Alternativen zur Islamischen Republik im Iran

Warten auf einen Wegweiser

Übergang oder Sturzklippe

Solche Wünsche und Hoffnungen in allen Ehren, doch die kommende Wirklichkeit wird brutal und erbarmungslos sein; darüber sind sich alle einig. Selbst die Mächtigen im Land prophezeien eine harte Zukunft und fordern die Bevölkerung deshalb zu Geduld auf. Am 12. Januar erklärte ein Regierungssprecher, bald werde ein Couponsystem für Brotverteilung eingeführt. Offiziell leben im Iran etwa 70 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.

Wo man auch stehen, welche Perspektive man auch einnehmen mag: Die Wirklichkeit birgt die Potenziale eines Albtraums in sich. Vielfältig sind die Namen dieses dunklen Szenarios: syrische Verhältnisse, Bürgerkrieg oder eine wüste Wirklichkeit, in der jeder versucht, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die Vorboten dieser beängstigenden Realität sind schon zu sehen.

Der „Übergang“ könnte sich ohne Wegweiser als mörderische Klippe erweisen.

Zahlreich, vielfältig und bunt sind zwar die iranischen Oppositionsgruppen, politischen Zirkel und Think-Tank-Teams. Doch eine effektive Organisation, eine landesweite Partei oder ein Netzwerk, das diese überaus schwierige Phase managt, ist nicht in Sicht.

Die einzige Partei

In der politischen Geschichte der letzten 100 Jahren gab es eine einzige Partei im Iran, die diesen Namen wirklich verdient. Das war die Tudeh-Partei, eine moskauhörige kommunistische Organisation mit allem, was man von Parteien gleichen Typs kennt: Zentralkomitee, Politbüro, Massenorganisationen für alle Teile der Bevölkerung und natürlich der unabdingbare „demokratische Zentralismus“. Das Zentralkomitee entwarf den Plan und bestimmte den Weg, auf dem Mitglieder und Sympathisanten zu marschieren hatten. In Wahrheit war die Tudeh nicht viel mehr als eine Filiale des sowjetischen Komintern. Antiimperialismus war für die Partei die Wahrung der sowjetischen Interessen im Iran.

Und als 1979, auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, die islamische Republik mit ihrem in jeder Hinsicht spektakulären Antiamerikanismus die Weltbühne betrat, da schien die Tudeh-Partei in ihrem Element zu sein. Plötzlich standen ihr gesamtes Potenzial, ihre jahrzehntelange politische Erfahrung und vor allem ihre offenen und geheimen Kanäle zur Sowjetmacht den neuen Machthabern zur Verfügung. Und sie haben es verstanden, von all dem bestens Gebrauch zu machen. Genau fünf Jahre lang, länger als jede andere politische Organisation, duldeten sie die kontrollierte Existenz der Tudeh. Und als sie sich ihrer eigenen Kanäle und Verbindungen nach Moskau sicher waren, starteten sie einen gnadenlosen Vernichtungsfeldzug gegen alle Glieder der Partei. Massenhinrichtungen und Folter gehörten ebenso dazu wie öffentliche Geständnisse und Reuebekundungen im Fernsehen.

Putin braucht keine Partei

Die Eliminierung war total, die Tudeh erholte sich nicht mehr davon. Die heutige Existenz der Partei zeigt sich eher in einer Webseite als in einer spürbaren Realität. Und wegen ihrer langen und wirksamen Unterstützung der Mächtigen in der Islamischen Republik steht die Tudeh-Partei auch in der Opposition in Verruf. Und Wladimir Putin benötigt heute für seine Beziehungen zu Ali Chamenei weder eine Partei noch einen Vermittler. Er bestimmt selbst mit, was in Teheran geschieht.

