Berlinale ermöglicht Einblick hinter die Kulissen des Iran
Meist sind Filme ein Spiegelbild der Gesellschaft, und das gilt auch im Iran. Doch die Filme der Islamischen Republik stellen auch ein Barometer für gewährte Freiräume dar. Konnten die diesjährigen iranischen Berlinale-Beiträge dieser Aufgabe gerecht werden?
Sandige Landschaften und ein historischer Friedhof bieten die passende Kulisse für den iranischen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag “Ejdeha vared mishavad” (“A DragonArrives”). Neben dem Friedhof steht ein Schiffswrack, in dem ein toter Mann an einem Seil baumelt. Selbstmord oder Hinrichtung? Den ermittelnden Beamten des Geheimdienstes interessiert diese Frage nicht. Ein “unliebsames Element“ ist eliminiert. Was den jungen Offizier aber beschäftigt, ist die Lebensweise des Toten. Der politische Aktivist ist vor langer Zeit in die Einöde der Insel Qeshm im Süden des Iran verbannt worden. Er hat im Bauch des Schiffes, das kein Tageslicht durchlässt, bei Kerzenlicht Bücher gelesen. Seine eigenen Geschichten hat er wie in einer Gefängniszelle an die Wände gekritzelt.
Er hat auch eine junge Frau aus dem Dorf geliebt, die nun verschwunden ist. Die Dorfbewohner reden nicht über die Verschwundene, nur ihre Mutter hilft dem Ermittlungsbeamten, die Tochter zu finden. Die liegt, kurz vor der Entbindung, im Bauch des Schiffes, versteckt unter Bodenbrettern. Sie stirbt, doch ihr Baby überlebt. Wir, die Zuschauer, sehen die Frau nicht.
Die Geschichte spielt zwar im Iran der 60er Jahre, doch Parallelen zum heutigen Iran liegen auf der Hand. Es liegt nahe, das von Gräbern umgebene Schiffswrack als Allegorie für das Land zu nehmen – ein Land, das sich der Außenwelt verschließt, in dem Massen von Hinrichtungen stattfinden und viele Intellektuellen und Schriftsteller inhaftiert, verbannt und hingerichtet wurden.
In dem Film sind Phantasie und Dokumentarisches, Gegenwart und Geschichte eng verwoben. Regisseur Mani Haghighi packt seine angeblich real stattgefundene Geschichte in eine Fülle aus dokumentarischen Elementen und phantasievollen Einfällen. Der 46-Jährige lässt am Ende die Zuschauer über den Wahrheitsgehalt der Geschichte fantasieren – und bringt seine Zufriedenheit zum Ausdruck, wenn diese ihm gestehen, “Wahrheit” und “Fiktion” nicht auseinanderhalten zu können. Ihre vielfältigen Interpretationen bereiten dem Regisseur deutliches Vergnügen.
Sozialkritik direkt
Die drei anderen Berlinale-Beiträge aus der Islamischen Republik lassen keinen Platz für Vermutungen. Sie gehen direkt zur Sache. Der Film “Valderama” des Regisseurs Abbas Amini und der Dokumentarfilm „Royahaye dame sobh“ (“Starless Dreams”) von Mehrdad Oskouei sind sozialkritische und bewegende Filme. Oskouies Film hat bereits den Menschenrechtspreis von Amnesty International gewonnen.
In “Valerama” geht es um Vergewaltigung, Mord, Prostitution und um uneheliche Kinder aus diesen Milleus. Kinder unverheirateter Paare oder von Sexarbeiterinnen wachsen im Iran in der Regel ohne Papiere auf. Sie sind auf sich selbst gestellt. Ohne Papiere können sie keine Schulen besuchen. Sie existieren offiziell nicht und erleiden oft dasselbe Schicksal wie ihre Eltern.
Dokumentation über inhaftierte Frauen
„Royahaye dame sobh“ (“Starless Dreams”) von Mehrdad Oskouei beschäftigt sich mit der rechtlichen Benachteiligung und Schutzlosigkeit von Mädchen und jungen Frauen. Der Dokumentarfilm ist in einem Gefängnis gedreht. Die Bewohnerinnen waren schutzlos dem Elend und der Brutalität ihrer männlichen Familienmitglieder ausgeliefert. Sie waren Drogendealerinnen, stammen von unverheirateten Paaren und haben keine gültigen Papiere, sind Ehefrauen oder Töchter brutaler Männer. Sie sind Mütter von Säuglingen, Mädchen, die von zuhause wegliefen, auf der Straße lebten und ihren Unterhalt mit Prostitution, Drogenhandel und Diebstahl verdienten.
