Geschichtsschreibung mit dem Stift der Macht

Ein anderer iranischer Gelehrter, der laut Vaisi den historischen Diskurs im Iran stark beeinflusst hat, ist der in Oxford lehrende iranische Ökonom und Historiker Homa Katouzian. Laut seinen Thesen sind vor allem das harsche Klima und die Wasserknappheit des Iran für die Entstehung des Despotismus und die Unterentwicklung des Landes verantwortlich. Diese Idee ist im Iran so populär, dass man sie sogar in einem Song des iranischen Popsängers Mohsen Namjoo hören kann: „Geboren zu sein in Asien bedeutet geografischen Determinismus”, so Namjoo in einem Klagelied über die Hoffnungslosigkeit eines iranischen Kleinbürgers.

Die Frage, warum der Iran mit seinen über zweitausend Jahren Geschichte, ein Land, das einst eine Supermacht war und einen großen Teil der Welt unter Kontrolle hatte, heute ein Drittweltland ist, interessiert viele Iraner. Professor Katouzians These sei eine der meist diskutierten und akzeptierten Antworten darauf, sagt Morad Vaisi.

Umgehen der Zensur

"Politische und soziale Rollen der Messerhelden in der zeitgenössischen iranischen Geschichte", von Masoud Noghrehkar - Ein Beispiel für Geschichtsschreibung in der Diaspora
„Politische und soziale Rollen der Messerhelden in der zeitgenössischen iranischen Geschichte“, von Masoud Noghrehkar – Ein Beispiel für Geschichtsschreibung in der Diaspora

Staatliche Zensur stellte in der Vergangenheit die größte Herausforderung für die Geschichtsschreibung im Iran dar. Die Veröffentlichung von Büchern, Filmen und anderen kulturellen Produkten braucht eine Genehmigung von staatlichen Behörden, der offizielle Weg dauert manchmal Jahre und frustriert viele Urheber. “Heutzutage gibt es allerdings einige Untergrund-Verleger, die – wahrscheinlich mit Verbindungen zur Revolutionsgarde – Bücher ohne Genehmigung publizieren, auf dem Schwarzmarkt verkaufen und damit hohe Gewinne machen”, sagt Stanford-Professor Abbas Milani.

Das sei mit seinem letzten Werk “The Shah”, das sich mit dem Leben von Mohammad Reza Pahlavi befasst, geschehen. Laut Milani ist das Buch in großer Auflage im Iran erschienen und verkauft worden. Tatsächlich boomt dort das Geschäft mit “illegalen” Büchern. Allein in der Teheraner Stadtmitte begegnet man Dutzenden Straßenhändlern, die nicht genehmigte Titel verkaufen. Und was in gedruckter Form nicht erhältlich ist, kann man einfach im Internet finden.

Der größte Einfluss im Westen tätiger iranischer Historiker auf die historische Forschung und den historischen Diskurs im Iran sei der zunehmende Bezug auf Fakten und Belege, sagt Professor Milani. Heute seien sogar Anhänger des Regimes bestrebt, unparteiisch zu erscheinen und ein ausgewogeneres Bild der Geschehnisse darzustellen. “Heute kann man nicht mehr so einfach behaupten, dass die Weiße Revolution* oder die Landreform des Schahs amerikanische Initiativen gewesen seien, weil man dazu Belege bräuchte”, sagt der Historiker.

  MOHAMMAD REZA KAZEMI

*Die „weiße Revolution“ war ein Entwicklungsprogramm des letzten Schahs, das unter anderem eine misslungene Landreform, Wahlrecht für Frauen und Bildungsprogramme für die Landbevölkerung beinhaltete. Für mehr Informationen Klick hier!