Ein historisches Telefongespräch

Die Atomverhandlungen verlaufen zufriedenstellend und am Ende seines Besuchs in New York telefoniert Irans Präsident immerhin mit seinem amerikanischen Amtskollegen Barack Obama. Reichen sich die Erzfeinde bald die Hand?
Eine wahre Geschichte aus der Eiszeit: Der eine Präsident lässt sich auf der Toilette so lange Zeit, bis der andere Präsident, der vor der Tür wartet, verschwunden ist. Im Jahr 2000 wollte der damalige US-Präsident Bill Clinton seinem iranischen Kollegen Mohammad Khatami am Rande der UNO-Vollversammlung die Hand geben. Doch dieser versteckte sich so lange auf dem Klo, bis Clinton die Botschaft verstand und verschwand. Als ob er die Tragweite eines möglichen Händeschüttelns und die Gründe seines Versteckspiels vor dreizehn Jahren erläutern will, sagte Khatami heute: „Zu meiner Zeit galt jeglicher Kontakt mit Amerika als Landesverrat.“ Solches Versteckspiel braucht der neue Präsident Hassan Rouhani nicht. Im Gegenteil: Er durfte seiner Charmeoffensive in den USA freien Lauf lassen.
Die eingeschränkte Vollmacht
Er habe „absolute Vollmacht“, hatte Rouhani wenige Stunden vor seinem Abflug nach New York selbstsicher verkündet. Und alles deutet daraufhin, dass die Mächtigen in Teheran bemüht sind, diese Vollmacht nicht anzufechten – noch nicht .Wie weit sie allerdings tatsächlich reicht, das wissen nur wenige im Iran. Der Vollmachtgeber selbst – das Oberhaupt des Landes, Ayatollah Ali Khamenei – umriss sie vor zwei Wochen mit „heldenhafter Flexibilität wie beim Ringen“. Was dieses Metapher bedeuten mag, ist immer noch nicht ganz klar, obwohl die Massenmedien, die Prediger und sogar die Offiziere der Revolutionsgarden unablässig versuchen, sie zu deuten.

Die Zeitung Etemad nennt das Telefongespräch zwischen Rouhani und Obama "den historischen Kontakt"
Die Zeitung Etemad nennt das Telefongespräch zwischen Rouhani und Obama „den historischen Kontakt“

Dass Rouhanis Vollmacht nicht uneingeschränkt ist, zeigte die Abwesenheit des iranischen Präsidenten beim Dinner des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon in New York. Beobachter hatten im Vorfeld spekuliert, spätestens bei dieser Gala werde es endlich zum Händeschütteln zwischen Obama und Rouhani kommen. Warum Rouhani dem Bankett dann fernblieb, ist ungewiss. „Weil dort Alkohol und Schweinefleisch serviert wurde“, zitierte ein BBC-Reporter einen iranischen Delegierten. Rouhani selbst begründete sein Fernbleiben auf CNN mit Zeitdruck. Doch vermutlich waren es weder Zeitmangel noch Schweinefleisch oder Alkohol. Für ein Händeschütteln zwischen Obama und Rouhani sei die Zeit noch nicht reif, die Macht solcher Bilder könne alles zerstören, so die Erklärung von Amir Mohebian, Chefredakteur der Teheraner Zeitung Ressalt. Eine Begegnung mit Obama müsse am Ende der Normalisierung stehen, so Mohebian, der als „kluger Kopf“ der konservativen Hardliner im Iran gilt.
Zwischen Jubel und Realismus
Wann die Iraner das gemeinsame Bild von Obama und Rouhani sehen werden, ist zwar nicht voraussehbar, doch die Zeiten im Gottesstaat haben sich längst verändert. Die Islamische Republik ist dabei, ihren Hauptfeind zu verlieren. Das zeigen die Reaktionen der Hardliner in Teheran auf Rouhanis Trip nach New York. Die USA suchten „keinen Regimewechsel im Iran“, meldet triumphierend die erzkonservative Zeitung Dschomhuri Eslami, und selbst die Nachrichtenagentur Fars, die den Revolutionsgarden und dem Geheimdienst nahe steht, bemüht sich in ihrer Berichterstattung um Objektivität. Der Ausschnitt der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton wurde diesmal auf den Fotos nicht mehr retouchiert, die Leser durften außerdem erfahren, dass der Iran mit neuen Vorschlägen nach New York gereist war. US-Außenminister John Kerry habe sein historisches Treffen mit seinem iranischen Kollegen als „extrem gut“ gelobt, so die Agentur  am vergangenen Donnerstag.
„Republikgründer Khomeini würde sich im Grab umdrehen, so etwas im Organ der Sicherheitsgarden zu lesen, denn immer noch gilt sein berühmter Satz wie ein unverrückbares Prinzip: ´Sollte Amerika Euch jemals loben, dann solltet Ihr an Euch zweifeln’“, kommentiert all das die Webseite Rooz.
Fröhliche Außenminister bei ihrem ersten Treffen im Rahmen der Atomverhandlungen: Mohammad Javad Sarif (rechts) und John Kerry (ganz links) - Foto: jamnews.ir
Fröhliche Außenminister bei ihrem ersten Treffen im Rahmen der Atomverhandlungen: Mohammad Javad Sarif (rechts) und John Kerry (ganz links) – Foto: jamnews.ir