Darunter sind junge Frauen, die sich selbst verletzen und den Tod wünschen. Sie hatten Verwandte, die sie jahrelang sexuell missbraucht haben: Sie hatten Angst davor, der Lüge bezichtigt zu werden, wenn sie darüber sprechen, Angst vor dem Skandal. Darunter sind solche, die von ihren eigenen Vätern missbraucht wurden und aus Schamgefühl weggelaufen sind. Kinder, die gemeinsam mit ihren Müttern und Geschwistern nach jahrelangem Missbrauch den eigenen Vater ermordeten oder von ihren drogenabhängigen Vätern zur Sexarbeit gezwungen wurden.
Als der Regisseur ihnen anbietet, ihm ihre Fragen zu stellen, lauten diese, warum ein Vater sein Kind töten kann, ohne je dafür bestraft zu werden. Wenn aber ein Kind dem Vater etwas antut, es erhängt wird, auch wenn es gute Gründe dafür hat, etwa, sich selbst zu verteidigen? Oder warum bei der islamischen Blutrache das Leben einer Frau nur halb soviel wert ist wie das eines Mannes? Nach islamisch-iranischem Strafrecht sind die Kinder Eigentum des Vaters. Wenn er sein Eigentum beschädigt, wird er nicht bestraft. Für Mütter gilt das nicht.
Eine Gang im Fokus
Auch der Panoramabeitrag „Lantouri“ von Reza Dormishian thematisiert soziale Missstände. „Lantouri“ ist der Name einer Gang, die ein Sammelbecken von Loosern ist. Baran, eine Frau aus der Provinz, ist mit 15 Jahren als Ehefrau an einen 50-jährigen Drogenabhängigen verkauft worden. Nach Teheran verschleppt und zur Prostitution gezwungen, lernt sie Pasha, den Ganganführer, kennen. Er hilft ihr, sich „selbständig“ zu machen und auf eigene Rechnung zu arbeiten. Pasha wuchs in einem Kinderheim auf. Ein weiteres Gangmitglied ist ein ehemaliger Physikstudent, der aus der Uni ausgeschlossen wurde und nun illegal mit Devisen handelt. Junge Menschen, die selbst die Brutalität der Gesellschaft gespürt haben und sozialen Missständen zum Opfer gefallen sind, versuchen mit Gewalt, ihren Anteil an Leben und Glück zurückzufordern.
Tabus brechen
Tabus zu brechen ist in iranischen Filmen nichts Neues. Doch Lanturi fasst ein unübliches Thema an. In den iranischen Medien kommen Sexarbeiterinnen kaum vor. Ihnen in einem Spielfilm menschliche Züge zuzuschreiben und sie liebenswert darzustellen ist zweifacher Tabubruch.
Dormishian sympathisiert mit einer Gruppe von Verlierern, die sich mit den korrupten Machthabern nahestehenden Reichen anlegt und sie zur Rechenschaft zieht. Eventuell wurde ihm deshalb die Drehgenehmigung für bestimmte öffentliche Räume verweigert. Die Dreharbeiten des Films wurden dadurch monatelang verzögert, bis er Ersatzräume schaffen ließ.
Der 34jähirge Regisseur war schon immer ein harter Brocken für die iranische Zensurbehörde. Sein vorletzter Film “Asabani Nistam!” (“I’m not angry!”), der 2014 auf der Berlinale lief, wurde für das Fajr-Filmfestival in Teheran von der Zensurbehörde um 17 Minuten gekürzt und nicht für iranische Kinos zugelassen.
In der Regel sind Filme ein Spiegelbild der Gesellschaft und das gilt auch im Iran. Doch dazu kommt, dass die Filme in der Islamischen Republik auch ein Barometer für gewährte Freiräume darstellen. Präsident Hassan Rouhani hatte in seinem Wahlkampf versprochen, der Kunst mehr Freiheiten einzuräumen. In der Regierungszeit seines Vorgängers Mahmoud Ahmadinedschad wurden kaum offen sozialkritische Filme zugelassen. Es scheint, als hätte sein Nachfolger es nicht leicht, seine Wahlversprechen einzuhalten.
Die Berlinale hat in den vergangenen Jahren einen enormen Beitrag dazu geleistet, Werken kritischer iranischer FilmemacherInnen zu mehr Popularität zu verhelfen. Das renommierteste Beispiel ist Jafar Panahi. Er wurde mit seinem Kollegen Mohammad Rasoulof wegen Sympathie mit den Protestierenden nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2009 festgenommen. Rasoulof wurde zu einem Jahr und Pananhi zu sechs Jahren Haft verurteilt. Außerdem wurde ihnen 20 Jahre lang verboten, Filme zu drehen und Drehbücher zu schreiben, ins Ausland zu reisen und Interviews zu geben. Trotzdem hat Panahi ohne Genehmigung einige Filme gedreht. 2015 gewann sein Film „Taxi“ den Goldenen Bären. 2013 hat er den Silbernen Bären für das beste Drehbuch mit seinem Film „Parde“ (“Vorhang”) gewonnen. Darin setzte Panahi sich selbst, sein Leben, die Zwänge und Einschränkungen, mit denen er zu kämpfen hat, in Szene.
NASRIN BASSIRI
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