Atomarer Wettlauf im Nahen Osten?

Während sich die Weltgemeinschaft mit Irans Atomprogramm beschäftigt, entwickeln einige Länder im Nahen Osten fast unauffällig ambitionierte Pläne für den Bau zahlreicher Atomkraftwerke. Ein Überblick von Israel Rafalovich.


Schon lange sind die arabischen Staaten darüber verärgert, dass die internationale Gemeinschaft nicht in der Lage ist, Israel für sein verdecktes Atomwaffenprogramm zu sanktionieren. Ein weiterer Stein des Anstoßes ist der Atomwaffensperrvertrag (NVV), der nach arabischer Sichtweise den Vorsprung der ursprünglichen fünf Atomwaffenstaaten vor allen anderen Ländern zementiert.
Nun scheint sich die Lage allerdings zu verändern: In den letzten Jahren wurde es für die Vereinigten Staaten immer schwieriger, im Nahen Osten ihre abschreckende Macht zur Geltung zu bringen. Darüber hinaus werden die arabischen Regierungen in den Augen ihrer Wähler zunehmend als schwach und inkompetent wahrgenommen – so, als wollten sie im Nahen Osten lediglich die amerikanischen Interessen durchsetzen.
Aufgrund der ungewöhnlich dynamischen Natur des aktuellen politischen Klimas erhalten die arabischen Länder für ihre Nuklearprogramme eine noch nie dagewesene regionale Unterstützung. Daher haben einige dieser Staaten damit begonnen, zivile Atomprogramme zur Energiegewinnung zu entwickeln und umzusetzen – mit dem Ziel, zukünftig auch Nuklearwaffen herstellen zu können.
 

Der Bau von von Atomkraftwerk Bushehr wurde 1974 von Siemens begonnen und 2011 von den Russen vollendet - Foto: mehrnews.com
Der Bau von von Atomkraftwerk Bushehr im Süden des Iran wurde 1974 von Siemens begonnen und 2011 von den Russen vollendet – Foto: mehrnews.com

 
Ägypten hat eine massive Forschungsinfrastruktur ins Leben gerufen, mit der die meisten Aspekte nuklearer Wissenschaft und Technologie untersucht werden können. Im Dezember 2017 unterzeichneten die Ägypter mit Russland ein verbindliches Abkommen, um in El Dabba gemeinsam das erste ägyptische Atomkraftwerk mit vier Reaktoren zu bauen. Der erste Reaktor soll 2026 in Betrieb gehen.

Algerien verfügt über eine der besten und fortschrittlichsten Atomanlagen der gesamten arabischen Welt. Sein massives Nuklearprogramm verfolgt das Land schon seit Ende der 1980er Jahre.

Saudi-Arabiens Atomprogramm steckt hingegen noch in den Kinderschuhen. Daher plant das Königreich inzwischen über einen Zeitraum von 20 Jahren den Bau von 16 Kernkraftwerken, die zusammen mehr als 80 Milliarden Dollar kosten sollen.

Die Türkei hat den Vorteil, bereits jetzt über eine gut funktionierende Kernforschungsagentur zu verfügen. Am 2. Dezember 2017 eröffnete das Land in Akkuyu offiziell die Baustelle für sein erstes Atomkraftwerk. Es soll eine Kapazität von 4,8 Gigawatt erreichen und 60 Jahre lang in Betrieb bleiben.

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate haben immer wieder Schritte in Richtung Kernkraft unternommen. In Barakah baut ein Konsortium unter der Leitung von KEPCO vier Reaktoren nach koreanischer Bauart. Die erste dieser Anlagen soll schon 2019 in Betrieb gehen.

Marokko hat im Nuklearbereich nur begrenzte wissenschaftliche und technische Erfahrung. Trotzdem plant die Regierung, bei Sidi Boulbra ihr erstes Kernkraftwerk zu bauen.

Tunesien untersucht an einem Standort im Norden oder Süden des Landes den möglichen Bau einer 600 MW starken Atomanlage. Ziel ist, das Kraftwerk 2020 in Betrieb zu nehmen.

Jordanien ist bereits heute in der Lage, ein Atomprogramm zu starten. Doch die ehrgeizigen Pläne werden dadurch behindert, dass die Kapazitäten der nuklearen Infrastruktur im Land begrenzt sind. In Amra nördlich von Amman ist der Bau eines 600-Megawatt-Atomreaktors geplant. Die Anlage soll bis 2020 fertig sein.

Das Problem der Erkennung
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