Atomverhandlungen: Weder Krieg noch Frieden
Am 19.Juli einigte sich die Gruppe 5+1 mit dem Iran auf eine viermonatige Fristverlängerung der Atomverhandlungen – in der Hoffnung, dass in dieser Zeit die eine oder andere Seite von den erklärten roten Linien zurückweichen wird. Hierzu bedarf es aber gravierender Veränderungen in der Sichtweise der Außen- und Sicherheitspolitik beider Seiten, was zurzeit unwahrscheinlich erscheint. Es gibt aber eine diplomatische Erfahrung bei prekären multilateralen Verhandlungen, die einen positiven Ausgang erhoffen lässt.
Die Unterzeichnung der Genfer Übereinkunft zwischen der Gruppe 5+1 (USA, Großbritannien, Frankreich, China, Russland und Deutschland) und dem Iran vor sechs Monaten war nur möglich, weil beide Seiten sich dafür entschieden, zunächst die weniger strittigen Punkte zu verhandeln und die wichtigsten Streitpunkte auf künftige Gespräche zu verschieben. Damit sollte ein Scheitern verhindert werden. Es ging damals in Genf und jetzt in Wien im Wesentlichen um drei Problembereiche:
1. Der Umfang der als unbedenklich zu bewertenden Urananreicherung und die Anzahl und technische Qualität der in Betrieb befindlichen Anlagen und Zentrifugen;
2. der Zeithorizont für die Aufhebung sämtlicher Embargos
3. und die mögliche militärische Dimension der iranischen Atomindustrie sowie die Frage der Transparenz für Kontrollen der Internationalen Atomagentur.
Vor diesem Hintergrund hatte der stellvertretende iranische Außenminister, Seyyed Abbas Araghchi, am Ende der Wiener Verhandlungen gesagt, es seien zwar mehr als 65 Prozent des Dokuments geschrieben, das Lösungen für den Konflikt skizziert, offen geblieben seien aber wichtige Schlüsselthemen.
Diese hätten in Wien geklärt werden können, wäre der iranische Außenminister Javad Zarif bei seinem im Juli in der New York Times angekündigten Verhandlungsplan geblieben. “Iran Outlines Nuclear Deal; Accepts Limit”, lautete der Titel seines Textes dort. Kurz gesagt lautete die Strategie Zarifs: Akzeptieren von Einschränkungen bei Umfang und Grad der Urananreicherung für wenige Jahre gegen langfristige Aktionsfreiheit in der Nutzung der Anreicherungstechnologie.
Hingegen wollen die USA die Anreicherungskapazitäten dauerhaft einschränken, Forschung und Entwicklung für Technologien der Urananreicherung nicht zulassen und die Aufhebung der Embargos für einen Zeitraum von zehn Jahren und mehr mit der Einhaltung sämtlicher Einschränkungen verknüpfen. Bei dieser unterschiedlichen Sichtweise war klar, dass es in Wien keine Einigung geben konnte.
Das Feind-Denken der Iraner und die widersprüchlichen Amerikaner
Der Vorsitzende des Ausschusses für nationale Sicherheit und Außenpolitik des iranischen Parlaments, Alaeddin Broujerdi, erklärte am Vorabend des letzten Verhandlungstages in Wien: „Die uns gegenüber sitzen, sind unsere Feinde. An der Feindschaft der USA gegenüber dem Iran hat sich nichts geändert.” Tatsächlich sind beide Länder nach 35 Jahren immer noch Gefangene einer blinden Feindschaft. Die Iraner vergessen weder den CIA-Putsch gegen die legitime Regierung des iranischen Premierministers Mohammad Mossaddegh am 18. August 1953, die logistische Unterstützung der USA für Saddam Husseins Irak im achtjährigen Krieg gegen den Iran, oder den Abschuss ihres Passagierflugzeuges mit 290 Insassen durch die US-Marine in diesem Krieg. Die Amerikaner können ihrerseits die 444 Tage andauernde Geiselnahme ihrer Botschaftsangehörigen in Teheran nicht vergessen. Außerdem wähnen sie den Iran als Drahtzieher des Bombenanschlags auf den Stützpunkt der amerikanischen Marineinfanterie in Beirut mit 300 toten Soldaten. Die Islamische Republik Iran wird überhaupt hinter allen Stellvertreterkriegen gegen die USA, mit immensen nationalen Sicherheitskosten, gesehen. Ayatollah Ali Khamanei greift seinerseits bei jeder seiner Reden die USA an und macht das Weiße Haus für jede Misswirtschaft in seinem Land verantwortlich. Die Iraner erwarten dennoch, dass der amerikanische Präsident beim Finden von Kompromissen einen historischen Schritt unternimmt. Das ist die wahrscheinlich nicht endenwollende Paradoxie der Atomverhandlungen.
