Mangelnde Hingabe = Ende der Freundschaft? Das Tandem Khamenei/Rouhani

Es gab Zeiten, da pries der iranische Präsident seine enge Beziehung zum Revolutionsführer des Iran als „das wertvollste Kapital seines Lebens“, mit dem sich wichtige Probleme des Landes lösen ließen, allen voran der Atomkonflikt. Tatsächlich hatte Rouhani nach seiner Wahl Khameneis Unterstützung beim Atomdeal. Für viel mehr reichte das „Kapital“ aber nicht. Bis vor wenigen Wochen schien Rouhani noch aussichtsreichster Kandidat bei der kommenden Präsidentenwahl im Iran zu sein. Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht. Khameneis Anhänger haben sich auf einen Gegenkandidaten geeinigt, der Rouhani gefährlich werden könnte. Damit steht dem Iran eine Wahl voller Überraschungen und Ungewissheiten bevor.

Der Ton klang autoritär und suggerierte Bestimmtheit, der Inhalt aber war unterwürfig bis sklavisch. Wort für Wort, gemessen und langsam wie ein Diktatlehrer, stellte sich der Kandidat in seinem Werbevideo vor – politisch, persönlich und zukunftsweisend zugleich:Ich weiss es zu gut: Meine Nähe zum Führer, meine 45 Jahre währende Hingabe zu ihm – all das ist ein wichtiges Kapital für mich. Und wer in diesem Land Verantwortung übernehmen will, muss dieses Kapital gut einsetzen, um schwierige Probleme zu lösen.“
So begann Hassan Rouhani im Frühjahr 2013 die Rede, mit der er sich um das Amt des Präsidenten der Islamischen Republik Iran bewarb. Heute, vier Jahre danach, macht dieses Video erneut die Runde. Denn es steht wieder eine Wahl an und wieder ist Rouhani der Kandidat.
Ein Dreißigsekundenclip und unzählige Fragen
Und dieser Videoausschnitt von damals passt heute sehr gut als Vorspann für aktuelle TV-Wahlsendungen inländischer Sender ebenso wie der Satellitenprogramme aus dem Ausland. Denn der kurze Clip liefert Moderatoren fast alles, was sie für ihre Wahlsendungen brauchten – er gibt ihre Fragen praktisch vor: Wie nahe steht und stand Rouhani dem Revolutionsführer wirklich? Ist er hingebungsvoll und unterwürfig genug? Was waren die Probleme, die er mit seinem „Kapital“ lösen wollte? Hat es bzw. hat Khamenei Rouhani geholfen oder behindert? Und wie viel ist von dem einstigen „Kapital“ noch übrig – reicht es aus für die Lösung heutiger Probleme? Oder hat sich der mächtigste Mann des Landes inzwischen nach einem Anderen umgeschaut – nach jemandem mit mehr „Hingabe“? Und wenn ja, wer könnte das sein?
Dutzende Wahlsendungen ließen sich mit diesen Fragen füllen.
 Khamenei ist das Kapital
Nichts ist falsch, was Rouhani in diesen wenigen Sätzen sagte, es entsprach damals der Wahrheit und gilt noch heute – wenn auch eingeschränkt. Nur in einem Punkt untertreibt Rouhani ein wenig. Khameneis Macht ist heute mehr als irgendein Kapital: Sie ist fast das gesamte, denn sie ist grenzenlos.

Das Staatsoberhaupt Khamenei (li.) ist zugleich der Oberbefehlshaber der Streitkräfte
Der Revolutionsführer Khamenei (li.) ist zugleich der Oberbefehlshaber der Streitkräfte

Ohne Khamenei läuft nichts im Iran. Das legt schon die Verfassung der Islamischen Republik fest. Die Streitkräfte, die Geheimdienste, die Justizbehörde, die staatliche TV- und Rundfunkanstalt, religiöse Einrichtungen und Stiftungen, um nur die wichtigsten Institutionen zu nennen: Alle unterstehen qua Verfassung direkt dem Revolutionsführer, bei allen haben weder Präsident noch Parlament mitzureden. Auch die wichtigsten Posten des Kabinetts – Innen-, Aussen-, Verteidigungs- und Geheimdienstministerium – bestimmt Khamenei, nicht Rouhani. So weit die Machtgewichtung zwischen dem Revolutionsführer und dem Präsidenten.
Eine Hingabe, die es nicht gab
Was jedoch die Dauer der Beziehung zwischen ihm und Khamenei angeht, da übertreibt Rouhani ein wenig. Dass er Khamenei vor 45 Jahren irgendwie, irgendwo begegnet ist, da sagt Rouhani wahrscheinlich nichts Falsches. Doch sehr eng kann die Beziehung nicht gewesen sein, von „Hingabe“ ganz zu schweigen. Historisch ist jedenfalls nicht belegt, dass sie sich gut gekannt hätten. Damals war Khamenei ein unbekannter, unbedeutender Mullah, ein junger Prediger aus der armen Provinz, der – wie er selbst einmal erzählte – oft nicht wusste, „ob er den Tag mit vollem oder leerem Bauch zu Ende bringt“.
Rouhani, der aus einer relativ wohlhabenden Familie stammt, war vor 45 Jahren Doktorand an der Teheraner Universität, dem eine vielversprechende akademische Karriere bevorstand. Es ist auch nicht bekannt, dass die beiden damals bei irgendeiner Organisation gemeinsam aktiv gewesen wären.
Wie auch immer: „Hingabe“ Rouhanis gegenüber Khamenei ist aus dieser Zeit weder belegbar noch vorstellbar. Mag die wahre Geschichte dieser Beziehung auch unter Lügen oder Halbwahrheiten verborgen sein: Wir wissen ziemlich genau, wie die beiden zueinander gestanden haben, seit Khamenei zum Revolutionsführer aufgestiegen ist. Und selbst in dieser Zeit gab es nicht immer „Hingabe“. Zudem konnte in den ersten acht Jahren von Khameneis Amtszeit von einer echten Führerschaft keine Rede sein. Hingabe war also gar nicht nötig.
 Der Königsmacher und der Revolutionsführer
Fortsetzung auf Seite 2