Schweigender Präsident, zensierter George Clooney
Ob und wie man sich von Terroristen distanziert, dafür gibt es im Iran Sprachregelungen, an die sich sogar der Präsident halten muss. Die islamische Republik war stets und ist immer noch eine Vorkämpferin gegen die Herabsetzung des Propheten. Salman Rushdi ist der bekannteste Fall.
Die Zeit heilt nicht immer die Wunden. Im Gegenteil: Je mehr der Abstand wächst, umso klarer sieht man die Dimensionen jener Verwundung, die die Mörder im Namen des Islams in Paris hinterlassen haben. Die Konturen des klaffenden Risses zwischen politischem Islam und demokratischen Grundsätzen sieht man heute, zwölf Tage nach der brutalen Ermordung der Journalisten von „Charlie Hebdo“, viel genauer. Im Falle des Iran ist diese Kluft in allen Lagern zu beobachten, diesseits wie jenseits der Herrschaft, also bei denen, die sich auf den Islam berufen, ebenso wie unter den säkularen Oppositionellen. Die Terrorakte in Paris und alles, was darauf folgte, demonstrieren zudem wieder einmal die faktische Machtlosigkeit der Moderaten und Reformer im Iran, Präsident Hassan Rouhani inklusive.
Vorkämpfer gegen Prophetenbeleidigung.
Schon in den ersten Stunde nach dem Blutbad in der Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ war im Iran klar, wer die Oberhoheit über die Sprachregelungen in der Presse und der Politik besitzt. Vergessen sind längst die Tage nach dem 11. September, als die Teheraner DemonstrantInnen mit Kerzen der Opfer gedachten, als der iranische Präsident dem amerikanischen Volk öffentlich sein Beileid ausdrückte und die Verschwörungstheoretiker Monate warten mussten, um ihre Sicht unters Volk zu bringen. Diesmal waren das Feld und die Spielräume für Journalisten und Politiker von Beginn an abgesteckt.
Die Schockstarre nach dem historischen Blutbad von Paris war gerade vier Stunden alt, als Marzieh Afkham, die Sprecherin des iranischen Außenministeriums, in Teheran vor die Presse trat. Die 52-Jährige, die wegen ihrer Sprachkenntnisse seit Jahrzehnten in der Presseabteilung des Ministeriums arbeitet, besitzt eine besondere Gabe: Sie strahlt selbst bei brisanten Themen und in aufregendsten Augenblicken eine stoische, manche sagen, eine beängstigende Ruhe aus. Ihre eintönige Redeweise passt oft zur inhaltlichen Leere ihres Vortrags. Trotzdem wollten viele iranische wie ausländische Journalisten an diesem Tag wissen, wie der Gottesstaat denn nun zu dem Massaker von Paris stehe. Denn die Islamische Republik Iran steckt mehr als jeder andere Staat diesbezüglich in Erklärungsnot, in einem Dilemma, aus dem sie sich nur mit kunstvoller Verbalakrobatik retten kann. Wer den Propheten beleidigt, verdient nach Paragraf 262 des iranischen Strafgesetzbuches die Todesstrafe. Genau deshalb warten derzeit Dutzende Verurteilte in iranischen Gefängnissen auf ihre Hinrichtung. Etwa der 30-jährige Soheil Arabi, dessen Fall jüngst Amnesty International publik machte, weil sein Urteil inzwischen durch das Oberste Gericht bestätigt worden ist. Der Vorwurf der Herabwürdigung des Propheten basiert auf einer Bemerkung, die Arabi auf Facebook gemacht hatte.
Der Auftritt der Pressesprecherin an diesem Mittwochnachmittag, wenige Stunden nach der Pariser Tragödie, war noch aus einem andern Grund spannend: Prophetenbeleidigung bescherte der Islamischen Republik schon einmal eine folgenreiche internationale Krise. Dieser Tage jährt sich zum 25. Mal die immer noch gültige Mord-Fatwa gegen den Autor Salman Rushdi – wegen Herabsetzung des Propheten. Schwer war also die Bürde für die Pressesprecherin, denn die stets Gelassene musste die Ermordung jener Journalisten verurteilen, die laut ihren Mördern wegen Beleidigung des Propheten getötet wurden.
Afkham behielt wie immer die Fassung und verzichtete auf ausschweifende Erklärung. Monoton diktierte sie den anwesenden Journalisten drei Sätze: Die Islamische Republik verurteile die Terrorakte in Paris, lautete der erste, die zwei folgenden forderten vom Westen die Achtung religiöser Symbole.
Der moderate Präsident muss schweigen
Diese drei Sätze, die die Teheraner Freitagsprediger zwei Tage später fast wortwörtlich wiederholten, sind bislang das Weitestgehende und Radikalste, was der offizielle Iran gegen die brutalen Morde in Paris hervorgebracht hat. Der moderate Präsident Rouhani, der sich um einen Ausgleich mit dem Westen bemüht und als Inhaber eines Doktortitels einer britischen Universität die jetzige Stimmung in Europa bestens kennen muss, zog es vor, zu schweigen. Nur einmal meldete er sich in der Sache zu Wort – sehr allgemein und ohne direkt auf die Morde in Paris einzugehen. Iran verurteile Terrorismus überall, sei es in Syrien, in Irak oder in Paris, so Rouhani zwei Tage nach dem Ende der dramatischen Ereignisse der vergangenen Woche.
Sein Außenminister Javad Zarif, der sich wegen der Atomverhandlungen vergangene Woche in Genf, Berlin, Brüssel und Paris aufhielt, wiederholte bei Nachfrage in geschliffenem Englisch und unterschiedlichen Variationen immer wieder jene drei Sätze, die seine Sprecherin wenige Stunden nach dem Terroranschlag den Journalisten diktiert hatte.
