Trauer über Todesurteil, Freude über Freilassung

Wegen „Beleidigung des Propheten“ soll im Iran ein junger Mann hingerichtet. Freigelassen wurde dagegen eine Studentin, die monatelang wegen des Besuchs eines Volleyballsspiels im Gefängnis saß. Dafür sehen die WebnutzerInnen nur einen Grund: den Druck der Weltgemeinschaft.
Soheil Arabi, Fotograf und einer der bekanntesten Blogging- und Facebookaktivisten des Iran, ist wegen „Beleidigung des islamischen Propheten“ zum Tode verurteilt worden. Das Urteil wurde schon durch das Oberste Gericht der Islamischen Republik bestätigt. Der Vorwurf basiert auf Bemerkungen, die Arabi auf Facebook gemacht hat und mit denen er nach Ansicht der Behörden den Propheten beleidigt haben soll.
Die Nachricht über die Verurteilung des 30-jährigen Familienvaters löste unter iranischen InternetnutzerInnen Entsetzen aus. „Ich bin sprachlos, ich schäme mich für unser Land, das von einem Haufen Bestien regiert wird. Heutzutage reicht eine simple Meinungsäußerung, um mit dem Tod bestraft zu werden“, schreibt beispielsweise Pardis unter einem Youtube-Video von Saham News, das ein Interview mit der Frau des Verurteilten zeigt. Der Twitter-User Saman Jafari schreibt: „Unfassbar! Manche verüben Säureanschläge auf Frauen und laufen trotzdem noch frei herum, während andere, die nur ein Facebook-Posting teilen, zum Tode verurteilt werden.“ Auch Youtuber Mahdi Nosrati ist empört: „Wir werden jeden Tag Zeugen von unverständlichen Urteilen unserer Justiz. Es scheint, als seien die Herren Richter darum bemüht, so boshaft wie möglich zu sein.“
„Das ist nicht der wahre Islam“
Ein anderer Besucher des Saham-News-Channels, Ali Farzad, richtet seinen Unmut gegen die Religion und die Religiösen: „Meinen Glückwunsch, liebe Gläubige. Ihr könnt jetzt in aller Ruhe euren Gebeten nachgehen. Mit dem Tod Soheil Arabis wird der Islam jetzt ganz sicher gefestigter sein“, schreibt er ironisch. Kritik am Islam übt auch Faramarz, ein User der Facebookpräsenz des Nachrichtenportal IranWire: „Wo immer diese Religion herrscht, müssen die Menschen um ihre Freiheit und um ihr Leben bangen. Mögen wir alle noch Zeugen einer Zeit werden, in der unsere Kinder solche Urteile nur aus den Geschichtsbüchern kennen.“ Balatarin-User Tiger89 verurteilt zwar das Urteil gegen Arabi, nimmt aber den Islam in Schutz: „Sollte Soheil tatsächlich hingerichtet werden, dann wird ein junges Mädchen ohne Vater aufwachsen. Das kann doch keine Rache für den mutmaßlich beleidigten Propheten sein. Das ist nicht der wahre Islam.“ Auch Twitter-User Khodneviss gibt zu verstehen, dass er als Moslem das Todesurteil nicht gutheißt: „Ich bin Moslem“, schreibt er: „Als solcher möchte ich mich im Namen aller Gläubigen für das Leid, das Soheil und seine Familie erdulden müssen, entschuldigen.“
Aufruf zur Rettung
Einige Netz-AktivistInnen hoffen noch darauf, dass Soheil Arabis Leben gerettet werden kann. So auch Twitter-Userin Nikoo: „Ich möchte nicht, dass Soheil Arabi ein zweiter Sattar Beheshti wird (der Blogger Beheshti starb 2012 in Haft, TFI). Ich bitte inständig darum, dass jeder alles dafür tut, dass Soheils Tochter nicht ohne ihren Vater aufwachsen muss.“ Ähnlich äußert sich Bahar Narenj auf dem YouTube-Channel von Saham News: „Wir müssen jetzt handeln. Aber was können wir tun? Wir müssen aktiv werden, bevor es zu spät ist.“ Helfen möchten auch die Initiatoren einer Facebook-Seite, die zur Rettung Soheil Arabis aufruft: Auf „Lasst Soheil Arabi am Leben“ versuchen NetzaktivistInnen seit Anfang September mit Fotos und Beiträgen auf das Schicksal des jungen Iraners aufmerksam zu machen. Knapp 2.300 UserInnen haben die Seite bereits mit „Gefällt mir“ markiert. Doch nicht alle BesucherInnen sind der Überzeugung, dass die Facebook-Seite mit ihrem Anliegen Erfolg haben wird. Userin Raha etwa ist skeptisch: „Auch für Reyhaneh Jabbari gab es solche Facebook-Kampagnen. Was ist am Ende passiert? Sie wurde hingerichtet.“
Ghavami (vorerst) in Freiheit

