Khatami will Versöhnung ‎

Der ehemalige „Reform-Präsident“ Irans, Mohamad Khatami, forderte in einer Rede, den politischen Streit der letzten zwei Jahre beizulegen und sich gegenseitig zu „verzeihen“. Dieser Satz seiner Rede sorgt nun für Unmut unter Anhängern der Protestbewegung und hat eine große Debatte angestoßen.Vor einer Gruppe von Kriegsveteranen sagte er: „Wenn Unrecht geschehen ist, was sicher ist, lasst uns alle vergeben und in die Zukunft schauen. Wenn dem System und dem Führer Unrecht widerfahren ist, soll zu Gunsten der Zukunft davon abgelassen werden, und das Volk wird auch vom Unrecht, das ihm und seinen Kindern widerfahren ist, absehen. Jedoch müssen sich alle für eine Zukunft in einer intakten, sicheren und freien Atmosphäre, in der die Rechte des Volkes geachtet werden, anstrengen und gemeinsam die Grundlagen bilden. “
Auch wenn die Rede insgesamt nicht unkritisch gegenüber der Regierung und dem System blieb, und in vorsichtigen Andeutungen sowohl die schlechte Wirtschaftsleistung der Regierung als auch den Mangel an Freiheiten und Menschenrechten anprangert, gab dieser Satz Anlass für eine erregte Debatte in den sozialen Netzwerken und Medien.
Karikaturen und Glossen machen sich nun darüber lustig, dass das Volk für die Repressionen der letzten zwei Jahre, die anhaltenden Inhaftierungen, Folter und Todesstrafen nun beim Führer um Verzeihung bitten soll. Viele sind wütend, dass Khatami hier im Namen des Volkes spricht, obwohl er sich doch sonst so „ängstlich“ zurückhält. Seine Verteidiger halten Kritikern vor, den gesamten Text nicht richtig gelesen zu haben und die politischen Manövriermöglichkeiten nicht zu bedenken.
Khatami führt die Spaltung zwischen Volk und System vor.Während die beiden Führungsköpfe der Opposition, Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi, nun seit über drei Monaten unter Hausarrest stehen, viele Aktivisten und Oppositionspolitiker im Gefängnis sitzen, ist Khatami nicht nur als ehemaliger Präsident eine wichtige Stimme der Opposition. Es gibt insgesamt kaum noch Stimmen, die wahrgenommen werden. Zudem übertönt der interne Streit unter den konservativen Kräften das politische Klima.
Nachfolgend dokumentieren wir einige gekürzte Blogbeiträge, die verschiedene Aspekte der Debatte beleuchten und über die aktuelle Kritik an Khatami hinaus weiter denken.

Imayan
Wieder Khatami (18.04.2011)

Es ist eindeutig, dass in diesem Satz jeder Punkt mit Bedacht gewählt wurde. Es ist zu bedenken, dass Khatami hier das System und den Führer auf die eine und das Volk und seine Kinder auf die andere Seite stellt. Dadurch beschreibt er das Volk – oder zumindest eine beachtliche Mehrheit – als getrennt von System und Führer und im Widerstand zu ihnen.
Zudem sagt er deutlich, dass dem Volk und seinen Kindern Unrecht widerfahren ist, während er im Fall des Systems und des Führers die Konjunktion „wenn“ benutzt. Er kann meines Erachtens in einer Atmosphäre, in der die geringste Kritik Gefängnis und Arrest mit sich bringt, nicht deutlicher werden.

Arash Pajooh
Khatami bleibt Khatami (17.04.2011)

