Atomarer Wettlauf im Nahen Osten?

Alle genannten Staaten sagen aus, keine Atomwaffen entwickeln zu wollen. Trotzdem ist es eine Tatsache, dass Staaten, die einen gewissen Grad an nuklearen Fähigkeiten erreicht haben, häufig auch Waffen entwickeln. Durch zivile Nuklearprogramme wird die illegale Beschaffung von Materialien erleichtert. Solche Programme liefern die Technologie und das Wissen, um heimlich Atomwaffen bauen zu können. Geräte oder Materialien, die sowohl für zivile als auch für militärische Nuklearprogramme geeignet sind, können beschafft werden, ohne Verdacht zu erregen, da die militärischen Programme klein und schwer zu erkennen sind.
Arabische Staaten, die zivile Atomprogramme verfolgen, könnten versuchen, russische, chinesische und europäische Nuklearinteressen gegeneinander auszuspielen, um gegenüber ihrem Hauptverbündeten – den Vereinigten Staaten – ihre Macht zu vergrößern. Neben China und Nordkorea ist vor allem Russland für diese Zwecke eine gute Kontaktadresse.
Die Gefahr der Verbreitung von Atomtechnologie im Nahen Osten wird dadurch noch verstärkt, dass die Region weitgehend autokratisch regiert wird. Außerdem erhöht sich das Risiko, dass Atomtechnologien missbraucht werden, durch Regimewechsel und die immer stärkere Auflösung staatlicher Strukturen.

Strategische Allianzen

In den Nahen Osten fließen immer mehr hochentwickelte und strategisch wichtige Technologien. Dies wird durch Abkommen zwischen den Ländern der Region und anderen globalen Akteuren begünstigt, die durch politische und ökonomische Machtinteressen motiviert sind – und den Wunsch, Waffen und technische Anlagen zu verkaufen. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige Länder nach „Abkürzungen“ suchen. Sie entwickeln dann nicht nur ihre zivilen Programme, sondern versuchen auch, passende Waffensysteme zu erwerben.
Dass im Nahen Osten nukleare Möglichkeiten angestrebt werden, gibt den Ländern dort das Recht, Maßnahmen zu ergreifen und mit Staaten, die Atomtechnik besitzen, Allianzen zu schmieden – mit dem Ziel, ein militärisches Gleichgewicht in der Region zu erreichen und die eigenen Interessen zu verteidigen.
Ein nuklearer Naher Osten hätte einen erheblichen Einfluss auf die Sicherheit und die Nichtverbreitung von Atomwaffen in der arabischen Welt. Es ist durchaus denkbar, dass sich einige Länder – in absehbarer Zukunft – dafür entscheiden, gemeinsam aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten.
Und eines ist auch klar: So lange Israel hierbei nicht einbezogen wird, kann das Ziel völliger nuklearer Abrüstung im Nahen Osten nicht erreicht werden. Wenn ein einzelnes Land die Möglichkeit hat, Atomwaffen herzustellen und einzusetzen, macht es für die anderen keinen Sinn, auf ihre eigenen Nuklearkapazitäten zu verzichten. Was einem Land zugestanden wird, kann dem Rest der Region nicht verweigert werden.

  ISRAEL RAFALOVICH

Übertragen aus dem Englischen von Harald Eckhoff.

© Qantara.de 

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