„Ein Mörder als Hoffnungsträger“

Es war Dienstag, als ich das letzte Mal zum Kriminalamt ging, um den Offizier, dem die Akte zugeteilt wurde, zu treffen. Ich stand vor seinem Tisch mit dem Aktenzeichen in der Hand. „Was willst Du? Wo war der Einbruch? Was wurde geraubt?“, fragte er laut und unfreundlich, ohne seinen Blick vom Tisch zu heben. Als ich erwiderte, dass die ihm vorliegende Akte diese Informationen beinhalte, wurde er noch lauter: „Antworte nur, wenn ich frage!“ Ich protestierte gegen seine sinnlosen Fragen und seinen unverschämten Umgangston. „Setz Dich draußen hin, bis ich Dich rufe“, befahl er und zeigte mir die Tür. Ich verließ das Büro mit der Bemerkung, dass ich meinen Anwalt schicken würde und er so lange schreien solle, bis ihm die Luft wegbleibe. Voller Schamgefühl gegenüber jenen, die keinen Anwalt hatten und solchen Schikanen ausgesetzt waren, ohne sich wehren zu können, verließ ich das Amt. Kurz danach rief der Offizier mich an und fragte versöhnlich: „Wieso sind Sie gegangen, Frau Forouhar? Ich hatte Sie gebeten, zu warten. Kommen Sie zurück, ich bitte darum.“ Ich ließ ihn ein paar Mal bitten und kehrte dann um. Als ich ankam, war er wie ausgewechselt. Er sprach versöhnlich und in familiärem Ton und behauptete, ich sei diejenige gewesen, die schroff reagiert habe. Er beschäftigte sich mit übertriebener Aufmerksamkeit mit der Akte und überschüttete mich mit Fragen. Ich musste wieder an Saadis Satz denken. Wie hatten sich hier Aggression und Heuchelei zu einem Vexierbild der Willkür zusammengesetzt.

Ein Kalender mit Selbstmordszenen

Vor meiner Abreise hatte ich eine künstlerische Publikation vorbereitet, die ich in Teheran präsentieren wollte. Der verlängerte Aufenthalt gab mir die Möglichkeit, das Vorhaben zu realisieren. Es handelte sich um einen Kunstkalender, der aus zwölf digitalen Zeichnungen bestand. Sie sind die überarbeitete Fassung eines meiner Frühwerke von 1997. Die Zeichnungen zeigen Selbstmordszenen von Frauen in idyllischen, miniaturähnlichen und häuslichen Umgebungen; gleichzeitig Darstellung und Kaschierung der Inhalte.

Ein Kalender mit Selbstmordszenen, von Parastou Forouhar
Ein Kalender mit Selbstmordszenen, von Parastou Forouhar