Ghoncheh Ghavami
Ghoncheh Ghavami

Erfolgreich scheint dagegen die internationale Kampagne zur Freilassung der iranischen Jurastudentin Ghoncheh Ghavami zu sein. Die Anglo-Iranerin war bei der Volleyball-Partie zwischen dem Iran und Italien am 20. Juni verhaftet und Anfang November zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Zudem wurde ihr untersagt, für zwei weitere Jahre den Iran zu verlassen. Zahlreiche PolitikerInnen und Organisationen wie der Volleyball-Weltverband FIVB oder auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) setzten sich für Ghavamis Freilassung ein. Die iranische Justiz hat jedoch stets dementiert, dass Ghavami nur wegen des Besuchs des Volleyballspiels verhaftet worden sei. Sie habe „Propaganda gegen das Regime“ verteilt, so die die Darstellung der offiziellen Seite. Nun ist sie jedoch – für viele überraschend – wenige Wochen nach der Verkündung des Urteils gegen Zahlung einer hohen Kaution unter Auflagen vorübergehend freigelassen worden.
Zahlreiche IranerInnen zeigen sich auf sozialen Netzwerken und in den Kommentarspalten diverser Nachrichtenportale erfreut über die Freilassung Ghavamis: „Das ist wirklich eine gute Nachricht. Möglicherweise ist das Menschenrechtsthema bei den jüngsten Atomverhandlungen ja doch zur Sprache gekommen“, spekuliert ein anonymer Besucher von Radio Farda. Ein anderer User der Seite stellt fest: „In den letzten Tagen hat sich der Iran in Menschenrechtsangelegenheiten etwas bewegt. Ich interpretiere das als eine Annäherung an Washington.“ Manche Internet-UserInnen rechnen jedoch damit, dass die Freilassung Ghavamis nicht endgültig sei. Sie raten ihr zur Flucht: „Wenn ich Ghoncheh wäre, würde ich meine Siebensachen packen und schnellstmöglich wieder zurück nach England gehen, bevor der Fall wieder aufgerollt wird“, schreibt Hooman auf Radio Farda. Ähnlich äußert sich Nima: „Ghonchehs Familie sollte auf die Kaution verzichten und ihr zur Flucht nach England verhelfen. Besser sie bekommen das Geld nicht zurück als dass ihre Tochter wieder ins Gefängnis muss.“
Iran braucht Druck“
Screen shot: Facebookseite für die Freilassung von Ghoncheh Ghavami
Screen shot: Facebookseite für die Freilassung von Ghoncheh Ghavami

Für viele NetzuserInnen ist der Grund für die Freilassung Ghavamis eindeutig: internationaler Druck. So schreibt ein anonymer Besucher von Radio Farda: „Die Vorgehensweise der iranischen Justiz ist mir ein wirkliches Rätsel. Menschen werden ohne jeden Grund verhaftet und verurteilt, ohne dass die Angeklagten sich einen Anwalt nehmen dürfen. Dann aber werden sie ganz plötzlich wieder auf freien Fuß gesetzt. Es scheint mir, dass die Justiz Druck von außen braucht, um richtige Entscheidungen zu fällen.“ Ähnlich wird auch auf Twitter argumentiert: „Ohne den Druck der internationalen Gemeinschaft müsste Ghoncheh wohl sogar um ihr Leben bangen. Offenbar hat das Regime in letzter Zeit verstärkt Facebook- und Twitter-User auf dem Kieker“, schreibt Befinishedwohl in Anspielung auf das Todesurteil gegen Soheil Arabi. Ebenso schreibt Twitter-User Abbas Mohammadi: „Dass man Ghoncheh freigelassen hat, ist mal wieder ein Beweis dafür, dass dieses Regime sich nur dann zum Positiven verändern wird, wenn die Weltgemeinschaft sich einmischt und dem Iran auf die Finger schaut.“
Der Iran als Gefängnis
Neben der Freilassung Ghavamis sorgt auch noch Wochen nach seiner Verkündung das Urteil gegen sie für Gesprächsstoff unter den Internet-NutzerInnen. Zahlreiche IranerInnen betrachten den Urteilsspruch der Justiz als Beweis dafür, dass das Leben im Iran selbst eine Strafe sei. So schreibt beispielsweise Amir Farshad Ebrahimi auf Twitter: „Neben der einjährigen Haftstrafe ist Ghoncheh ein zweijähriges Ausreiseverbot erteilt worden. Das bedeutet, dass die Justiz selbst den Iran als eine Art Gefängnis betrachtet.“
Auch auf der mit knapp 30.000 „Gefällt mir“-Klicks erfolgreichsten Facebook-Kampagnenseite für die Freilassung Ghavamis wundern sich manche über das Ausreiseverbot: „So bitter das Urteil für alle freiheitsliebenden Menschen und Demokraten auch war und so glücklich ich jetzt über ihre Freilassung bin, muss ich immer noch über das Ausreiseverbot schmunzeln. Das Regime schießt ins eigene Tor und merkt es nicht einmal“, schreibt Facebook-Userin Nasrin.
JASHAR ERFANIAN