Woher diese Zurückhaltung bei öffentlichen Äußerungen kommt, ist für Außenstehende rätselhaft. Wichtigtuerei oder nicht, die Attentäter von Paris wollen nach eigenem Bekunden Auftragnehmer des IS oder der Al Kaida in Jemen gewesen sein, also Agenten der Erzfeinde und Kriegsgegner der Islamischen Republik. Für Rouhanis Regierung wäre es gerade jetzt ein leichtes Spiel und eine gute Gelegenheit gewesen, iranisches Engagement im Irak, in Syrien und Jemen in ein anderes, ein positives Licht zu stellen und der Weltöffentlichkeit ein günstigeres Bild des Iran zu präsentieren – zumal auf der Zielgeraden der Atomverhandlungen ein besserer Ruf in der westlichen Presse der Regierung gut täte.
Hardliner bestimmen den weiteren Gang
Das Schweigen des sonst so geschmeidigen Präsidenten ist nicht ausschließlich ideologisch oder religiös motiviert. Es sind vielmehr die Fesseln der Innenpolitik, der Druck der Radikalen, die die Spielräume der Akteure bestimmen. Schon in den ersten Minuten nach dem Attentat war auf den Webseiten und in den Agenturen, die dem iranischen Revolutionsführer Ali Khamenei nahestehen, von einem „zweifelhaften Anschlag“ und sehr bald von „zionistischen Machenschaften“ die Rede. Inzwischen haben die Radikalen den öffentlichen Umgang mit den Pariser Terrorakten fest unter Kontrolle. Selbst die Verwendung des Satzes „Ich bin Charlie“ hat juristische Nachspiele. Die gerade drei Wochen alte Zeitung „Mordome Emrooz“ wurde am Samstag auf Anordnung des Generalstaatsanwaltes verboten, weil sie zwei Tage nach dem Anschlag ein Bild von George Clooney abdruckte, auf dem er bei der Verleihung der „Golden Globe“-Preise diesen Satz ausspricht.
Das war vergangene Woche, inzwischen ist die Atmosphäre noch bleierner. Nach der Veröffentlichung der neuen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ haben die Hardliner den Druck weiter erhöht. An diesem Montag wollen sie vor der Französischen Botschaft in Teheran demonstrieren.
In der momentan aufgewühlten islamischen Welt soll sich der Iran neben jene versprengten Gruppen platzieren, die in verschiedenen Ländern französische Fahnen verbrennen und Kulturinstitute zerstören – das scheint die Strategie der Mächtigen zu sein und Rouhanis Regierung hat sich daran zu halten. Selbst kleinlaute versöhnliche Töne, die etwa von der Al Azhar-Universität in Kairo kommen, könnten den islamischen Widerstand schwächen, schrieb die Zeitung „Keyhan“ am Sonntag und kritisierte Außenminister Zarif dafür, dass er wegen der Atomverhandlung nach Paris, „in die Hauptstad der Beleidiger“, gereist sei. „Keyhan“, deren Herausgeber vom Revolutionsführer Khamenei selbst bestimmt wird und die beste Kontakte zu den Geheimdiensten hat, fungiert als Stichwortgeber und publizistische Bastion der Hardliner.
Erdbeben in der Tiefe
Doch während die einen zum Schweigen gebracht werden, vernimmt man dieser Tage auch Stimmen, die wie ein wahres Erdbeben die Grundfesten der Gläubigen erschüttern. „Das ist ist nicht mehr mein Allah“ – unter diesem Titel schrieb nach dem Pariser Attentat der 60-jährige Islamgelehrte und Philosoph Hassan Yussefi Eshkevari einen Beitrag für persische Webseiten. Und der 80-jährige Theologe Mohammed Modschtahid Schabestari, dessen schiitische Gelehrsamkeit niemand anzweifelt, sagte in seinem jüngsten Online-Seminar etwas, das aus den Federn der radikalsten Islamkritiker stammen könnte: „Niemand kann behaupten, dass die Anhänger des IS und deren Wortführer nichts mit dem Islam gemein hätten. Sie fasten, sie beten und sie vollziehen alle religiösen Rituale wie du und ich, auch ihre abscheulichen Praktiken sind tief in der Scharia verwurzelt. Nur eine gründliche Revision aller islamischen Grundsätze kann uns vor weiteren Katastrophen bewahren.“
Der ehemalige Reformpräsident Khatami nimmt wie ein Seismograph die Gefahren, die den Islam von innen und außen bedrohen, sehr ernst. Im eigenen Land, wo ermit einem Ausreiseverbot belegtist und sein Bild in keiner Zeitungerscheinen darf, kann er gegen diese Entwicklung praktischnichtsunternehmen. Doch er nutzt wieimmer seinen internationalen Ruf, nennt in einem Berief anden UN-Generalsekretär die Attentate von Paris ein Verbrechen und schlägt vor, die UNO mögefür die Beendigung der aktuellen Katastrophe eine Konferenz derwichtigsten Friedensaktivisten derWelt organisieren. Ob Khatami gehört werden wird, bleibt offen.
Während im islamischen Lager also die einen den Druck verstärken und die anderen eine Kernsanierung des Islam fordern, gibt es eine säkulare Opposition im Ausland, die alles mögliche, auch die Kriege in Libyen, Syrien und dem Irak, heranzieht, um die Terrorakte in Paris zu „erklären“. Erstaunlich daran ist, dass es sich bei diesen Säkularen um Publizisten und Journalisten handelt, die aus dem Iran geflohen sind – aber offenbar nicht wahrhaben wollen, dass die Terroristen jenen journalistischen Maßstäben und Gesetzen, die dort oder in Saudi-Arabien herrschen, universelle Gültigkeit verschaffen wollen.
ALI SADRZADEH
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