Dschalili oder Ghalibaf? Revolutionsgarde gespalten

Da alle acht Kandidaten der Präsidentschaftswahlen im Iran die Zustimmung des obersten Religions- und Revolutionsführers Khamenei finden, könnte diesmal die Vorliebe der Revolutionsgarden entscheiden, wer das Amt bekommt. Doch die sind uneins.
„Ich habe nur eine Stimme und wem ich sie gebe, weiß niemand.“ Diesen Satz wiederholt Ayatollah Ali Khamenei, politischer und religiöser Führer des Iran, derzeit in verschiedenen Variationen bei fast jedem öffentlichen Auftritt. Khamenei will damit seine Neutralität bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl demonstrieren. Die acht auserwählten Präsidentschaftskandidaten wiederum lassen keine Gelegenheit aus, ihre Ergebenheit gegenüber Khamenei zu beteuern.
Doch demonstrative Unparteilichkeit hin, Demutsgeste her: Fast alle Iraner wissen, dass es letztlich immer der mächtigste Mann im Land ist, der entscheidet, wer Präsident werden darf. Diesmal allerdings, wo alle Kandidaten Khameneis Gefallen finden, stellt sich die Frage, wo die Revolutionsgarden und die paramilitärischen Verbände der „Basidsch“ stehen. Sie haben bei der Auswahl der Kandidaten die entscheidende Rolle gespielt. Und sie sind diejenigen, die die Wahl organisieren. Doch auch sie sind sich offenbar nicht einig, wer auf den Präsidentenstuhl soll.
Einflussreiche Unterstützung
Der „Generalstab der Freitagsprediger“ ist eine der wenigen Institutionen der Islamischen Republik, die trotz der chaotischen Zustände im Land sehr gut funktionieren. In jeder Stadt, jedem Dorf ist der Stab mit einem Büro vertreten, das oft effektiver arbeitet als die staatliche Bürokratie vor Ort. Denn es steht quasi über allen Ämtern, greift direkt ein und ist daher für viele Menschen der letzte Zufluchtsort. Da die Freitagsprediger zugleich die örtliche Vertretung des Revolutionsführers sind, haben sie auch offiziell die dafür nötige Macht.

Freitagsgebet wurde zu einer wöchentlichen politischen Demonstration des islamischen Regimes umfunktioniert
Freitagsgebet wurde zu einer wöchentlichen politischen Demonstration des islamischen Regimes umfunktioniert

Der „Generalstab“ wählt den Prediger eines jeden Ortes, stellt ihm Geld und Personal zur Verfügung und bestimmt allwöchentlich auch das politische Thema seiner Freitagsansprache. Allerdings gibt es unter den tausenden Predigern auch einige, die sich manchmal eine abweichende Meinung erlauben. Oft sorgen solche Alleingänge – zumal aus der fernen Provinz – für Schmunzeln, manchmal aber auch für Aufregung: wie vor zwei Wochen in der südiranischen Provinz Kerman.
Da empfing Yahya Dschafari, