Doppelzüngigkeit als Prinzip – die Außenpolitik des Iran
Ein Staatsstreit für die Ewigkeit: Am 19. August jährt sich der durch die USA initiierte Putsch gegen die erste und einzige demokratisch gewählte Regierung des Iran. Dieses Ereignis vor mehr als 60 Jahren bestimmt bis heute die Beziehungen zwischen Washington und Teheran und beeinflusst sogar das gemeinsame Vorgehen gegen den Islamischen Staat im Irak und die Atomverhandlung.
Von Ali Sadrzadeh
Das Datum und das Ereignis sind für ewig unzertrennlich – als ob das Wort Putsch der Beiname dieses Tages sei. Dramatische und folgenreiche Tage gibt es in der jüngsten Geschichte des Iran viele, doch kaum ein Tag hat sich so fest und unauslöschlich ins allgemeine Bewusstsein geprägt wie der 28. Mordad, der 19. August 1953.
Wie dieser Tag tatsächlich ablief, welche Rolle welche politischen Akteure spielten und warum sich die Bevölkerung an diesem Tag so widersprüchlich verhielt – darüber gibt es so viele Meinungen und Interpretationen wie Bücher und Beiträge, die seither über die Ereignisse dieses Tages geschrieben worden sind – und die gehen in die Tausende. Doch trotz aller Differenzen sind sich alle, ob Islamisten, Linke oder Nationalisten, einig, dass es ohne Mitwirkung der amerikanischen CIA keinen Putsch und somit keinen Sturz von Premierminister Mohammad Mossadegh, dem Chef der ersten und einzigen demokratischen Regierung des Iran, gegeben hätte. Seit diesem 19. August 1953 verwandelten sich die USA für alle politischen Kräfte des Iran, selbst für Liberale und Demokraten, in ein Sinnbild der Demokratiefeindlichkeit. Und auch heute noch rangiert der Putsch gegen Mossadegh an erster Stelle, wenn die Machthaber in Teheran die Sünden Amerikas aufzählen – obwohl der damalige Premierminister selbst heute offiziell als verfemt gilt, seine Grabstätte wie zur Schahzeit bewacht wird und seine Organisation, die Nationale Front, verboten ist. Dass die Islamisten damals selbst gegen Mossadegh opponierten und zu seinem Sturz beitrugen, wird heute geleugnet. Wichtiger ist, gegen den Putsch zu sein, denn diese Gegnerschaft ist ein politisches Kapital, das wie eine unerschöpfliche Quelle jedem nützt, der sich über Amerika und den Iran äußert.
Ein Putsch für die Ewigkeit
Die USA haben sich inzwischen mehrfach, mal offen, mal indirekt, zu ihrer unrühmlichen Rolle von damals bekannt und sogar um Vergebung gebeten. Zuletzt war es Barack Obama, der 2009 in seiner berühmten Kairo-Rede eingestand: „Mitten im Kalten Krieg spielten die Vereinigten Staaten eine Rolle beim Sturz einer demokratisch gewählten iranischen Regierung.“ Doch die Versuche der verbalen Wiedergutmachung sind vergebliche Mühe. Der Putsch vor 60 Jahren will und darf im Iran nicht in Vergessenheit geraten, immer noch dient er als Totschlagargument, wenn es um die Beziehungen zu den USA geht. Selbst in diesen Tagen, in denen amerikanische Bomber die Gruppe „Islamischer Staat“ (IS), den Erzfeind aller Schiiten, bekämpfen, und internationale Kommentatoren über mögliche gemeinsame Interessen Teherans und Washingtons diskutieren, bleibt der Putsch vom August 1953 nützlich. Am vergangenen Mittwoch, eine Woche vor dessen Jahrestag, hielt Ayatollah Ali Khamenei eine Rede vor allen Botschaftern Irans, die sich ausschließlich mit der „genuinen und historischen Feindschaft“ der USA gegenüber dem Iran befasste.
An der Spitze der Hardliner
Dass sich der mächtigste Mann des Iran vor versammelten Vertretern des Landes im Ausland einzig und allein die USA vornahm, hat allerdings nicht nur historische Gründe. Die aktuelle Vorgeschichte begann zwei Tage vorher. Da hatte Staatspräsident Hassan Rouhani bei derselben Botschafterkonferenz erstmals seit seinem Amtsantritt jegliche Zurückhaltung aufgegeben und seinen Kritikern im Atomstreit ungewöhnlich scharf die Leviten gelesen. Konkret sagte er gar, sie sollten „zur Hölle“ fahren: „Immer wenn wir mit den westlichen Staaten verhandeln, gibt es hierzulande Leute, die sagen: ‚Wir zittern!‘ Was kann ich dafür! Sucht Euch einen warmen Platz, meinetwegen in der Hölle“, so Rouhani wörtlich an die Adresse der Hardliner.
Als ob sie auf diese Attacke gewartet hatten, schossen diese tags darauf scharf zurück. Alle Webseiten und Zeitungen, die den Revolutionsgarden und dem Geheimdienst nahestehen, befassten sich mit den harschen Aussagen des Präsidenten. Abgeordnete verfassten Protestnoten und Hossein Shariatmadari, Chefredakteur der erzkonservativen Tageszeitung Kayhan und Sprachrohr der Hardliner, spöttelte in einem Leitartikel mit der Überschrift „Zur Hölle“, der „einst moderate“ Rouhani habe eine Wandlung vollzogen. Shariatmadari zitiert darin auch konservative Freitagsprediger mit den Worten: „Wir gehen in die Hölle, aber wir nehmen dich mit.“
Und dann war der religiöse Führer der Islamischen Republik selbst an der Reihe. Als ob er Rouhani zurechtweisen wollte, bezeichnete Khamenei im Beisein von Außenminister Javad Sarif „die Anhänger der Verhandlungen“ als „naiv“. Amerika habe sich nicht geändert, Verhandlungen oder gar Beziehungen mit den USA seien daher nach wie vor schädlich. Manche im Iran behaupteten zwar, viele Probleme würden gelöst, wenn man mit den Amerikanern an einem Tisch säße: „Doch wir wissen, dass es nicht so ist“, so der Ayatollah. Und um seine Gegnerschaft gegen die Atomverhandlungen zu demonstrieren, scheute er sogar vor Unwahrheiten nicht zurück: Selbst während der Atomverhandlungen in den vergangenen Monaten seien die Sanktionen gegen den Iran verschärft worden, erklärte Khamenei vor den iranischen Diplomaten: „Amerika bleibt der Feind“.Der Ayatollah lüge, kommentierte am nächsten Tag das beliebte und viel gelesene Online-Magazin Rooz, das vom Ausland aus betrieben wird. Auch Marie Harf, Sprecherin des US-Außenministeriums, widersprach am selben Tag Khameneis Behauptungen und legte Daten und Fakten darüber vor, wie die USA die Sanktionen teilweise gelockert hätten. In der Tat haben die USA seit den Genfer Atomverhandlungen vor fast einem Jahr nicht nur keine neue Sanktionen gegen den Iran verhängt, sondern im Gegenteil fast 4 Milliarden Dollar blockierte iranische Gelder freigegeben. Das müssten auch die Auslandsvertreter des Iran wissen. Dennoch veröffentlichten sie nach ihrer Audienz bei Khamenei eine Erklärung, in der sie sich zu den Positionen des „geliebten Führers“ bekannten und versprachen, „seine“Botschafter zu sein.
Doppelzügigkeit als Prinzip der Politik
Woher kommt diese Doppelzüngigkeit des Mannes an der Spitze des Staates, samt der „seiner“ Botschafter, die alle seit Jahren im Ausland leben? Alle Beteiligten wissen, dass viele Ansprachen Khameneis nur für den Hausgebrauch sind. Sie wissen, dass Khamenei im aktuellen Machtkampf unmissverständlich verdeutlichen will, wo er steht und wie die Fronten verlaufen. Doch in der realen Politik ändert sich wenig. Das Spiel mit verschiedenen Masken – im Inneren die Rolle der unbeugsamen Revolutionäre zu spielen und nach Außen Beweglichkeit und Geschmeidigkeit zu demonstrieren – gehört zu den Grundfesten der iranischen Außenpolitik. Was die Atomverhandlungen angeht, zeigt sich Außenminister Sarif in einem Facebookeintrag zuversichtlich, dass am Ende der Verlängerungszeit in vier Monaten eine Einigung stehen wird – sogar von einem früheren Datum ist dort die Rede. Denn im September will Hassan Rouhani bei der UN-Generalversammlung zum zweiten Mal eine Rede halten – und Vorzeigbares in Sachen Atom- und Irak-Konflikt präsentieren. Auch was den Irak betrifft, ist das schiitische Prinzip der „Tagieh“ (Verstellung) bestens funktionsfähig. Noch vor drei Wochen hatte sich Khamenei uneingeschränkt hinter den irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki gestellt: Er sei legitimer Regierungschef, die Amerikaner wollten wieder einmal einen demokratisch gewählten Ministerpräsidenten stürzen, doch der Iran werde das nicht zulassen, hieß es da. Doch seit der vergangenen Woche sieht die Welt plötzlich anders aus. In derselben Rede vor den Botschaftern zeigte sich der Ayatollah mit der Ernennung Haidar al-Abadis zum neuen irakischen Regierungschef einverstanden. „So Gott will, wird der neue irakische Ministerpräsident gewählt und alle Probleme gelöst werden“, sagte er kurz und bündig am Ende seiner Rede. Übersetzt in die Realpolitik heißt das: Die Tiraden von vor drei Wochen solle man nicht ernst nehmen, gemeinsam mit den USA begrüßt man die Designierung des Schiiten al-Abadi und unterstützt damit einträchtig mit den USA die Demontage Nuri al-Malikis.
Es seien nicht allein Khamenei und seine Falschmünzerei, durch die jegliches Vertrauen in die iranische Außenpolitik verloren gehe, urteilt der ehemalige iranische Staatspräsident Abolhassan Bani Sadr. Auch das Teheraner Außenministerium habe sich die Doppelzüngigkeit zum Prinzip gemacht. „Und darin liegen die Gründe dafür, warum wir überall scheitern: Wir haben keine glaubwürdige Außenpolitik“, so Bani Sadr.♦
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