Im Jammertal der Verlierer: Khameneis verlorenes Atomspiel
Die Aussetzung der am 17. Januar beschlossenen neuen Embargos stand zweifellos im Zusammenhang mit der Verhaftung von zehn amerikanischen Marinesoldaten in iranischen Gewässern. Die Marinestreitkräfte der Revolutionsgarde hatten am 12. Januar zwei Marineboote der USA und deren Besatzung festgesetzt, weil sie bis zu zwei Kilometer weit unbefugt in die Hoheitsgewässer des Iran eingedrungen waren. Schon am 13. Januar hat jedoch die Führung der Revolutionsgarde großmütig erklärt, sie werte den Vorfall nicht als Spionage, sondern ginge von einem technischen Defekt des Navigationssystems aus. Soldaten und Boote wurden freigegeben, konnten das Land aber erst am 17.Januar verlassen. Nur einige Stunden später gab das US-Schatzamt die besagten neuen Embargos bekannt.
Inzwischen war bekannt geworden, dass die gefangenen US-Soldaten gegen in den USA inhaftierte Iraner ausgetauscht werden sollen. Interessanterweise sind die amerikanischen Soldaten inzwischen zuhause angekommen, während die iranischen Gefangenen die Rückreise in die Heimat verweigerten.
Ayatollah Khamenei macht sich Sorgen
Am ersten Handelstag der Londoner Ölbörse nach Inkrafttreten der Atomübereinkunft und dem Ende der Nuklearembargos gegen den Iran erreichte der Ölpreis am 18. Januar 2016 den tiefsten Punkt seit 2003. Die Steigerung der iranischen Ölexporte um 500.000 Fässer führte die Preise am ohnehin mit einem Überangebot gespeisten Ölmarkt weiter nach unten. Das iranische Öl war pro Fass nur für 27 Dollar und 67 Cent verkaufbar – der beste Ölpreis zur Zeit der Präsidentschaft Mahmud Ahmadinedschads hatte bei 110 US-Dollar gelegen. Dabei unterlagen die iranischen Öl- und Raffinerieprodukte zu der Zeit den europäisch-amerikanischen Embargos. Saudi-Arabien und die Arabischen Emirate profitierten nicht nur in den vergangenen fünf Jahren vom Marktausschluss des Iran. Um den Iran politisch in die Knie zu zwingen und aus Syrien und Jemen zu vertreiben, hatten die Saudis den Ölmarkt überschwemmt, um die iranischen Marktanteile zu Dumpingpreisen zu übernehmen.
Saudi-Arabien und die Emirate haben ihre Absicht offen bekundet, auch nach dem erneuten Markteintritt Irans ihre Ölproduktions- und Exportpolitik nicht zu ändern. Der Ölminister von Oman, Mohammed Bin Hamed Al Rumhy, erklärte zwei Tage nach Aufhebung der Embargos – die Marktsituation richtig einschätzend – : „Wir sind bereits Gefangene des Ölpreis-Tsunamis – und manche machen sich Sorgen über den Markteintritt Irans? Ich tue es nicht!“ Er vergaß allerdings zu erwähnen, dass die iranische Wirtschaft schon seit Jahren mit einem schweren Tsunami zu kämpfen hat.
Die verheerenden Folgen ihres selbst verschuldeten Niedergangs sind mittlerweile so offensichtlich, dass selbst der iranische „Revolutionsführer“ Ayatollah Ali Khamenei sie nicht mehr ignorieren kann. Eine Selbstschuld sieht er jedoch nicht. Was das iranische Volk zu erleiden habe, sei die Folge der “grausamen Sanktionen” des Westen, so Khameneis Ansicht. Bei seiner ersten Äußerung nach dem Inkrafttreten des Wiener Abkommens sagte der Ayatollah am 19. Januar: „Ich bringe meine Genugtuung zum Ausdruck über den Widerstand des großen iranischen Volkes gegen die ungerechten Sanktionen und über die unermüdlichen Anstrengungen der Verhandlungsführer, die schließlich die Kontrahenten, von denen einige in der Feindschaft gegen das iranische Volk einen zweifelhaften Ruf genießen, zum Rückzug und zur Aufhebung eines Teils der Sanktionen gezwungen haben.“ Alle Schriften und Aussagen, die diese Tatsache ignorierten und sich der westlichen Seite gegenüber dankbar zeigten, gingen mit der öffentlichen Meinung des Volkes unehrlich um: „Ich empfehle, in der Agitation darauf zu achten, dass wir für das Erreichte in diesem Handel einen hohen Preis bezahlt haben“, so Khamenei weiter. „Das gegen die Front der Arroganz und Drangsalierer Erreichte ist dem Widerstand und der Beständigkeit des Volkes zu verdanken.“ Dies sei „eine große Lehre“.