Die politische Sphäre hat ihre eigenen Regeln. Der zweite Jahrestag des Wahl-Putsches (aus unserer Sicht) und der Randale (aus der Sicht einiger anderer) naht.
Beide Seiten dieser historischen Gleichung haben ihre eigenen Interpretationen und Schlüsse durch ihre Medienpropaganda verbreitet und bestimmen damit die aktuelle und künftige Konstellation des Landes.
Die dadurch erzeugte Atmosphäre ist fern der Wahrheit und voller Parolen, die einerseits die Protestierer als Unruhestifter, Spione und Handlanger des Westens verunglimpfen, und andererseits die Anhänger der Herrschaft als Verbrecher, Mörder, Nutznießer und Söldner der Unterdrückung denunzieren.
Khatami hatte nun eine Rede gehalten, aus der nur ein Satz (s.o.) die Schlagzeilen beherrscht. Ich will hier nicht darauf eingehen, wie es kommt, dass ein aus dem Zusammenhang gerissener Satz zu so viel Kritik führt.
Wichtiger ist, dass hier zwei Meinungen in der Gesellschaft existieren: aus der Sicht eines regierungskritischen Menschen, wie ich, ist in den letzten zwei Jahren dem Volk selbstverständlich eine Menge Unrecht angetan worden.
Aber es gibt in diesem Spiel auch eine Gegenseite, die nicht nur überzeugt ist, dass es kein Unrecht gab, sondern sogar eine viel härtere Gangart seitens des Der Ausschluss einer Partei ist mit dem Ausschluss eines Teils der Gesellschaft gleichzusetzen, was mit einer idealen demokratischen Gesellschaftsform, wie wir sie uns wünschen, nicht vereinbar ist.Regimes erwartet hatte. Aus deren Sicht ist dem Führer und dem System Unrecht angetan worden.
Beide Sichtweisen haben sich radikalisiert. Radikalisierung ist, aufgrund der Reaktionen des Systems auf die Proteste, auch seitens der Opposition zu beobachten. Eine (wenn auch von den Oppositionsführern selbst ungewollte) Radikalisierung, die das System an den Rand des Zusammenbruchs und in die Legitimationslosigkeit geführt hat.
In dieser radikalisierten Atmosphäre war ständig die Rede von der Vernichtung der anderen und dem entscheidenden Sieg der eigenen Seite. Die eigene Existenz wurde in der politischen Ausrottung der anderen erkannt, und das gilt für beide Seiten. Beide Seiten sehen keine Möglichkeit des Entgegenkommens.
Der Realität der iranischen Gesellschaft können beide Seiten nicht gerecht werden. Das Ergebnis ist, dass eine Streitpartei für immer aus dem politischen Leben ausgeschlossen oder zumindest gezwungen wird, sich zu verstecken.
Der Ausschluss einer Partei ist mit dem Ausschluss eines Teils der Gesellschaft gleichzusetzen, was mit einer idealen demokratischen Gesellschaftsform, wie wir sie uns wünschen, nicht vereinbar ist.
Khatami ist weiterhin für den ‚reformierten‘ Fortbestand dieses politischen Systems. Er versucht zu vermitteln, erkennt die Existenz beider politischer Lager an und sieht das Gedeihen der iranischen Gesellschaft in der Interaktion unter Beachtung der Gesetze.

Bamdadi
Warum spricht Khatami über Versöhnung? (19.05.2011)

Warum sagt Khatami solche Sätze zu diesem Zeitpunkt, obwohl er weiß, dass sie Anhänger der Grünen Bewegung verletzen werden? Ich sehe dafür folgende Gründe:
Er nutzt die Gelegenheit, während die Konservativen (Osulgara) mit dem Team der Regierung im Streit sind. Khatami, als einer der Wortführer der Reformer, sieht sich dem Lager der Konservativen näher, denn sie sind ebenfalls Anhänger der Paradigmen „religiöse Politik“ bzw. „politisierte Religion“ – während die Regierungsmannschaft von der „Tagespolitik“ spricht. Nach dem offenen Streit der Kontrahenten sieht Khatami die Lage günstig, um diese Nähe zu betonen.
In einer Situation, wo die Grüne Bewegung im besten Fall als inaktiv und im schlimmsten als beendet betrachtet werden kann, ihre Führer unter Hausarrest und ein großer Teil ihres geistigen und

In einer Situation, wo die Grüne Bewegung im besten Fall als inaktiv und im schlimmsten als beendet betrachtet werden kann, ist die einzige politische Überlebenschance die Aussöhnung mit den Mächtigen.

publizistischen Korpus im Gefängnis sitzt, hat die Reformbewegung keine andere politische Überlebenschance, als sich mit mächtigen konservativen Machtspektren auszusöhnen.
Er erwähnt nicht einmal die beiden Oppositionsführer (Karroubi und Mussawi) der Grünen Bewegung. Damit trennt er die Reformbewegung von der Grünen Bewegung, denn offenbar ist sie seiner Ansicht nach derzeit keine ausreichend bedeutende Figur im politischen Spiel, um dort das wenige Kapital der Reformer, das noch übrig ist, zu verpulvern.
Zum anderen sieht er keine reale Chance für ein Comeback der Oppositionsführer in die Politik, und eine Distanzierung von ihnen erscheint ihm heute die Chance auf eine Versöhnung mit den herrschenden Konservativen zu erhöhen.
Die Konservativen ihrerseits sind unbeliebt in der Bevölkerung und erleben eine Legitimationskrise. Damit ist ihre gesellschaftliche Basis stark geschwächt, während sie sich mit einem starken Konkurrenten mit langem Atem (Regierungsmannschaft) konfrontiert sehen.
Herr Khatami scheint das mitzubedenken. Wenn er ihnen seine freundschaftliche Hand entgegenstreckt und damit anscheinend sagt: ‚Mit den tückischen Manöver der Regierungsmannschaft verlieren auch wir ständig an Anhängern, aber wir (die Reformer) haben noch immer mehr Sympathisanten als ihr. Euch mit uns zu versöhnen wird auch eure Krise beenden helfen‘.
Meines Erachtens ist der Streit zwischen der Regierungsmannschaft und der konservativen Herrschaft strategisch und nicht taktisch. In der Folge eskalieren die Konflikte zwischen beiden Parteien täglich weiter, bis eine Seite aus dem politischen Leben scheidet, oder sich sogar der gesamte Aufbau des politischen Systems der Islamischen Republik ändert.
Khatami spürt möglicherweise diese Gefahr und warnt nun die konservative Herrschaft. Er will als Weiser in die Geschichte eingehen: ‚Ich habe es euch vorhergesagt – wenn wir uns nicht einigen, werden wir alle gehen müssen‘.