Acht Jahre lang hatte Khatami mit kleinen Schritten versucht, den USA näher zu kommen. Vergeblich: Am Ende musste er das Feld Mahmoud Ahmadinedschad überlassen, der alles tat, um den Graben tiefer und gefährlicher zu machen. Nun hat der neue iranische Präsident den Schritt gewagt, seinen amerikanischen Amtskollegen um ein Telefongespräch zu bitten. Zuvor hatte Obama seine Bereitschaft zu einem persönlichen Treffen bekundet, doch Rouhani winkte ab. Er sei für ein solches Treffen nicht vorbereitet gewesen, ließ der Kleriker später wissen. In dem fünfzehnminütigen Telefongespräch am Freitag sei es hauptsächlich um die Lösung des Atomkonflikts gegangen, bestätigten beide Seiten.
Warum sich Rouhani in New York den historischen Tabubruch erlauben konnte, hat sicher mit den beispiellosen und erdrückenden Sanktionen und der Sehnsucht der Iraner nach Normalität zu tun. Noch ist der Weg für eine geordnete Beziehung zwischen Teheran und Washington lang und steinig. Doch ohne Rouhanis Selbstvertrauen, ohne seine Verwurzelung im Sicherheitsapparat des Landes und ohne seine besondere Beziehung zu Khamenei wäre dieser Riesenschritt nicht denkbar gewesen.
Ein weiterer, nicht minder wichtiger Grund für die historische Annäherung liegt auch in der syrischen Tragödie, die sich langsam, aber kontinuierlich für alle Beteiligten in einen gefährlichen Sumpf verwandelt. Djihadisten unterschiedlicher Couleur sind dabei, von Syrien aus die politische Landkarte der Region zu verändern. Kein Wunder, dass Rouhani den Schwerpunkt seiner Rede vor der UN-Vollversammlung auf die Gefahr des Radikalismus legte und sogar eine Koalition der Staatengemeinschaft gegen Gewalt und Extremismus forderte. Er möchte in der Syrienfrage als wichtiger Mitspieler ernstgenommen werden, mit oder ohne Bashar Al-Assad.
Rouhani scheint entschlossen und behutsam vorzugehen. Kaum war die Meldung über das Telefonat zwischen ihm und Obama in der Welt, da breitete sich in den sozialen Netzwerken des Internet und auf verschieden Webseiten regelrecht Jubelstimmung aus. “Millionenstark sollen wir den Präsidenten am Flughafen empfangen“, riefen die Kommentatoren aus. Das Präsidialbüro reagierte sofort. Es gebe keinen offiziellen Plan für den Empfang des Präsidenten. Seinen diplomatischen Erfolge will Rouhani offenbar nicht als Machtdemonstration nutzen. Er ist erst am Anfang und die Gegner und Neider lauern überall.