500 Milliarden US-Dollar Schaden
Das Finanzministerium der USA schätzt die Gesamtkosten der internationalen Sanktionen für die iranische Wirtschaft auf mehr als 500 Milliarden US-Dollar. Die Weltbank berichtete zum Zeitpunkt der Wiener Einigung vom 107 Milliarden Dollar „eingefrorenen” iranischen Vermögen im Ausland, wovon als Bargeld nur 29 Milliarden ins Land zurückfließen könnten.
Zu den volkswirtschaftlichen Verlusten muss man den auch politisch bedingten Rückgang des iranischen Erdöl- und Erdgaseinkommen rechnen. Das Erdöleinkommen ging von 120 Milliarden Dollar im Jahr 2011 auf etwa 23 Milliarden im laufenden Jahr zurück. Dieser hohe Preis wurde der iranischen Wirtschaft und Bevölkerung auferlegt, weil die politischen Entscheidungsträger des Landes die weltweiten Folgen ihrer nuklearen Fehlentscheidung unterschätzen. Denn niemand in der Welt konnte und wollte glauben, dass ein Land mit großen Energiereserven 500 Milliarden Dollar Schaden in Kauf nimmt, um ein Siebenhundertstel seines jährlichen Bedarfs an Elektrizität mit dem noch nicht ganz betriebsfähigen Atomkraftwerk in Bushehr zu decken. Nicht grundlos gingen viele Politiker und Analysten eher von der Absicht der Teheraner Machthaber aus, unter dem Deckmantel der Energiegewinnung zu einer Atommacht aufsteigen zu wollen.
Zur Zeit Ahmadinedschads hatte der Iran mit 19.000 Zentrifugen der ersten Generation nur ein Zehntel des Uraniumbedarfs der Bushehrer Atomanlage decken können, die selbst bei voller Kapazität höchstens ein Dreiundsiebzigstel des Strombedarfs des Landes produziert hätte. Ahmadinedschad und seine Unterstützer hätten 500 Milliarden Dollar Kosten durch die Embargos in Kauf genommen, um so einen geringen Teil des Energiebedarfs produzieren zu können?
Das alles ließe sich dennoch für einen Teil der Bevölkerung und des Herrschaftsapparats legitimieren, wenn das Regime tatsächlich den Besitz einer Atombombe als nationale Verteidigungswaffe zum Ziel erklärt hätte. Die Teheraner Machthaber beteuerten aber stets, dass sie keine Nuklearwaffe produzieren wollten. Wäre dem so, bliebe immer noch die Frage, weshalb sie zwölf Jahre lang keinen Ausweg aus der Sackgasse gefunden haben, sich dem Westen gegenüber als ideologisch-politisch-militärische Gegenmacht zu präsentieren. Unter diesem Aspekt spricht alles dafür, dass die iranische Führung zur Zeit Ahmadinedschads die Gefahr eines umfassenden Embargos für nicht real genug hielt, um sich auf die Lösungsangebote des Westens einzulassen.
Das Angebot Georg Bushs
Aus demselben Grund beantworteten sie sogar das sehr ernsthafte Paketangebot des Westens aus dem Jahr 2008 mit ausweichenden und sachfremden Gegenpaketen: Zunächst sollte die Struktur der Vereinten Nationen und des Weltsicherheitsrates reformiert oder die Struktur der Internationalen Atomenergiebehörde verändert werden. Außerdem sollte das Recht auf die Nutzung des Weltraums generalisiert werden. Das alles deutete darauf hin, dass Khamenei und Ahmadinedschad kein Interesse an einer für den Westen annehmbaren Lösung hatten. Obgleich Georg Bush den Iran auf die „Achse des Bösen“ gesetzt hatte, suchte er im Hintergrund zur Lösung seines Irakproblems nach einer wirksamen Zusammenarbeit mit dem Iran.
Drei Jahre nach der militärischen Besetzung des Iraks im April 2003 durch amerikanische Truppen befand sich die US-Politik in einer Sackgasse. Die Anzahl der gefallenen amerikanischen Soldaten erreichte dramatische Dimensionen. Für den wesentlichen Teil ihrer militärischen und sicherheitspolitischen Rückschläge im Irak machte die Bush-Regierung die Führung in Teheran verantwortlich. Dabei wurde sogar ein Plan für eine militärische Intervention in den Iran ausgearbeitet und dessen Umsetzung in Erwägung gezogen. Die damalige US-Außenministerin Condoleeza Rice legte jedoch dem Präsidenten nahe, die Kooperation der Iraner mit einer Reihe von Konzessionen zu erkaufen. Bush akzeptierte diesen Plan. Unmittelbar danach legte Javier Solana, der damalige Hohe Vertreter der EU für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, das Angebotspaket der Amerikaner dem damaligen Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats des Iran, Ali Larijani, der die Atomverhandlungen für den Iran führte, vor.
Nach diesem Plan hätte der Iran zunächst nur für die Zeit der Verhandlungen über sein Atomprogramm die Urananreicherung aussetzen und die Kontrollen der Internationalen Atomagentur durch das Umsetzen des Zusatzprotokolls zum Atomsperrvertrag akzeptieren müssen. Als Gegenleistung hätte das Land die Anerkennung des Rechts auf friedliche Nutzung der Atomenergie nach Paragraph 4 des NPT-Vertrages einschließlich technisch fortgeschrittener Leichtwasserreaktoren, der Erlaubnis zum weiteren Betrieb der iranischen Forschungszentrifugen, der sukzessiven Aufhebung der US-Embargos, dem Verzicht auf einen „Regime Change“ im Iran, der Unterstützung der Aufnahme Irans in die Weltgemeinschaft sowie der Mitgliedschaft Irans in die WHO bekommen. Zu dem Angebot gehörte außerdem die Vereinbarung eines Rahmenabkommens mit der EU für Direktinvestitionen, die Intensivierung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit der EU, eine strategische Partnerschaft und technisch-wissenschaftliche Kooperation auf dem Gebiet der Erdöl- und Erdgasindustrien, der langfristige Aufbau der notwendigen Infrastruktur für Energieeffizienz und erneuerbare Energien sowie die Mehrfachsicherung für das Angebot von Brennstäben für den Bedarf iranischer Kernkraftwerke, die Beteiligung Irans an einer internationalen Einrichtung für Urananreicherung in Russland, die Unterstützung regionaler Gemeinschaften von Staaten der Region und anderen Interessengruppen zur Förderung der Zusammenarbeit und des Dialogs über wichtige Fragen der regionalen Sicherheit am Persischen Golf, die Gewährleistung der territorialen Integrität und politischen Souveränität der beteiligten Staaten sowie die Unterstützung des Ziels eines massenvernichtungswaffenfreien Nahen Ostens.
Nach den hinter dem Vorhang geführten Gesprächen zwischen Larijani und Javier Solana erklärte der damalige amerikanische Präsident Georg Bush bei seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 19. September 2006, die USA hätten keine Bedenken gegen ein tatsächlich friedliches Atomprogramm der Iraner. Er wünsche sich den Tag, an dem beide Länder gute Freunde und enge Partner sein würden. Nur einen Tag später sprach Präsident Ahmadinedschad vor demselben Gremium und ignorierte alle Verabredungen, die Larijani mit Solana getroffen hatte.
Die Antwort der iranischen Regierung
Fortsetzung auf Seite 3