Wer ist der erste Mann im Staat?

Der Rücktritt des iranischen Geheimdienstministers hatte gestern für einige Verwirrung gesorgt und Differenzen zwischen Präsident und Religiösem Führer offenbart. Wie diese Unstimmigkeiten einzuschätzen sind, analysiert Arash Sigarchi auf seinem Blog.
Die Nachrichten vom Rücktritt und dessen Annahme durch Regierungschef Ahmadinedjad wurden am Sonntag von einigen amtlichen Agenturen gemeldet. Kurze Zeit später hatte es geheißen, Revolutionsführer Ali Khamenei habe sich gegen diesen Rücktritt ausgesprochen und die Wiedereinsetzung des Ministers angeordnet. Ein bisher einmaliger Schritt.
Der Geistliche Hojatoleslam Heydar Maslahi ist erst seit der Entlassung seines Vorgängers Mohssen Ejei im Amt. Ejei wurde wegen der „Fehleinschätzung der Lage“ nach den Wahlen im Sommer 2009 und den darauffolgenden Unruhen von Mahmud Ahmadinedjad entlassen. Für Maslahis nun doch aufgehobenen Rücktritt wurde bisher keine Begründung angegeben.
Am Morgen vor seinem Rücktritt hatte noch der umstrittene Bürochef Ahmadinedjads, Esfandiar Rahim Mashai, über die Arbeit des Geheimdienstes geklagt. Der Mangel an richtigen Analysen würde „fehlerhafte Entscheidungen der Regierung“ nach sich ziehen.
Bis zur endgültigen Bestätigung der Nachricht von der Rücknahme des Rücktritts durch Ali Khamenei heute Mittag war eine Auseinandersetzung zwischen den konservativen Medien ausgebrochen.
Während einige Agenturen wie Farsnews, MEHR oder ISNA sofort den Widerspruch des Revolutionsführers gegen den Rücktritt publizierten, wollte die amtliche Nachrichtenagentur IRNA gestern davon nichts wissen. Bis heute Mittag wurde ein „Szenario gegen Mahmud Ahmadinedjad“ vermutet und ihr Geschäftsführer, Ali Akbar Jawanfekr, griff auf seinem Blog in harschem Ton die Konkurrenz an: sie würde versuchen „die Position von Ayatollah Khamenei“ zu schwächen – denn wie sollte dieser in eine „solch wichtige Entscheidung nicht eingeweiht“ gewesen sein?
Auch die offizielle Regierungs-Webseite berichtete nur über die Annahme des Rücktritts durch den Regierungschef. Die konservative Kayhan, das Sprachrohr des Religiösen Führers, witterte gleich einen „Staatsstreich“ des Bürochefs des Präsidenten und des Geschäftsführers von IRNA.

Sigarchi schreibt dazu:

