Iran – eine euro-asiatische Provinz?

Noch war Biden im Flugzeug, da sagte Kamal Charrazi, Chameneis wichtigster außenpolitischer Berater, dem Fernsehsender Al Jazeera, der Iran sei in der Lage, eine Atombombe zu bauen. Eine Entscheidung darüber sei aber noch nicht gefallen. Einen Tag später wiederholte Mohammad Javad Larijani dies noch ausführlicher im iranischen TV: Auch ein Krieg gegen den Iran werde den Bombenbau nicht verhindern können, so der ehemalige Vizeaußenminister. Warum diese spektakulären Äußerungen, und warum jetzt aus dem Munde von zwei wichtigen Personen aus der Oligarchie, die den Iran seit vierzig Jahren kontrolliert? Inzwischen spricht man von der Herrschaft der Schwiegersöhne.

Die ewige Oligarchie

Das ist kein Spott und weder eine Herabsetzung noch eine Beleidigung: Es ist eine treffende Beschreibung des iranischen Machtsystems, das sich „Republik“ nennt. Zu lesen ist es in einer 853 Seiten umfassenden Studie der Universität Syracuse im US-Bundesstaat New York mit dem Titel: „Postrevolutionary Iran: A Political Handbook“. Vierzehn Jahre lang haben Professor Mehrzad Boroujerdi und seine Forschungsgruppe an diesem Handbuch gearbeitet. Sie wollten herausfinden, wer den Iran tatsächlich regiert, wie diese Familien Macht und Reichtum seit der Revolution unter sich aufteilen und wie stark die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen sind – allen Verwerfungen zum Trotz.

Und die Autoren kommen zu dem erstaunlichen Schluss, dass weder Wahlen noch Säuberungen oder Clan-Konflikte diese Familienherrschaft gefährden konnten und können. Exemplarisch belegen sie an mehreren spektakulären Verhaftungen, Entmachtungen und Verbannungen, dass die Familienbande trotzdem weiterhin sehr gut funktioniert. Man tauschte zwar Posten und Positionen, doch eine wirkliche Machtzirkulation fand in diesen Jahrzehnten nicht statt.

Oligarchen der Islamischen Republik
Die Oligarchen der Islamischen Republik bleiben unter sich, einflussreich und mächtig

Die Studie ist nicht nur eine umfassende Datensammlung zum politischen Leben des Iran, sondern auch eine Berichterstattung über 40 nationale Wahlen sowie über 400 unterschiedliche Organisationen entlang der familiären Bindungen, die die Oligarchie dieser eigenartigen „Republik“ bilden. In biografischen Skizzen von mehr als 2.300 politischen Persönlichkeiten – von Kabinettsministern und Parlamentsabgeordneten bis zu geistlichen, juristischen und militärischen Führern – zeichnen die Autoren eine Kartographie der komplexen Machtstruktur durch die gesamten Institutionen. 

Trotz Feindschaften für immer verbunden

Mögen sich manche von ihnen Oppositionelle, Reformer oder Systemtreue nennen: Sie bleiben unter sich, einflussreich und mächtig, denn alle sind miteinander über eine oder mehrere Linie verwandt, verschwägert oder sonst wie verbunden. Was sich ändert, ist der Ort, an dem sie ihre Macht ausüben.

Die Namen der wichtigsten Familienclans, die seit der Revolution in unterschiedlichen Funktionen wichtige Positionen innehaben, kennt jede*r Iraner*in: Chomeini, Chamenei, Chatami, Charrazi, Larijani, Rafsanjani oder Alam Al Hoda. Alle sind miteinander verwandt. Manche Paten der ersten Stunde sind inzwischen verstorben, andere vergreist, doch ihre Nachkommen sind weit und genug verzweigt, um weiterhin mächtig zu sein. Manche von ihnen sind sogar in den Kanzleien oder Beratungs- und Forschungszentren der europäischen Hauptstädten als Lobbyisten fleißig am Werk. 

Kamal Charrazi war acht Jahre lang Außenminister, zuvor eine Dekade Chef der iranischen Nachrichtenagentur, nun nennt er sich Leiter des Rates für Außenpolitik. In Wahrheit ist er einer der wichtigsten außenpolitischen Berater Chameneis. Seine Schwester ist mit einem der vier Söhne Chameneis verheiratet, sein Bruder Mohsen sitzt im Expertenrat, der über Chameneis Nachfolge entscheidet. Seine Kinder, Neffen und Nichten haben wichtige Posten inne, vor allem im Außenministerium.

