Die Zeiten der Leichenfledderei sind vorbei

Denn der Krieg in Syrien ist bei der Mehrheit der Iraner sehr unbeliebt. Syrien gleicht einem dunklen Terrain, wo niemand überblickt, wer dort was macht und warum. Man ahnt nur, dass die iranischen Revolutionsgarden dort in eine sehr teure Schlacht involviert sind. Teuer in jeder Hinsicht.
Lasst Syrien in Ruhe, denkt an uns“ ( سوریه رو رها کن ، فکری بحال ما کن ). Auf Persisch reimen sich diese zwei Sätze zu einer melodischen Parole. Und den Slogan hört man in den letzten Wochen öfter. In Isfahan etwa protestieren Bauern aus der Umgebung gegen Wasserknappheit – seit mehreren Monaten und in aller Regelmäßigkeit. Jedes Mal schreiten die Sicherheitskräften ein, Verletzte und Verhaftete gibt es immer, doch die Proteste wollen kein Ende nehmen, weil keine Lösung in Sicht ist. Einmal kamen die Demonstranten sogar zum Freitagsgebet und kehrten während des Gebets dem Vorbeter den Rücken. Dabei riefen sie: „Dem Feind den Rücken, dem Volk das Gesicht!“
Der Prediger hatte sich mit ihnen zunächst solidarisch gezeigt, das aber inzwischen öffentlich revidiert. Die Demonstrationen finden trotzdem statt. Und jedes Mal rufen sie: „Lasst Syrien …!“
Der Konflikt über den Wassermangel wird sich in den kommenden heißen Sommermonaten im ganzen Land weiter verschärfen. „In 335 Städten mit einer Bevölkerung von 35 Millionen“ werde es in diesem Sommer Spannungen wegen Wasserknappheit geben, sagte der iranische Energieminister Reza Ardekanian am vergangenen Sonntag Journalisten.
Etwa 600 Kilometer weiter südlich in der Stadt Kazerun in der Provinz Fars geht seit drei Wochen wöchentlich fast die gesamte Bevölkerung auf die Straße, um gegen eine Gebietsreform zu protestieren. Auch hier ruft die Menge: „Lasst Syrien in Ruhe, denkt an uns!“
Denn viele Iraner glauben, ihre persönliche wirtschaftliche Misere habe irgendwie mit diesem Krieg zu tun.

Protest der Bauern in Isfahan
Protest der Bauern in Isfahan

 
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg
Nun ist dieser Krieg in eine neue Phase eingetreten – die Post-IS-Ära.
Die Zeit des Stellvertreterkriegs nähert sich dem Ende und der Streit darüber, welche ausländische Macht künftig in Syrien bleiben darf, hat begonnen. Und dieser Konflikt könnte für die Islamische Republik desaströs enden. Denn eine dauerhafte iranische Präsenz in Syrien will außer der libanesischen Hisbollah niemand – nicht einmal der bisherige Verbündete Russland.
Am wenigsten Israel. Am Abend der Feierlichkeiten zum siebzigsten Geburtstag Israels redete Benjamin Netanjahu vor ausländischen Diplomaten Klartext: „Meine rote Linie ist überschritten, wenn der Iran dort auch nur ein Zelt aufschlägt. Der Iran muss dort nicht sein. Sie haben ein Ziel und deshalb sind sie dort. Und dieses Ziel ist nicht, Frieden zu schaffen oder die Bedürftigen mit Essen zu versorgen. Sie haben einen Grund – und was ist ihr Grund? Als nächstes kommt Israel. Also schützt Israel sich selbst.“
Doch ein direktes Kräftemessen mit Israel werden die Revolutionsgarden nicht wagen. Sie kennen die Kräfteverhältnisse zu gut. Israel ist immerhin eine Atommacht. Aber aufgeben und mit leeren Händen nach Hause zurückkehren können sie auch nicht.♦
© Iran Journal

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