Russlands Präsident Wladimir Putin besuchte 2015 Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei und schenkte ihm einen alten Koran
Russlands Präsident Wladimir Putin besuchte 2015 Irans Staatsoberhaupt Ali Khamenei und schenkte ihm einen alten Koran

Doch das tragische Schicksal der Tudeh prägt nicht nur die Vergangenheit. Wie eine schwere Last, eine untilgbare Saat des Misstrauens beeinflusst die Geschichte der Partei die Gegenwart der gesamten iranischen Opposition. Deren Bereitschaft zu Kooperation ist immer noch rudimentär. Sehr langsam, unter dem Druck der harten Realität, fangen sie nun an, gemeinsame Foren und Zirkel für eine effektive Zusammenarbeit zu bilden. Bis zu einer einheitlichen Oppositionsfront gegen die Islamische Republik ist es jedoch noch ein sehr weiter Weg. Vieles müssen sie überwinden, um den politischen Kompromiss für die Iranerinnen und Iraner akzeptabel zu machen. Das Wort Kompromiss wird im Persischen mit سازش übersetzt, worunter eher Unterwerfung, Aufgeben oder Dulden verstanden wird als Ausgleich, Mittelweg oder Verständigung.

Keine Führer*innen in Sicht

Mit einem Alleinanspruch das Licht der Welt zu erblicken und dann langsam in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, das scheint das Schicksal mancher Vereine und Organisationen zu sein, die in einer Blase von Ideologien und Glaubenssätzen verharren. Dass die Revolution kommen wird, dessen sind sich trotzdem viele linke Gruppen gewiss. Folgenden bekannten Satz Lenins halten sie für eine fast mathematische Gewissheit:

Eine revolutionäre Situation gibt es dann, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen.“

Die politische Geschichte Irans ist auch die Geschichte von Persönlichkeiten. Historische Wendepunkte der vergangenen 100 Jahren beginnen und enden mit bekannten Personen, mögen sie Reza Pahlevi, Mohammad Mossadegh oder Ruhollah Chomeini heißen. Ohne Vater war in der Vergangenheit ein Vorwärtskommen in dieser paternalistischen Gesellschaft nicht denkbar.

Eine Ironie der Geschichte ist aber, dass sich im heutigen Iran die Frauen zu einer relevanten politischen Größe entwickelt haben – obwohl die islamische Republik alles Mögliche unternimmt, um sie von der Teilhabe am öffentlichen Leben fernzuhalten. 60 Prozent der Studierenden sind Frauen. 2020 wurde mit der Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh erstmals eine Iranerin mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. 2021 wurde die iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen – beide auch Nicht-Iranern bekannte politische Gefangene mit anerkannter moralischer Autorität. Die wichtigste reformorientierte Partei, die im Iran noch geduldet wird, wählte Mitte Dezember eine Frau zur Parteichefin; die streng verschlossene Organisation der Volksmujahedin wird ebenfalls von einer Frau geführt.Und Farah Pahlevi, die Witwe des Schahs, genießt beachtenswertes Ansehen auch jenseits der RoyalistInnen.

Die Beispiele, wie Iranerinnen sich den öffentlichen Raum erkämpfen, ließen sich fortsetzen. Die Zeit hin zu einer bekannten Oppositionsführerin ist nicht mehr lang. Denn zwingend ist es nicht, dass in dieser gefährlichen Phase der Geschichte ein Mann die versprengte iranische Opposition anführt. Doch ob Mann oder Frau: Eine vertrauens- und glaubwürdige Persönlichkeit, die nicht nur von den Oppositionsgruppen, sondern auch von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert wird, ist noch nicht in Sicht.

Bewegungen gebären ihre eigene Persönlichkeiten; Revolutionsführer kommen in der Revolution zur Welt, sagen OptimistInnen. Doch was tun, wenn angesichts der 42-jährigen Herrschaft der Revolutionsmacht viele jegliche Revolution fürchten.♦

Dieser Artikel ist ein Teil des Dossiers „Alternativen zur Islamischen Republik im Iran“. Hier klicken, um das gesamte Dossier zu öffnen. 

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