Iran – Hamas: Eine brüchige Freundschaft

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Die Vorteile liegen jedoch bei den Revolutionsgarden, die sich in besonderer Weise einem Transnationalismus verpflichtet fühlen und damit nicht auf die Aufgabe beschränkt sind, die Landesverteidigung politisch und militärisch in den Vordergrund zu stellen. Als sich zwischen 2006 und 2008 im Irak erstmals eine militärische Kooperation zwischen den iranischen Revolutionsgarden und lokalen schiitischen Milizen abzeichnete und im informellen Sprachgebrauch erstmals von einer Achse des Islamischen Widerstands die Rede war, war das Bekenntnis zum Schiitentum bestimmendes Programm. 

Als dann 2012 die Achse aufgrund der iranischen Intervention in Syrien zu einer transnationalen Organisation der Revolutionsgarden ausgebaut wurde, spielte die Schiitisierung eine sehr grosse Rolle. Das syrische Alawitentum wurde fast wie eine zwölferschiitische Gemeinschaft betrachtet. Die Ansarullah (Huthi) im Jemen folgten nun dem Modell der Hizbullah und übernahmen grosse Teile der religiös-politischen Kultur der islamischen Revolution. Dafür opferten sie teilweise sogar ihre Sonderstellung als Hüter der zayditischen Tradition. 

Für die Hamas war eine analoge «Schiitisierung» und damit eine engere Kooperation mit der Achse bis 2015 ein No-Go, weshalb die Revolutionsgarden die Zusammenarbeit mit anderen lokalen Akteuren in Palästina wie dem Islamischen Dschihad, der PFLP und den Volkswiderstandskomitees bevorzugten. 

Dies änderte sich mit der Intervention der russischen Armee in Syrien 2015. Im Zuge der militärischen Neuordnung Syriens trat in der Propaganda der Revolutionsgarden der Bezug zum Schiitentum etwas in den Hintergrund, ohne jedoch auf den besonderen schiitischen Symbolraum zu verzichten. Dies erleichterte es jetzt den noch 2012 aus Damaskus nach Beirut, Istanbul bzw. Katar emigrierten Hamas-Kadern, die iranische Patronage anzunehmen. 

Entscheidend war die schleichende ideologisch-politische Loslösung der Hamas vom Umfeld der Muslimbruderschaft zugunsten einer weiteren Radikalisierung ihres religiösen Nationalismus. So verwundert es nicht, dass in der programmatischen Erklärung der Hamas von 2017 die frühere Selbstverortung bei den Muslimbrüdern nicht mehr erwähnt wird. Eine Aneignung der Symbolwelten der islamischen Revolution durch die Hamas, wie sie etwa im Kontext der Huthi im Jemen zu beobachten ist, ist bislang jedoch ausgeblieben.

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Die Achse des Islamischen Widerstands ist mehr als eine Interessengemeinschaft Irans mit parastaatlichen Organisationen in Jemen, Libanon, Syrien und Irak. Sie ist heute im Wesentlichen ein durch Unterordnung und Kontrolle gebildetes militärisches Bündnis, in dem die «Transnationalisten» der iranischen Revolutionsgarden in Gestalt der al-Quds-Brigaden das Sagen haben und in besonderer Weise vom Nimbus des 2020 ermordeten Kommandeurs Qassem Soleimani abhängig sind. Ihnen stehen die inneriranischen «Nationalisten» gegenüber, die als parallele Armee und Polizei für die innergesellschaftliche Ordnung zuständig sind.

Die iranische Revolutionsgardisten bei einer Parade in Teheran
Die Revolutionsgarde ist der maßgebliche Garant der Herrschaft der religiösen Gelehrten innerhalb und außerhalb des Iran

Die verbündeten parastaatlichen Gemeinschaften Hizbullah, Ansarullah (Huthi), Hamas/Jihad oder Hizbullah im Irak sind nicht direkt in die Kommandostruktur der al-Quds-Brigaden eingebunden, partizipieren aber an der gesamten Infrastruktur der Revolutionsgarden. Iran muss als der wichtigste Geldgeber angesehen werden, sofern es sich um direkte Zuwendungen handelt. Darüber hinaus finanzieren sich die einzelnen autonom agierenden Gemeinschaften durch ihre parastaatlichen Strukturen, die auch zum Beispiel in Syrien die lokalen al-Quds-Brigaden teilweise alimentieren. Eine besondere Rolle spielt dabei der Schmuggel von in Syrien und Libanon hergestelltem Captagon.

Die Propaganda der Achse des Islamischen Widerstands lässt sich am besten verstehen, wenn man sie mit der russischen Propaganda vergleicht. So wie die russische Propaganda den russischen Staat zum politischen Kern einer «russischen Welt» macht, die weit über die eigentlichen Grenzen Russlands hinausreicht, versteht sich die Achse mit ihrem politischen Zentrum im Iran als eine «islamische Welt», die weit über die Grenzen Irans hinausreicht. In der religiösen Ideologie Irans spielt dabei Jerusalem als spirituelles Zentrum dieser Welt eine entscheidende Rolle. Der Westen gilt als Erzfeind bei der Verwirklichung dieser «islamischen Welt», die natürlich ihren religiösen Raum in der Schia hat. Die Familienähnlichkeit zwischen russischer und iranischer Politik ist so gross, dass sich auch die Feindbilder und Feindkonstruktionen ähneln. 

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Die Transnationalisten der islamischen Revolutionsgarden im Iran haben sich mit der Achse des islamischen Widerstands eine Plattform geschaffen, auf der sie ihren Messianismus und ihre Eschatologie in Politik umsetzen können. Allerdings gibt es kein politisches Grundsatzdokument, das die strategischen Ziele und die ideologische Ausrichtung der Achse beschreibt. Ähnlich wie in der russischen Propaganda gibt es nur eine Vielzahl von begleitenden Reden, Veranstaltungen, Anlässen und Meinungsbeiträgen aus dem Umfeld der Garden, die ihre messianische Grundidee widerspiegeln. 

Indirekt lässt sich aber sagen, dass sich die Achse als Organ einer religiös-messianischen Vorstellungswelt versteht, mit der sie eine transnationale politische Ordnung im Nahen Osten schaffen will. Dabei dürften die Erfahrungen der schiitischen Gemeinden in den konfessionellen Auseinandersetzungen mit Angehörigen sunnitischer religiöser Nationalisten und ultrareligiöser Allianzen (Schiiten sind schliesslich die Hauptopfer von Terrorallianzen wie dem Islamischen Staat) eine grosse Rolle spielen. 

In dieser Vorstellungswelt spielt Jerusalem eine entscheidende heilbringende Rolle, was sie mit der Welt der religiösen Ultranationalisten der Hamas verbindet. Aber für sie ist Jerusalem nicht in erster Linie «palästinensisch», nicht Hauptstadt einer «Nation», sondern Ort einer islamisch interpretierten Endzeit und damit Wirkungsstätte des zwölften Imams. Wenn der Iran also mit den Revolutionsgarden in den Krieg eingreifen wollte, dann nur, wenn dies den messianischen Interessen der Garden diente.♦

Reinhard Schulze leitet das transdisziplinäre Forum Islam und Naher Osten an der Universität Bern. 

© Journal21

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