Quo vadis Iran? Außen- und innenpolitischer Rückblick 2017 und Ausblick 2018
Außenpolitisch wird der Iran sich mehreren nicht zu unterschätzenden Herausforderungen stellen müssen. So wird 2018 das Entscheidungsjahr für das Überleben des Atomdeals. Mitte Januar wird US-Präsident Donald Trump den Deal wahrscheinlich wieder einmal nicht zertifizieren, dieses Mal aber zudem die Aussetzung der Sanktionen beenden. Trotz des Willens der Europäischen Union, den Atomdeal zu retten, könnten Trumps Handlungen eine zu hohe Hürde darstellen. Somit würde nichts weniger als das schiere Überleben des Atomdeals auf dem Plan stehen.
Um diesen zu retten, wird es keinen anderen realistischen Weg geben, als ihn in eine umfassendere Iran-Politik einzubetten, die über das Atomdossier hinausgeht. Dabei müssten die USA und die EU ihre jeweiligen dämonisierenden beziehungsweise glorifizierenden Iran-Perzeptionen korrigieren und gemeinsam eine transatlantische Iran-Strategie entwickeln. Dabei fällt Europa eine besondere Verantwortung zu, da es sein wirtschaftliches und politisches Gewicht gegenüber Teheran in die Waagschale werfen muss.
In der regionalen Geopolitik wird man sehen müssen, inwieweit es Teheran gelingen wird, seinen „Overstretch“ in so vielen Konfliktherden zu managen – vom Libanon über Syrien und den Irak bis hin zum Jemen. Hierbei wird der Kampf um die vom IS befreiten Gebiete eine vordergründige Rolle spielen, vor allem in jenem Drittel Syriens, das für das Überleben eines wie auch immer gearteten syrischen Staates unabdingbar ist. Dort besteht die Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation zwischen den von Teheran und Washington unterstützten Kräften.
Außerdem könnten die bislang schlummernden Differenzen in der russisch-iranischen Zweckehe in Syrien an die Oberfläche gelangen, denn sowohl Teheran als auch Moskau fürchten, dass die jeweils andere Seite den Sieg in Syrien als den ihrigen verbuchen könnte. Somit könnten sich Teherans regionalpolitische Triumphe im Laufe des angebrochenen Jahres als Pyrrhussieg entpuppen.
Innenpolitisch werden die Herausforderungen nicht weniger massiv sein. Zum einen wird weiterhin die soziale Frage ein wichtiger Parameter für die Stabilität des Landes sein. Immerhin lebt die Hälfte der Iraner an der Armutsgrenze, Rouhanis Wirtschaftskurs hat gar Armut und soziale Ungleichheit verschärft. Zwar wurden einige Sanktionen im Zuge des Atomdeals gelockert. Aber die Einnahmen aus der teilweisen Wiederbelebung internationaler Wirtschaftsbeziehungen nach dem Atomdeal sickerten nicht bis zur Bevölkerung herunter, sondern bereicherten nahezu ausnahmslos die Eliten – und damit den autoritären Staat.
So machte sich schon früh in den unteren und auch mittleren Schichten eine Ernüchterung gegenüber den Versprechungen Rouhanis über die Vorteile des Atomdeals bemerkbar.
Zugleich hält die politische Repression unvermindert an. Die desolate Menschenrechtslage hat sich seit dem Atomdeal sogar verschlechtert. Weiterhin hat die Islamische Republik die höchste Exekutionsrate der Welt, wie der UN-Hochkommisar für Menschenrechte auf der letzten Sitzung des Menschenrechtsrats festhielt. Und weiterhin werden Menschenrechtsaktivisten als Staatsfeinde behandelt, wie ein Bericht von Amnesty International vergangenen Sommer herausstellte.
Skandalisierung der Korruption der Eliten
Auf der anderen Seite nehmen auf der Ebene der Eliten die Spannungen zu. Die Korruption griff um sich und erfasste auch die Entourage des Präsidenten, der sich eigentlich deren Bekämpfung auf seine Fahnen geschrieben hatte. Die laufenden scharfen Auseinandersetzungen zwischen dem ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und den einflussreichen Larijani-Brüdern, die einander Korruption vorwerfen, zeugen von großen Spannungen auf den höchsten Ebenen der Macht. Mehr Skandale sind also in Aussicht.
Obwohl die Kritik gegen die Rouhani-Regierung lauter wird, hat die Islamische Republik – auch Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei – von Rouhanis Politik und dem Atomdeal profitiert. Was viele vergessen: Die Atomverhandlungen mit dem Westen unter Führung von Rouhani setzten in Oman abgehaltene Geheimgespräche zwischen Teheran und Washington fort, die vom Revolutionsführer abgesegnet waren. Zudem war Rouhani jahrelang der Vertreter Khameneis im Obersten Nationalen Sicherheitsrat. Mit anderen Worten: Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Fraktionen der Elite der Islamischen Republik werden maßlos übertrieben. Viel wichtiger sind die überwiegenden Gemeinsamkeiten – mit dem übergeordneten Ziel des Überlebens des Regimes.
Protestwelle gegen Regierung und Regime
Die Frustration über die Innen- und Außenpolitik der Regierung sowie des gesamten Regimes zieht immer breitere Kreise, wie man an verschiedenen Protesten Ende 2017 beobachten konnte. Enttäuschte Rouhani-Wähler starteten eine Twitter-Kampagne mit dem Hashtag „Ich bereue“ (Pashimânam). Arbeiter– und Studentenproteste erfassten alle Ecken des Landes, um auf die mannigfaltigen sozio-ökonomischen und politischen Missstände aufmerksam zu machen. Zuletzt erfasste die größte Protestwelle seit der Grünen Bewegung 2009 das gesamte Land. Begonnen hatte diese mit Demonstrationen in der „heiligen Stadt“ Maschhad, der zweitgrößten Metropole des Landes. Ursprünglich organisiert von Hardlinern, um die Stellung der Rouhani-Regierung zu unterminieren, gerieten diese flugs außer Kontrolle und wandelten sich in Anti-Regime-Proteste, die in den folgenden Tagen alle Ecken der Islamischen Republik erfassten. #
Rufe wie „Nieder mit dem Diktator“ und „Nieder mit Rouhani“ waren landesweit zu vernehmen, die Sicherheitskräfte gingen hart gegen die Demonstranten vor. Dabei verbanden diese die außenpolitischen Abenteuer Teherans mit den massiven innenpolitischen Versäumnissen. So riefen Demonstranten in Richtung des Regimes „Verlasst Syrien und kümmert Euch ums uns“ oder „Ihr habt den Islam zum Leben erweckt und dafür die Menschen verarmen lassen“.♦
Dr. Ali Fathollah-Nejad ist Gastwissenschaftler am Brookings Doha Center; Iran-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und am Belfer Center der Harvard Kennedy School; Promotion an der School of Orient and African Studies (Universität London); fathollah-nejad.eu
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