Gezielte bildungspolitische Einflussnahme?

Von unrechtmäßig erteilten Stipendien unter der Regierung Mahmud Ahmadinedjads sollen auch Parlamentsabgeordnete profitiert haben. Kritiker bezeichnen das als „wissenschaftlichen Verrat“ und werfen den Entscheidungsträgern vor, Menschen aus den eigenen Reihen damit den Weg zu bestimmten Positionen geebnet zu haben.

Vor gut einem Jahr, im Mai 2014, wurde im Iran eine brisante Affäre öffentlich, die sich in kürzester Zeit zu einem politischen Streitpunkt entwickelte. Das Ministerium für Wissenschaft, Recherche und Technik gab damals bekannt, dass unter der Regierung von Mahmud Ahmadinedjad 3.772 Universitätsstipendien zum Teil unrechtmäßig vergeben worden waren. Die ausgewählten Stipendiaten seien aus unterschiedlichen Gründen wie etwa zu schlechter Noten oder zu hohen Alters nicht qualifiziert gewesen. Manche hätten sogar die Aufnahmeprüfungen für die Universitäten umgangen.
Am vergangenen Wochenende bestätigte der Parlamentsabgeordnete Hamed Ghadermarzi, Vorsitzender der Fraktion der Akademiker, dass auch zehn Parlamentsmitglieder von der umstrittenen Stipendienvergabe profitiert hätten. Aus einer Liste der Stipendiaten, die im letzten Jahr in einigen iranischen Medien veröffentlicht wurde, war hervorgegangen, dass unter anderem hochrangige Politiker oder ihre Kinder oder Verwandten Stipendien erhalten haben sollen. Laut einer inoffiziellen Liste sollen auch Personen aus dem nahen Umfeld einiger Parlamentarier Stipendien erhalten haben.
Ein Minister verliert sein Amt

Das Parlament will die Befugnisse der Regierung bei der Optimierung der Subventionen einschränken und die Kontrolle des Parlaments darüber erweitern.
In den letzten Jahren kommt immer mehr die Verwicklung der Parlamentarier in den Korruptionsaffären zutage

Nach der umstrittenen Wiederwahl Ahmadinedjads im Jahr 2009 waren viele Studierende vom Studium ausgeschlossen, zahlreiche Universitätsprofessoren entlassen oder in den Zwangsruhestand versetzt worden, weil sie sich angeblich auf die Seite der Protestierenden geschlagen hatten. Reza Faradji Dana, erster Minister für Wissenschaft, Recherche und Technik in der Regierung Hassan Rouhanis, hatte diese Strafmaßnahmen teilweise aufgehoben und auch die Entlassungen zum Teil rückgängig gemacht. Er vergab zudem Ämter an einige Personen, die von ultrakonservativen Abgeordneten beschuldigt werden, an den Protestbewegungen von 2009 teilgenommen zu haben. Dafür wurde Faradji Dana im August 2014 unter dem Einfluss der Ultrakonservativen im Parlament abgesetzt. Allerdings sollen sich die zehn Parlamentarier, die unrechtmäßigerweise Stipendien erhalten hatten, bei der Abstimmung darüber „zurückgehalten“ haben, sagte jedenfalls Hodjatollah Darvishpour, ein Mitglied der parlamentarischen Fraktion für Bildung und Recherche. Dafür soll ihnen zugesichert worden sein, dass ihre Namen im Falle der Bekanntgabe der Stipendien nicht genannt werden würden, behauptet der Abgeordnete.
Angriff auf die Bildungselite?
In beiden demokratieorientierten Protestbewegungen der vergangenen 20 Jahre – der Studentenbewegung 1999 und der sogenannten „Grünen Bewegung“ nach den Wahlen von 2009 – spielte die Bildungselite eine wichtige Rolle. Die umstrittenen Stipendiaten können nach Abschluss ihres Studiums unter anderem als Dozenten an der Universität arbeiten.
HochschulabsolventInnen können nach Abschluss ihres Studiums als DozentInnen an der Universität arbeiten
HochschulabsolventInnen können nach Abschluss ihres Studiums als DozentInnen an der Universität arbeiten

Ist das eine gezielte Positionierung Regimetreuer an sensiblen Posten? Kamran Daneshdjou, der Ex-Minister für Wissenschaft, Recherche und Technik, dessen Ministerium für die unrechtmäßige Stipendienvergabe verantwortlich gemacht wird, bestätigt diese Theorie indirekt. Laut dem im vergangenen Herbst veröffentlichten Abschlussberichts des Ministeriums über die Affäre soll der Ex-Minister die Vergabe mit folgenden Worten verteidigt haben: „Diejenigen, die ihre Loyalität in schwierigen Zeiten und Situationen bewiesen haben, sollen belohnt werden. Die Taten der Menschen sind für uns ausschlaggebend. Alles andere wäre ungerecht.“
Kritiker sehen damit die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit des Bildungssystems in Gefahr. Mostafa Sharif etwa, Dozent an der Teheraner Allameh-Tabatabaie-Universität, ist der Meinung, da Bildung die Zukunft jeder Gesellschaft präge, sei das Schwächen des Bildungssystems „wissenschaftlicher Verrat“.
Noch keine rechtliche Konsequenz
Dem Abschlussbericht zufolge wurden unterdessen 863 der insgesamt 3.772 bedenklichen Stipendien wieder aberkannt. Dem Rest der Stipendiaten wird das Studium allerdings wie geplant staatlich finanziert. Mit Rücksicht auf mögliche gesellschaftliche und politische Konsequenzen seien in manchen Fällen harte Entscheidungen vermieden worden, heißt es dazu in dem Bericht.
IMAN ASLANI