Demokratiebewegung in Iran leidet unter den Wirtschaftsanktionen

Der zweite Jahrestag der Großdemonstrationen gegen die Wahlfälschungen 2009 ist für viele Aktivisten der Grünen Bewegung enttäuschend verlaufen. Sie hatten mehr Menschen bei den Solidaritätsdemonstrationen in dieser Woche erwartet. Ob aus Angst vor massiven Repressionen oder wegen der fehlenden einheitlichen Organisation – viele sind zuhause geblieben. Akbar Gandji analysiert das Wegbleiben der Massen aus einer wirtschaftlichen Perspektive.*Im kommenden Jahr könnten die Konflikte zwischen Ahmadinedschads Anhängern und dem konservativen Lager eine günstige Chance für ihre Gegner bieten. Die politischen Querelen zwischen diesen beiden Akteuren haben aber von der wirtschaftlichen Situation abgelenkt. Einer Situation, die von Organisations- und Strukturproblemen, der Umsetzung des Subventionsabbaus und den internationalen Sanktionen gekennzeichnet ist.
Bis heute ist Ayatollah Ali Khamenei noch nie von seinen Positionen zurückgewichen, eher verfolgt er eine offensive Strategie. Beispielsweise im Bereich der Menschenrechte, wo er die gegen Iran erhobenen Anschuldigungen zurückweist und den Westen angreift und für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich macht.
Aber auch in der Atomdebatte hat er sich in den vergangenen 23 Jahren immer gegen Eingeständnisse gewehrt und angeordnet, das Projekt aktiv weiter zu entwickeln. Er befahl sogar Khatami am Ende dessen Präsidentschaft, die Einigung mit den europäischen Staaten über das Moratorium der Urananreicherung zu annullieren und die Produktion hochzufahren.
Und die Reaktion der westlichen Staaten? Sie haben über den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Sanktionen gegen Iran durchgesetzt; die USA und Europa haben unabhängig davon weitere direkte Sanktionen beschlossen. Neben Wirtschaftssanktionen wurden auch Institutionen wie die Revolutionsgarden, die Bassidjis und andere Sicherheitsorgane sowie einige ihrer Befehlshaber, wie Esmail Ahmadi Moghadam, in die Sanktionsliste aufgenommen.
Auch wenn das „aristokratische System des Rechtsgelehrten“ die Wirkung dieser Sanktionen auf die iranische Wirtschaft stets verneinte, spricht Ayatollah Khamenei heute von einer Intrige des Westens, um „unsere Wirtschaft lahmzulegen“.
Wirtschaft unter Sanktionen
Ein kurzer Blick auf die von Inflation und Stagnation geprägte Wirtschaft zeigt, wie schlecht es um sie steht.
Die Geldmenge ist heute um über 300 Prozent gestiegen. Die Weltbank hat für 2010 ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent berechnet und sagt für 2011 null Prozent Wachstum voraus. Die Inflation wächst nach dem Subventionsabbau noch schneller und wird von der iranischen Zentralbank für das vergangene Jahr 1389 (März 2010-März 2011) mit 13 Prozent angegeben.
Die Arbeitslosigkeit ist im gleichen Zeitraum auf 15 Prozent gestiegen. In den letzten sechs Jahren sind 730 Tausend Arbeitsplätze in der Landwirtschaft verloren gegangen.
Sanktionen: Mitverursacher der desolaten Wirtschaftslage.Es ist richtig, dass politisches Missmanagement ein wesentlicher Faktor der Wirtschaftslage ist, jedoch darf die Rolle der Sanktionen nicht außer Acht gelassen werden, denn auch sie sind Mitverursacher der desolaten Lage.
Die Sanktionierung der iranischen Banken führt dazu, dass Iran seine Geschäfte in bar abwickeln muss, was die Transaktionskosten in die Höhe treibt. Allein Indien schuldet Iran für importiertes Erdöl seit dem letzten Monat zwei Mrd. Dollar, nachdem die Europäisch-Iranische Handelsbank auf die Sanktionsliste kam (Iran exportiert aber weiterhin Öl nach Indien, was möglicherweise mit Tauschgeschäften abgewickelt werden wird).
Auch im Erdöl-Sektor können die dringend notwendigen Investitionen mangels Partner nicht durchgeführt werden. Die Sanktionen verbieten es ausländischen Investoren, mit Iran Geschäfte zu machen. Ohne diese Investitionen wird die Ölförderung stark zurückgehen.
Um die Lage besser zu verstehen bietet sich ein Vergleich mit Irak an, das fünf gemeinsame Ölfelder mit Iran ausschöpft. Irak hat in den letzten Jahren Milliardenverträge mit großen Erdölgesellschaften abgeschlossen und die Ölförderung soll nach einem Siebenjahresplan von zwei Mio. heute auf 11 Mio. Barrel am Tag steigen. Iran ist es seit 2006 nicht gelungen, mit einer international anerkannten Firma ins Geschäft zu kommen.
Arbeitslosigkeit, Inflation und Wertverlust der nationalen Währung können auf die Sanktionen gegen einen Teil der Industrie zurückgeführt werden.Auf der anderen Seite sind die Technologie- und Industrieexporte zurückgegangen, da die Produkte als sogenannte „Dual-Use-Güter“ klassifiziert und auf Sanktionslisten gesetzt wurden. In den vergangenen Monaten haben viele Industriewerke eben deshalb schließen und Arbeiter entlassen müssen. Demnach können Arbeitslosigkeit, Inflation und Wertverlust der nationalen Währung auf die Sanktionen gegen einen Teil der Industrie zurückgeführt werden.
In Anbetracht dieser Situation stellt sich die Frage, welche andere Politikmaßnahmen außer noch mehr Wirtschaftssanktionen den westlichen Staaten zur Verfügung stehen?
Angenommen, die westlichen Staaten haben vollen Erfolg mit den Sanktionen gegen iranische Banken. Angenommen, die Sanktionen werden auf den Erdölsektor ausgeweitet und Iran gerät in eine ähnliche Lage wie damals der Irak unter Saddam Hussein. Die Folge wären Millionen neuer Arbeitsloser, massive Zunahme der Armut, Verelendung der Mittelschicht, der Tod von Tausenden von Alten und Kindern.
Aufstand und Armut
Ist unter solchen Bedingungen ein Aufstand oder gar eine Revolution denkbar, die das Regime stürzt?
Es ist möglich, dass das „aristokratische System des Rechtsgelehrten“ aus tausend unvorhersehbaren Gründen zusammenbricht. Niemand kann aber behaupten, dass wachsende Arbeitslosigkeit, Armut und Unglück einen Aufstand bewirken könnten. In Irak haben die Wirtschaftssanktionen über zehn Jahre die Gesellschaft von innen zerstört, hatten aber keinerlei Wirkung auf das Regime Saddam Husseins. Die letzte Konsequenz war Krieg.
In einer ähnlichen Lage kann die Islamische Republik mit Repressionen gegen die Bevölkerung überleben, solange das Regime den Willen und die Macht zur systematischen Unterdrückung hat.