Das Beispiel Vietnam
Eine solche Paradoxie haben aber die USA und Vietnam schon längst überwunden. Der Vietnamkrieg dauerte von 1965 bis 1975. Dabei fielen mehr als 58.000 amerikanische Soldaten, mehr als 153.000 wurden verwundet. Getötet wurden fast eine Million kämpfende Vietnamesen und vier Millionen Zivilisten. Trotz dieser Vorgeschichte vertrauen sich beide Seiten nun soweit, dass der US-Senat am 23. Juli 2014 eine Vereinbarung über zivile nukleare Zusammenarbeit zwischen den USA und Vietnam genehmigt. Die USA verkaufen Atomtechnologie an Vietnam für eine Milliarde Dollar. Erwartet werden Folgeverträge für 20 Milliarden. Dabei hat Vietnam lediglich ein unverbindliches Memorandum unterzeichnet, wonach das Land selbst keine Urananreicherung betreiben und die nötigen Kernbrennstoffe auf dem internationalen Markt kaufen werde. Vietnam hat auch Nuklearabkommen mit Kanada, China, Frankreich und Südkorea. Die USA beabsichtigen eine Vertiefung der Beziehungen zwischen Washington und Hanoi, obwohl sie Vietnam weiterhin Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Vietnam befindet sich auch unter den zwölf Nationen, die Verhandlungen über ein US-gestütztes transpazifisches Freihandelsabkommen führen.
Was bleibt – weder Krieg noch Frieden?
Am 25. Juli 2014 erklärte der Direktor der nationalen iranischen Ölgesellschaft, das einzige positive Ergebnis der Wiener Atomverhandlungen sei die Verhinderung eines 20-prozentigen Rückgangs der iranischen Ölverkäufe. Obgleich in Wien das Verbot von Rückversicherungen für iranische Öltransporte für die nächsten vier Monate aufgehoben wurde, sei immer noch keine Gesellschaft zu Rückversicherung iranischer Transporte bereit. Die viermonatige Fristverlängerung schafft nur ungewisse Bedingungen für den Ölverkauf. Kurzfristige Vereinbarungen erzeugten einen Zustand von “weder Krieg noch Frieden”. In den vergangenen sechs Monaten sei keine Versicherungsgesellschaft bereit gewesen, iranische Öltanker zu versichern. Versicherungsgesellschaften und Banken planten längerfristig und seien nicht bereit, ihre Geschäftsbedingungen kurzfristig zu ändern. Unter den gegebenen Umständen werde den Iranern nichts anderes übrig bleiben, als den verhandlungsfähigen Vorschlag von Außenminister Zarif den Amerikanern nahe zu bringen.
Das Siegesdenken der iranischen Hardliner ist absurd. Der Iran ist bestimmt nicht der Gewinner, wenn die Verhandlungen in einer Sackgasse enden. Auch die Amerikaner müssten wissen, dass es keinen Sinn macht, den Iranern eine bestimmt Anzahl von Zentrifugen zur Urananreicherung zuzugestehen, ihre Fütterung mit Uranhexafluoridgas aber zu verbieten. Es ist anzunehmen, dass Zarif auch in den nächsten vier Monaten auf dieser Grundlage verhandeln wird:
– Die Vereinbarung über die Aufhebung aller Embargos wird auf einen Zeitraum von drei bis 7 Jahren beschränkt.
– Die Anzahl der in Betrieb befindlichen Zentrifugen der ersten Generation wird auf dem jetzigen Stand von etwa Acht- bis Neuntausend konstant gehalten.
– Alles neue, seit dem Beginn der Verhandlungen angereicherte fünfprozentige Uran wird oxidiert.
– Der Iran wird keine Urananreicherung über fünf Prozent betreiben.
– Die Zentrifugen der ersten Generation werden am Ende der Zeitdauer der geschlossenen Vereinbarung nach und nach in fortgeschrittenere Generationen umgewandelt.
– Der Iran wird die Obergrenze der vereinbarten SWU (Separative Work Unit), als Trennungseinheit von Uran235, nicht überschreiten. Diese Grenze ist für den Iran 190.000 SWU.
– Der Iran ratifiziert das Zusatzprotokoll zum Atomsperrvertrag und schafft Transparenz.
Käme es zu keiner Einigung, endete auch der Status „weder Krieg noch Frieden“. Was dann käme, wäre allerdings näher zum Kriegszustand.
MEHRAN BARATI
Dr. Mehran Barati ist einer der exponierten Oppositionellen aus dem Iran. Er ist regelmäßiger unabhängiger Analyst auf BBC Persian und VOA (Voice of America) Persian und gilt als Experte für internationale Beziehungen.
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