden zwischen 1980 und 1985 Tausende ArbeiteraktivistInnen und UnterstützerInnen verhaftet, viele wurden hingerichtet. Um die Arbeiterbewegung unter Kontrolle zu bekommen, gründete die Regierung islamische Gewerkschaften.
Mansour Osanlou, einer der bekanntesten iranischen Arbeiteraktivisten, lebt mittlerweile im Exil. Er war Führungsmitglied der unabhängigen „Arbeitergewerkschaft der Verkehrsbetriebe Teherans“ und wurde in den vergangenen Jahren mehrmals inhaftiert. „Die permanente Unterdrückung der älteren Arbeitergenerationen und Gewerkschaften hat die Verbindung zur jüngeren Generation gekappt“, sagte Osanlou in einem Interview mit der Deutschen Welle, kurz nachdem er den Iran verlassen hatte. Das verhindere den Transfer von Erfahrungen.
Viele Streikgründe
Die Forderungen der ersten Gewerkschaften im Iran waren gerechte Bezahlung und ein achtstündiger Arbeitstag. Obwohl sich die Arbeitsbedingungen im Vergleich zur damaligen Zeit spürbar verbessert haben, sind Jobsicherheit und die Anpassung der Bezahlung an die wirtschaftliche Lage des Landes nach wie vor die wichtigsten Forderungen.
Durch die internationalen Sanktionen aufgrund des iranischen Atomprogramms und die Misswirtschaft des Iran in den vergangenen Jahren hat sich die ökonomische Situation der Mehrheit der IranerInnen verschlechtert. Die Folgen haben die ArbeiterInnen besonders hart getroffen.
Im vergangenen iranischen Kalenderjahr (21.03.14 – 21.03.15) haben Hunderte Werktätige in vielen Betrieben landesweit die Arbeit niedergelegt. Die Streikenden wehrten sich gegen massenhafte Entlassungen, die wachsende Zahl von Zeitarbeitsverträgen, die Zunahme von Arbeitsunfällen, schlechte oder verspätete Bezahlung und ihre politische Unterdrückung.
Frauen- und Kinderarbeit
Arbeiterinnen in einem Teheraner Kleinbetrieb
Arbeitende Frauen werden im Iran schlechter bezahlt als Männer

Laut dem Generalsekretär des „Verbandes für islamische Arbeitsräte des Iran“, Rahmatollah Pourmoussa, leben siebzig Prozent der iranischen ArbeiterInnen unter der Armutsgrenze. Das sagte Pourmoussa im vergangenen Januar in einem Interview mit dem iranischen Nachrichtenportal Tasnim. ArbeiterInnen gäben mehr als die Hälfte ihres Gehalts für Miete und Gesundheit aus, so Pourmoussa.
Arbeitende Frauen, die meist alleinerziehende Mütter oder Zweitverdienerinnen in armen Familien sind, werden im Iran schlechter bezahlt als Männer. Grund genug für Präsident Rouhani, sich 2014 am ersten „Tag der Arbeit“ seiner Amtszeit gegen „Benachteiligung und Diskriminierung“ von Arbeiterinnen zu äußern: „Männer und Frauen sollen bei der Arbeit die gleichen Vorteile und Rechte genießen“, sagte er seinerzeit.
Laut Alireza Mahdjub, dem Chef des „Khane Kargar“, sind 15 bis 17 Prozent der iranischen ArbeiterInnen Frauen. Die Arbeitslosigkeit unter ihnen habe sich in der achtjährigen Amtszeit von Mahmoud Ahmadinedschad verdoppelt, so Mahdjub.
Das islamische Regime hat in den vergangenen Jahren im Rahmen der Fördermaßnahmen für mehr Bevölkerungswachstum Arbeitnehmerinnen mehr Rechte zugesprochen. Diese werden allerdings im Alltag kaum umgesetzt. Gerade Schwangerschaft ist ein Hauptkündigungsgrund für Frauen. Parvin Mohammadi, Mitglied der unabhängigen Arbeiterorganisation „Freier Verband der iranischen Arbeiter“, ist eine Kritikerin der Arbeitsbedingungen von Frauen. Sie sagt, das Arbeitsministerium habe praktisch keinen Einblick in kleine Betriebe. Und die Arbeiterinnen, die durch die schlechte wirtschaftliche Lage der großen Betriebe dorthin verdrängt worden seien, müssten sich dort mit noch schlechteren Löhnen und zum Teil frauenfeindlichem Verhalten ihrer Arbeitgeber abfinden.
Auch Kinder arbeiten oft in kleinen und inoffiziellen Betrieben und werden dort zum Teil zu schwerer körperlicher Arbeit gezwungen, obwohl das iranische Gesetz Kinderarbeit untersagt.
Stagnation unter Rouhani
Zwar verspricht der amtierende Präsident Rouhani wirtschaftlichen Aufschwung, der durch die Aufhebung der internationalen Sanktionen schon in den nächsten Monaten eintreten soll. Doch obwohl seit seinem Amtsantritt im Sommer 2013 die Inflation nach staatlichen Angaben von 40 auf etwa 16 Prozent gesunken ist, hat sich der Lebensstandard der ArbeiterInnen im Iran nicht erhöht. Ihre jährlichen Gehaltserhöhungen wurden durch heftige Preissteigerungen geschluckt.
  IMAN ASLANI
Auch dieser Artikel könnte Sie interessieren: Protestwelle von ArbeiterInnen im Iran