Unter den schlimmsten wirtschaftlichen Bedingungen ist das „Überleben“ und die „Sicherheit“ das höchste Gut.n einer ähnlichen Lage kann die Islamische Republik mit Repressionen gegen die Bevölkerung überleben, solange das Regime den Willen und die Macht zur systematischen Unterdrückung hat.

Die verarmte Masse muss ums nackte Überleben kämpfen; Demokratie ist da ein Luxusgut. Unter den schlimmsten wirtschaftlichen Bedingungen ist das „Überleben“ und die „Sicherheit“ das höchste Gut. Die verarmte Masse muss ums nackte Überleben kämpfen. Für sie bedeuten Demokratie, Freiheit und Menschenrechte Luxusgüter, ohne konkreten, greifbaren Nutzen.
Wenn man die Erfahrungen früherer Systemzusammenbrüche betrachtet, hatten Armut und Arbeitslosigkeit keine wichtige Rolle darin. Im Gegenteil, sobald eine Gesellschaft wirtschaftlichen Wohlstand erreicht und die Bevölkerung etwas besser gestellt ist, beginnt die „Revolution der Erwartungen“. Ein despotisches System kann bei hohem Wirtschaftswachstum die Erwartungen nicht mehr erfüllen, und bricht zusammen.
Diese Tatsache lässt sich auch für die iranische Revolution von 1979 feststellen. In den Jahren davor war die Wirtschaft zwischen fünf und 17 Prozent gewachsen. In den 17 Jahren davor durchschnittlich um 10,5 Prozent. Im Jahr vor der Revolution waren es 17 Prozent.
Ähnliches gilt für das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, das sich in den 18 Jahren vor der Revolution bis 1977 von 2 Mio. auf 7,2 Mio. Rial mehr als verdreifachte und den steigenden Wohlstand der Iraner anzeigte. Die bittere Wahrheit ist, dass das BIP nach 32 Jahren Revolution heute erst den Stand von 1977 wieder erreicht hat.
Die Mittelschicht ist heute erneut mehr mit der Befriedigung ihrer Primärbedürfnisse beschäftigt. Die Träger eines Übergangs zu einem „auf Freiheit und Menschenrechten basierenden demokratischen System“, die Mittelschicht, ist heute erneut mehr mit der Befriedigung ihrer Primärbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnung) beschäftigt. Deshalb ist noch mehr Sorge über die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage nicht unangebracht.
Das schlimmste Szenario für Iran wäre der Beschluss neuer und weiter lähmender Sanktionen, die eine Verbesserung der Lage nicht zulassen, aber systemische Unterdrückung der Unzufriedenheit zur Folge haben könnten.
Eine Gesellschaft, die in den letzen drei Dekaden Zeuge eines moralischen Werteverfalls und Vertrauensverlusts war, wird unter den gegebenen Umständen eine massive Abwanderung des „Humankapitals“ aus dem Land erleben.
Wirtschaftssanktionen allein werden das Regime nicht in die Knie zwingen können. Ein Misserfolg der Sanktionen würde die westliche Politik zur letzten Konsequenz drängen, denn Wirtschaftssanktionen allein werden das Regime nicht in die Knie zwingen können. Das würde die Zerstörung Irans und der iranischen Nation bedeuten, was niemand ernsthaft wollen kann.
Für das „aristokratische System des Rechtsgelehrten“ existiert keinerlei Begründung für einen Rückzug oder ein Einlenken.
Wenn es der Bevölkerung nicht gelingt, sich pluralistisch zu organisieren, wenn es nicht zu einer Massenbewegung kommt, wenn die ungerechten Gesetze nicht durch Taten (zivilen Ungehorsams) widerlegt werden, wenn es dadurch nicht zu einem Kräftegleichgewicht kommt, das die heutigen Staatsmänner zu Verhandlungen mit der Opposition zwingt, wenn in diesen Verhandlungen keine Einigkeit über das Abhalten freier Wahlen erzielt wird (Wahlen, die im Falle eines Erfolges auch eine Übertragung der Macht bedeuten würden) und keine Amnestie der Unterdrücker erfolgt (nach dem Motto: „Vergeben und nicht Vergessen“), wenn das alles nicht geschieht, wird der Übergang zu Demokratie, Freiheit und Menschenrechten nichts als eine Fata Morgana bleiben.

Mitverursacher der desolaten Lage