Buhlen um die Exilanten

Gut integriert, gebildet und erfolgreich: Quantitativ sind die IranerInnen und Iranischstämmigen zwar eine kleine Einwanderergruppe in Deutschland. Doch gibt es unter ihnen prozentual mehr AkademikerInnen als bei den Einheimischen. In Deutschland wie in allen westlichen Staaten sind sie eine erfolgreiche Minderheit. Ihr Verhältnis zu den Machthabern in Teheran ist zwar ambivalent bis feindlich. Doch trotzdem wirbt die iranische Regierung verstärkt um das Fachwissen der Exilierten – und natürlich um ihr Geld.
Viertausend Milliarden? Dreitausend Milliarden? Oder vielleicht nur 1.500 Milliarden Dollar?
Seit fast vier Jahren tauchen solche astronomischen Summen in den iranischen Medien auf. Und trotzdem weiß man immer noch nicht, welche davon auch nur annähernd der Realität nahe kommt.
Man wird sich wahrscheinlich darüber auch nie klar sein können, denn die Frage ist schwierig zu beantworten – manche sagen gar, sie sei falsch. Sie lautet: Wie groß ist der Reichtum der AuslandsiranerInnen?
Gefährlich bis nützlich
Darauf kann schon allein deshalb niemand eine exakte Antwort geben, weil vorher zu klären wäre: Wer ist überhaupt Iraner oder Iranerin von jenen fünf bis sechs Millionen Menschen, die einen iranischen Namen tragen, aber außerhalb des Iran leben? Gehören dazu nur die EmigrantInnen oder auch ihre Nachkommen? Wenn ja, bis zur wievielten Generation? Wie steht es um die persönlichen Bindungen an das Herkunftsland der Vorfahren? Und: Wie ist das Verhältnis zum Staatssystem der Islamischen Republik?
Das sind komplizierte Fragen, auf die es keine befriedigenden Antworten gibt. Und eigentlich sind es auch ganz andere Themen, die die iranischen Medien umtreiben. Das Land ist nach dem Atomdeal und der Lockerung der Sanktionen auf der Suche nach Investoren und Know How aus dem Ausland. Beides kann man bei den AuslandsiranerInnen leicht finden. Doch die Exilierten sind für die Teheraner Machthaber schwer einschätzbar. Sie sind wichtig, interessant und möglicherweise sehr nützlich, doch vielleicht auch gleichgültig, feindlich oder gar gefährlich.
Nicht alle sind Feinde
Doch seit dem Amtsantritt von Präsident Hassan Rouhani vor vier Jahren schlägt die Regierung eine neue Seite auf: Sie wirbt öffentlich und intensiv um die Exilierten. Galten die AuslandsiranerInnen den Machthabern bislang vor allem als Abtrünnige, die der islamischen Ordnung entkamen, haben sie sich unter Rouhani plötzlich in „liebe Landsleute“ verwandelt. Hundert Tage war Rouhani im Amt, als er die Exilierten in einer Rede an der Universität Teheran über alles lobte: „Sie lieben ihr Land. Jedenfalls mehr als manche hierzulande“, so der Präsident. Seine Lobrede war gespickt mit Beispielen aus eigener Erfahrung. Denn Rouhani ist selbst im Besitz der Doktorwürde einer britischen Universität. Auch viele seiner Zuhörer, Universitätsdozenten und -professoren, waren selbst einmal Auslandsiraner.
Wie ein Headhunter

Grand Hotel Dariush, auf der iranischen Insel Kish - ein Vorzeigeprojekt vom in Deutschland lebenden Geschäftsmann Hossein Sabet
Grand Hotel Dariush, auf der iranischen Insel Kish – ein Vorzeigeprojekt vom in Deutschland lebenden Geschäftsmann Hossein Sabet

Bei allen seinen Auslandsreisen sammelt der iranische Präsident stets eine Gruppe Emigrierter um sich und spricht über die rosige Zukunft, die „die Heimat“ nach der Aufhebung der Sanktionen zu erwarten hätte. Oft klingt er dabei wie ein Börsenmakler: Der Iran stehe vor gigantischen Investitionen von 270 Milliarden Dollar, sagte er vor einem Jahr in New York den dort lebenden IranerInnen.
Und Reist Rouhani im eigenen Land, nimmt er gerne einen reichen Auslandsiraner mit, der aus der jeweiligen Provinz stammt. Der Heimgekehrte verkündet dann werbewirksam vor Kameras und Mikrofonen, wie viel und worin er bald in seiner Heimatstadt investieren werde. Vor fünf Wochen, als Rouhani die Provinz Ghaswin besuchte, sprach ein Regierungssprecher von 481 Millionen Dollar, die aus Ghaswin stammenden Auslandsiraner dort investieren wollten.
Und selbst um diejenigen, die den Iran aus politischen Gründen verlassen haben, wirbt der Präsident. In den ersten Tagen seiner Amtszeit gründete er ein Komitee aus Vertretern des Außen- und des Geheimdienstministeriums, das die Rückkehr jener IranerInnen erleichtern soll, die unter seinem Vorgänger Ahmadinedschad nach den Unruhen im Jahre 2009 aus Angst das Land verlassen hatten. Das Komitee richtete als erstes die Mailadresse iranianaffairs@mfa.gov.ir ein, unter der sich Geflohene informieren können, ob gegen sie etwas vorliegt.
Erfolgreich fern der „Heimat“
Rouhani ist sich bewusst, dass er von den potentiellen RückkehrerInnen keine politische Linientreue erwarten kann. Aber er weiß auch, dass seine Wiederaufbaupläne ohne ihr Wissen und ihr Geld schwer umzusetzen sind. Kein Land der Welt hat seine Eliten so massiv ins Ausland getrieben wie die Islamische Republik. Es kursiert die Zahl von fünf bis sechs Millionen IranerInnen, die über die ganze Welt zerstreut sind. Und das allein ist nicht die ganz „Katastrophe“. Mehrheitlich sind diese Emigrierten AkademikerInnen, Fachkräfte oder erfolgreiche Geschäftsleute. Die größte Gemeinde im Ausland sind mit fast 1,5 Millionen die so genannten „Iranian Americans“. Laut der letzten Volkszählung in den USA haben knapp 51 Prozent von ihnen einen Universitätsabschluss, fast doppelt so viele wie im US-Durchschnitt. Jeder Vierte hat einen Master- oder Doktorgrad – die höchste Rate unter den 67 ethnischen Gruppen in den USA.
Viele Iranian Americans haben es fachlich und ökonomisch bis an die Spitze geschafft. Etwa Hossein Eslambolchi, der Cheftechnologe des US-amerikanischen Telekommunikationskonzerns AT&T, der offenbar 1.000 Patente entwickelt hat. Oder Farzad Nazem, der einstige Chef-Technologe bei Yahoo, dessen Privatvermögen auf 300.000.000 US-Dollar geschätzt wird. Der Ebay-Gründer und mehrfache Milliardär Pierre Omidyar gehört ebenso zu ihnen wie Omid Kordestani, Mitbegründer von Google, dessen Vermögen auf 1,3 Milliarden Dollar geschätzt wird.
In der Heimat getadelt
Fortsetzung auf Seite 2