Die Präsentation des Kalenders war in einer Galerie, mit der ich zusammenarbeite, festgesetzt. Nur Stunden nach der Ankündigung der Veranstaltung über deren Internetseite kam eine harte Reaktion der Sicherheitspolizei. Es folgte Vorladungen und Verhöre der Galeristin und des Druckeierbesitzers. Ein Verbot wurde verhängt, dessen Missachtung nicht nur die Schließung der Druckerei und der Galerie, sondern auch die Verhaftung der Inhaber nach sich ziehen würde. Da ich bei diesem Prozess von den Sicherheitsbehörden völlig außen vor gelassen wurde, war mir jegliche Möglichkeit zum Protest untersagt. Kurz bevor die Galerie die Absage der Veranstaltung veröffentlichte, rief mich eine Journalistin an, die für eine kritische, den Reformisten nahestehende Tageszeitung schreibt. Als ich sie über das Verbot informierte, drückte sie ihr Bedauern aus und verabschiedete sich. Ich verstand, dass auch in der aktuellen „Ära der Mäßigung und Liberalität“ der kritischen Presse nur erlaubten Aktivitäten als Nachrichten genehmigt wurden. Verbote werden weiter verschwiegen.
Das Verbot schenkte mir einen freien Nachmittag, den ich zum Besuch einer Gedenkstätte nutzte, die zur Ehrung des Freiheitskampfes gegen das diktatorische Schah-Regime in einer historischen Gefängnisanlage eingerichtet worden war. Ich habe viele Erinnerungen an diesen Ort, wo mein Vater als Schahgegner jahrelang inhaftiert war und ich ihn als Kind und Jugendliche besuchte. Die alte Anlage ist teils abgerissen, teils renoviert worden. Ich konnte sie kaum wieder erkennen. Der Ort spiegelt die Repräsentation der Geschichte im heutigen Iran wider: verfälschte Inhalte und dekorative Oberflächen. Er ist eine Ensemble aus sorgfältig poliertem Mauerwerk, parkähnlichen Grünanlagen mit Bänken und zu Kulissen ausgebauten Zellen und Gängen. Ideal für Dreharbeiten von Fernsehserien, für schön gestaltete Infotafeln, die zensierte Versionen der Geschichte in kitschiger Sprache wiedergeben, und Fotos einer Auswahl der damaligen Inhaftierten, die dem jetzigen Regime angehören oder nahe stehen. Mein Vater, wie zahlreiche andere Dissidenten, ist aus der Erzählung gestrichen worden. Als ich die freundlichen Wärter darauf ansprach, trösteten sie mich in versöhnlichem Ton: „Es könnte ein einfacher Fehler sein. Seien Sie nicht misstrauisch.“ Nur der Anblick der alten Tannenbäume, die damals am Rand des Gehwegs standen, über den man den Besuchertrakt erreichte, entsprach meiner Erinnerung an diesen Ort.

Besuch eines geschichtsträchtigen Hauses

Das Haus von Mohammad Mossadegh - Foto: Parastou Forouhar
Das Haus von Mohammad Mossadegh – Foto: Parastou Forouhar

Kurz vor meiner Abreise besuchte ich Ahmadabad, ein kleines Dorf weit entfernt von Teheran, wo das Grab von Mohammad Mossadegh, dem politischen Idol meiner Eltern, liegt. Er war Premierminister Irans Anfang der 50er Jahre, stand für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Souveränität des Landes, und wurde durch einen Putsch entmachtet, dessen Drahtzieher amerikanische und englische Geheimdienste waren. Danach lebte Mossadegh unter Arrest und Hausarrest in Ahmadabad bis zu seinem Tod. Begraben wurde er in einem Zimmer seines Hauses. Ahmadabad ist schon immer ein unliebsamer Ort für die Machthaber im Iran gewesen, jenen der Monarchie und jenen der Islamischen Republik. Nun besteht für den Ort sogar Eintrittsverbot an Mosaddeghs Geburts- und Todestag.
Es war einen Tag vor Mosaddeghs 49. Todestag, als ich mit einer kleinen Gruppe älterer Herren aus der Opposition nach Ahmadabad fuhr, begleitet von Mosaddeghs Enkel. Der Besuch war geheim gehalten worden und wir fuhren auf Umwegen, um nicht aufzufallen.
An diesem symbolischen Ort für die Kontinuität des iranischen Freiheitskampfs, wo jahrzehntelang Protestaktionen stattgefunden haben, spürte ich die Abwesenheit einer oppositionellen Haltung am deutlichsten. Denn der Besuch war eine zutiefst unpolitische Aktion zu einem politischen Anlass; ein Erinnern, das nicht als Haltung in die Gegenwart wirkt. In der zweiten Märzwoche beendete ich meine Reise.

 PARASTOU FOROUHAR

Zur Person:
Parastou Forouhar, geboren 1962 in Teheran, studierte bis 1990 Kunst an der Universität Teheran und kam 1991 nach Deutschland. Neben zahlreichen Ausstellungen in unterschiedlichen Ländern schrieb sie ein Buch mit dem Titel „Das Land, in dem meine Eltern umgebracht wurden“.

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