„Ambivalent wie die Moderne selbst“

Die Veranstaltungsreihe „Die iranische Moderne“ des Goethe-Instituts war eigentlich als Rahmenprogramm zur gleichnamigen Ausstellung von Werken aus dem Teheraner Museum of Contemporary Art in der Berliner Gemäldegalerie gedacht. Doch die Ausstellung kam nicht zustande. Wie verlief das Rahmenprogramm? Ein Interview.
Vier Monate lang haben Dr. Nikolai Blaumer und Florian Bigge vom Goethe-Institut mit iranischen und deutschen Kunstschaffenden in Berlin ein Kulturprogramm verwirklicht, das sich auf musikalischer, performativer, bildnerischer, philosophischer und literarischer Ebene mit dem aktuellen Kulturschaffen im Iran und der iranischen Diaspora auseinandergesetzt und aufschlussreiche Einblicke in die iranische Kunstszenen ermöglicht hat. Mitte April fiel der letzte Vorhang. Blaumer und Bigge ziehen im Interview mit Iran Journal eine Bilanz der außergewöhnlichen Veranstaltungsreihe.
Iran Journal: Was hatten Sie sich von dieser Veranstaltungsreihe erhofft?
Nikolai Blaumer*: Ziel war es, ein überraschendes Bild des heutigen kulturellen Lebens im Iran zu präsentieren. Wir wollten dabei auch solche Themen angehen und jenen Kulturschaffenden eine Plattform geben, die in Deutschland wenig oder gar nicht bekannt sind. Die Hoffnung war, ein tieferes Verständnis für Kunst, Literatur, Musik, Film und Philosophie aus dem Iran zu gewinnen.
An welches Zielpublikum haben Sie gedacht, als Sie das Programm zusammengestellt haben?
Florian Bigge**: Uns war bewusst, dass sich das Publikum ganz unterschiedlich zusammensetzen würde: Es gibt die große und heterogene iranische Diaspora, es gibt Menschen, die den Iran vielleicht nur aus politischen Diskussionen kennen, andere haben sich umfangreicher mit dem Land beschäftigt, andere wiederum gar nicht, möchten sich aber mit globalen künstlerischen Standpunkten auseinandersetzen. Alle Teile eines potentiellen Publikums gleichermaßen zu bedienen und zufriedenzustellen, ist unmöglich. Also haben wir uns darauf konzentriert, die künstlerischen Realitäten so gut es ging – und mit Blick auf einen Neuigkeitswert auch für die iranische Diaspora -, darzustellen.
Waren Sie mit der Resonanz auf die Veranstaltungsreihe zufrieden? Was waren für Sie besondere Highlights in diesen drei Monaten?
Blaumer: Uns hat das große Interesse beeindruckt. Alle Veranstaltungen waren sehr gut besucht, oftmals ausverkauft. Der Zuspruch aus der iranisch-deutschen Community hat uns dabei besonders berührt. Ein absolutes Highlight war das Konzert der Band Kamakân Ende Januar. Die Band kommt aus Ahvaz (Khuzestan), dem arabischsprachigen Teil des Iran, und verbindet die unterschiedlichen musikalischen Strömungen ihrer Heimat. Es war ein fantastischer Abend im Weddinger Silent Green mit mehreren hundert Leuten – der erste Auftritt von Kamakân in Deutschland.

Theaterszene aus dem Stück "Sei wer du nicht bist", von Saman Arastou - Aufführung in der Berliner Schaubühne / © Bernhard Ludewig
Theaterszene aus dem Stück „Sei wer du nicht bist“, von Saman Arastou – Aufführung in der Berliner Schaubühne / © Bernhard Ludewig

 
Bigge: Ein weiteres musikalisches Highlight war der Auftritt des Teheraner Technoproduzenten Sote, der im HAU-Theater ein traditionelles Instrumentarium mit einer sehr tiefen basslastigen Elektronikmusik verband. Ich denke auch gerne an den literarischen Abend mit der Teheraner Autorin Belgheis Soleymani, über die es im Vorhinein einige kritische Stimmen gab und die das strengste Kopftuch von allen trug, und dann eine Geschichte über den Westen Irans im Gepäck hatte: über die kurdischen Gebiete an der Peripherie des Landes, über Migrationserfahrungen, die gegenwärtigen (und globalen) Unterschiede zwischen Stadt und Land, über das Älterwerden, den Umgang mit der Krankheit Alzheimer, über familiäre Traditionen. Der Stil der Geschichte war lakonisch und mitreißend, das Erzählen geprägt von einem fesselnden, rasanten Tempo. Und im anschließenden Gespräch hat man mehr über die politische Wirklichkeit in unserer Welt erfahren als auf politischen Podiumsdiskussionen.
Wie kam die Auswahl der KünstlerInnen zustande?
Bigge: Wir haben uns intensiv mit den Kolleginnen und Kollegen in der Kulturabteilung der deutschen Botschaft in Teheran ausgetauscht, ihre Erfahrungen und Kenntnisse vor Ort haben uns sehr geholfen. Auf Reisen in den Iran haben wir viele Gespräche mit Kulturschaffenden geführt; in Deutschland haben wir Kontakt zur deutsch-iranischen Community aufgebaut. Letztlich war es die Aufgabe unseres Teams, Dinge sichtbar zu machen, die einen festen Platz in den dynamischen Kulturlandschaften innerhalb und außerhalb des Irans haben, und beides, Kulturproduktion und Gegenwart, kritisch verständlich zu machen.
Wie haben die iranischen Gäste auf die Einladung des Goethe-Instituts reagiert? Gab es auch jemanden, der die Einladung abgelehnt hat?
Blaumer: Auch wenn wir kaum Absagen hatten: Viele iranische Gäste möchten im Vorfeld genau wissen, mit wem sie zusammen auf der Bühne sind und wer sonst noch an dem Gesamtprogramm teilnimmt. Dabei spielen ästhetische, aber auch politische Erwägungen eine Rolle. Da kann und sollte man nicht einfach drüber hinweg gehen. Letztlich sind wir glücklich, so viele großartige Gäste nach Deutschland haben bringen zu können.
Gab es auf administrativer Seite nennenswerte Hemmnisse zu überwinden?
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