„Offenbar sind die Mahnungen des Führers Ali Khameneis vom ersten Tag des Jahres (21. März 2011) nicht ernst genommen worden. Er warnte die Zuständigen aus der Politik, die nationale Einheit nicht mit öffentlich geführten Streitigkeiten zu gefährden. Die Warnung wurde aber nicht beachtet, und nun kommt es zu Handlungen zwischen der Regierung und dem Führer, die eine tiefe Meinungsverschiedenheit verdeutlichen – und das alles öffentlich.
Die Geschichte fing gestern mit einem Rücktritt an. Mahmud Ahmadinedjad war mit diesem Rücktritt einverstanden (laut Regierungs-Webseite). Gleichzeitig wurde Kamran Daneschjoo, der unfähige Wahlkampfleiter von 88 (2009) und heutige Bildungsminister ins Krankenhaus eingeliefert – wegen Herzprobleme, wie es hieß. Und der fehlende Puzzleteil war der Eingriff des Kabinetts. Die länger bestehenden Auflagen des iranischen Parlaments, Majles, fünf Ministerien zusammenzulegen, wurden in vier Fällen genau gestern erfüllt.
Iran ist nicht wie die USA, die die Anwesenheit der Medien bei solchen Sitzungen zulassen, deshalb muss die Nachricht durch Spurensuche aufgedeckt werden. Wenn man Khabaronline glaubt, ist der Herzanfall des Bildungsministers eine Folge heftiger Diskussionen bei der Kabinettssitzung. Demnach ist der Rücktritt des Geheimdienstministers ebenfalls nach diesem heftigen Streit zustande gekommen.
Wichtig ist, was nach dem Rücktritt geschah. Nach dieser Auseinandersetzung des Regierungschefs und des Geheimdienstministers hatte Ahmadinedjad die Annahme des Rücktritts bestätigt; es waren keine Stunden vergangen, als Agenturen wie Farsnews mit einem guten Draht zu Sicherheitsorganen der Sepah und des Geheimdienstes ganz offen schrieben, dass Maslahi bleibe, weil der Führer gegen seinen Rücktritt sei. Genauso wie der Rücktritt von Safar Harandi (ehem. Minister für Kultur und islamische Führung), der nur deshalb formell Minister blieb, ohne je wieder ins Ministerium zu gehen, weil dessen Absetzung zur Interpellation der Regierung geführt hätte.
Dieser Rücktritt des Geheimdienstministers und seine Wiedereinsetzung auf Anordnung des Führers verdeutlichen einige Punkte:
Erstens: Der Geheimdienstminister wird eher vom Führer eingesetzt, als dass ihn der Regierungschef aussucht. Für uns Journalisten war es immer schwer zu beweisen, dass es Minister gibt, die nicht unter der Aufsicht des Präsidenten stehen. Ungefähr seit der zweiten Amtsperiode Rafsanjanis setzte sich die Meinung des Führers durch. Nun ist durch diesen Eingriff bewiesen, dass der Führer den Geheimdienstchef einsetzt.
Wenn Khamenei das Überleben des Regimes sichern will, müsste er sich wohl von Ahmadinedjad trennen.Zweitens: Der Niedergang dieser Regierung hat begonnen! Wohlwollende hatten Khamenei mehrfach davor gewarnt, auf das falsche Pferd zu setzen, aber weil er sauer auf Mir Hossein (Mussawi) war, hatte er es doch getan. Die Hauptsorge des „Herrn“ war in den letzten zwei Jahren die grüne Bewegung, die seinen Kummer täglich erhöhte. Wenn Khamenei das Überleben des Regimes sichern will, müsste er sich von Ahmadinedjad trennen. Mit Konservativen wie Larijani (Parlamentspräsident) oder Ghalibaf (Teherans Bürgermeister) könnte er noch überleben, aber nicht mit Ahmadinedjad und seiner Truppe. Khamenei hatte sich selbst an seine Mahnung gehalten, Streits nicht öffentlich auszutragen. Sogar als Ahmadinedjad gegen seinen Willen Mottaki (ehem. Außenminister) entließ, hatte er nur im Privaten gemeckert. Und was nun? Er war gezwungen das Geschehene sehr öffentlich wieder rückgängig zu machen.
Die Beachtung Ahmadinedjads durch den „Herrn“ begann, als Ghalibaf drei Tage vor den Wahlen 2009 Reza Shah anpries. Die Flitterwochen vom Führer und Mahmud Ahmadinedjad endeten bereits am 12. Juni 2009. Seitdem ist alles, was den Anschein einer Vater-Sohn-Beziehung erweckt, nur ein Anschwellen der Differenzen – bis heute. Also muss man für morgen eine Konfrontation erwarten.
Drittens: Die Differenzen sind viel größer als wir annehmen konnten. Ich hatte bereits in einem früheren Beitrag darauf hingewiesen, dass Khamenei noch immer die erste Person im Staat ist. Auch wenn viele in den letzten zwei Jahren Ahmadinedjad als Meinungsmacher des Führers darstellen wollten:  solche Videos (FA) beweisen doch, dass es Khamenei ist, der über die Einzelheiten Bescheid weiß, und von allen Seiten Berichte erhält.
Heute hat sich ein Teil dieser Differenzen offenbart.
Aber was kann morgen geschehen? Nach dem Medienkrieg vom Sonntag ist nun, wie es scheint auf Befehl des Führers erneut Feuerpause. Aber kein Zweifel, dass diese Feuerpause vorübergeht und die Gegenseiten erneut das Feuer eröffnen.
Die Impertinenz Ahmadinedjads bei der Absetzung Mottakis hatte ihm bereits ein Opfer im parlamentarischen Gezänk abverlangt, und nun hat er keinen Verkehrsminister.
So wie Ahmadinedjad nun dem Führer den Kampf angesagt hat, ist kein Zweifel, dass die Regierung weitere Opfer bringen muss. Mashai ist ja nicht mehr erreichbar; vielleicht wird es Sadegh Mahsouli (Sozialminister; davor Innenminister unter Ahmadinedjad.) treffen. Denn trotz seiner üppigen Überweisungen an den ‚Sitz des Führers‘ hat dieser keine besonders gute Meinung von ihm.“