Und Larijani, der auch von der bevorstehenden Bombe sprach, gehört ebenfalls einer jener einflussreichen und weit verzweigten Familien an, die seit Bestehen dieser hybriden Republik die Geschicke des Iran bestimmen.

Drohnen als Botschaft

Genau zu dem Zeitpunkt, als Joe Biden bei seiner Nahostreise in Saudi-Arabien landete, signalisierten die iranischen Revolutionsgarden, um was es dieser Tag in Russland, der Ukraine, dem Iran und dem Rest der Welt geht und wo sie dabei stehen. Nicht sehr weit von dem Flughafen, auf dem Bidens Flugzeug landete, zeigten die Garden einen Flugzeugträger, auf dem zahlreiche Drohnen standen. Propagandistisch wurde diese „heldenhafte und bedeutungsvolle Aktion“ auf entsprechenden Webseiten gelobt. Der Iran wolle Hunderte Drohnen an Russland liefern, hatte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan kurz vor Bidens und Putins Reisen gesagt, und fast alle Medien der westlichen Welt wiederholten dies.

Da der Iran kaum eine wirksame Luftwaffe besitzt, haben die Revolutionsgarden alles daran gesetzt, ein umfassenden Raketen- und Drohnenprogramm zu entwickeln. Ob und warum Russland iranische Drohnen braucht, darüber wird derzeit viel spekuliert. Afschar Soleimani, der Russland sehr gut kennt und mehrere Jahre Botschafter Irans in Azerbaijan sowie Vize-Außenminister war, sagte der Webseite Iran Diplomacy nach Putins Abreise, Russland setze alles daran, um den Iran in den Ukrainekrieg zu ziehen.

Iranische Drohne
Werden iranische Drohnen bald ukrainische Städte zerstören?

Nicht vergessen, woher die Drohnen kommen

Eine der wirksamsten iranischen Drohnen trägt den Namen Ababil. Wollen Biden, Putin und Selenskyj wissen, was Ababil bedeutet, sollten sie den Koran lesen. In Sure 105, „Der Elefant“, steht:

Im Namen Gottes des Erbarmers, des Barmherzigen!
Hast du nicht gesehen, wie dein Herr mit den Leuten des Elefanten verfuhr?
Hat er ihren Plan nicht scheitern lassen?
Und Vögel in Scharen (ababil) über sie geschickt,
die sie mit Steinen aus gebranntem Ton bewarfen?
Dann machte Er sie wie ein abgefressenes Feld.

Dies ist eine der vielen Geschichten des Korans, die man durch einfaches Lesen nicht verstehen kann. Ohne Hintergrundwissen und Koranexegese wären wir nicht nur an dieser Stelle völlig aufgeschmissen. Die Geschichte spielt zur Zeit Abrahams in Saudi-Arabien, genauer in Mekka, das von einem ausländischen Imperium angegriffen wird. Ababil, der große Vogelschwarm, kam angeflogen, und jeder Vogel trug Steine in seinem Schnabel und seinen Krallen. Die Vögel flogen über die Armee hinweg und ließen die Steine auf die Soldaten hinabfallen. Dabei wurden diese tödlich verletzt und die Elefanten rannten vor Schreck davon.

Die islamischen Quellen lassen keinen Zweifel daran, dass es dieses Ereignis tatsächlich gegeben hat, und bezeichnen das Jahr, in dem es stattfand, als das Jahr des Elefanten. Was der Westen bzw. Selenskyj gegen Ababil zum Einsatz bringen wollen, bleibt offen. 

Wird die Warnung Wirklichkeit?

Einst warnte Mohammad Reza Pahlawi, der letzte Schah des Iran: Sollte die Monarchie im Iran gestürzt werden, werde aus dem Land eine Iranstan. Die persische Nachsilbe استان, -ostan, bedeutet Provinz. Die Namen aller ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken enden mit dieser Silbe: Turkmenistan, Tajikistan, Usbekistan, Kasachstan.

Nun scheint die Islamische Republik auf dem Weg zu sein, ebenfalls ein Teil des euro-asiatischen Imperiums unter russischer Führung zu werden – aus Schwäche und Unsicherheit.♦

© Iran Journal

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