Bürgergesellschaft im Iran

Wo steht die heutige Zivilgesellschaft im Iran, wie stark ist sie und welche Rolle können Bürgerrechtler in einem Demokratisierungsprozess spielen? Fragen, denen Iran-Experten bei einer Podiumsdiskussion anlässlich der dreijährigen Grünen Bewegung im Iran nachgegangen sind. Die Veranstaltung wurde unter anderem von Transparency for Iran organisiert.
„Die Grüne Bewegung ist die stärkste und modernste zivile Bewegung in der jüngsten iranischen Geschichte.“ So begann der iranische Bürgerrechtsaktivist Sohrab Razeghi seine Rede bei der Veranstaltung „Iranische Zivilgesellschaft“, die am 23. Juni, mit organisiert von TFI (*), in Köln stattfand. Durch die Parole „Wo ist meine Stimme?“ habe „das Recht jedes einzelnen Bürgers“ in den Protesten im Sommer 2009 im Iran eine neuartige Dimension bekommen, so Razeghi: „Ein Recht, das nicht einmal bei der iranischen Revolution von 1979 Beachtung fand.“

Sohrab Razaghi, Mansoureh Shojaee, Kazem Kardavani (v. l.).
Sohrab Razaghi, Mansoureh Shojaee, Kazem Kardavani (v. l.).

Sohrab Razaghi arbeitete als Geschäftsführer der Non-Profit-Organisation Koneshgaran Davtalab („Freiwillige Aktivisten”), die vor einigen Jahren von der Regierung verboten wurde. Die „Freiwilligen Aktivisten“ engagierten sich auf den Gebieten Ausbildung, Weiterbildung und Forschung zur Förderung der Zivilgesellschaft. Für Razaghi steht fest,  dass sich zunächst die gegenwärtige schwache zu einer starken Zivilgesellschaft entwickeln müsse, um im Iran zu einer Demokratie zu gelangen,
Dass auch das Regime dies erkannt hat, werde daran deutlich, dass allein 2011 mehr als 89 Organisationen und Vereine von der Regierung aufgelöst worden seien, so Razeghi. Zudem habe das Regime selbst in den vergangenen drei Jahren unter dem Deckmantel ziviler Einrichtungen eigene, vom Staat kontrollierte Organisationen gegründet, um­ unter anderem falsche Angaben über eine iranische Zivilgesellschaft bei internationalen Konferenzen verbreiten zu können. Was auch zu funktionieren scheine, so Razeghi: „Viele Einrichtungen, die den Vereinten Nationen unterstellt sind, unterstützen diese getarnten zivilen Einrichtungen im Iran.“
Neben Razeghi nahmen die Frauenrechtlerin Mansoureh Shodjaee und der Soziologe Kazem Kardavani an der Podiumsdiskussion in Köln teil.
Widerstand der iranischen Frauenbewegung
Verschiedene Strömungen der Frauenbewegung hatten die relativ freie politische Atomsphäre kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 im Iran genutzt, um eine Allianz zu bilden. Dabei ging es nicht darum, bestimmte Kandidaten zu unterstützen, sondern zwei Hauptforderungen  an die iranische Regierung zu stellen, erklärte Shodjaei: „Das waren die Aufhebung aller frauendiskriminierenden Paragrafen aus dem iranischen Gesetzbuch und die Unterzeichnung der UN-Konvention gegen Frauen-Diskriminierung.“
"Im Laufe der Zeit ist die Frauenbewegung dann der grünen Bewegung immer näher gekommen." - ّFoto: iran-e-sabz.org.
"Im Laufe der Zeit ist die Frauenbewegung dann der grünen Bewegung immer näher gekommen." - ّFoto: iran-e-sabz.org.

Im Laufe der Zeit sei die Frauenbewegung dann der grünen Bewegung immer näher gekommen, so Shodjaee: “Für die Frauenbewegung war dabei zum einen wichtig, sich den demokratiewilligen Kräften anzuschließen und dabei im Rahmen einer friedlichen Bürgerrechtsbewegung zu bleiben, zum zweiten, die eigenen Forderungen in die Ziele der grünen Bewegung zu integrieren.“
Auf die Frage, ob die Frauenbewegung angesichts der massiven Unterdrückung nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen am Ende sei, antwortete Shodjaee mit einem klaren Nein: „Im Gegenteil: Neue Kräfte haben sich den Aktivistinnen angeschlossen, die Frauenbewegung lebt.“
Transparency for Iran

Eine Lücke in der iranischen Geschichte
Ein historischer Grund dafür, dass sich bis heute diktatorische Systeme im Iran etablieren könnten, sei der Mangel an einer Zivilgesellschaft, so die Analyse des Soziologen Kazem Kardavani auf der Veranstaltung. Es habe aber auch Zeiten gegeben, in denen sich bürgerrechtliche Entwicklungen im Ausland auf die iranische Gesellschaft ausgewirkt hätten, so Kardavani: “Nach dem Ende des kalten Kriegs und der Ausbereitung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten in den ehemaligen Ostblockländern erlebten parallel dazu auch die iranischen Aktivisten einen Wendepunkt. Dabei spielten auch wirtschaftliche Faktoren und die innenpolitischen Probleme, mit denen das Regime damals zu kämpfen hatte, eine wichtige Rolle.“
Auch der Soziologe Kardavani zieht am Ende seiner Analyse den Schluss, dass die iranische Gesellschaft sowohl wegen ihrer kulturellen und wirtschaftlichen Grundlagen, aber auch aufgrund der gegenwärtigen politischen Situation weltweit bereiter als je zuvor für den Aufbau einer zivilen Gesellschaft sei.
FP
(*) Andere Organisatoren waren „United 4 Iran“ und „Arseh Sevom School“. Die Veranstaltung wurde von Ali Samadi Ahadi moderiert.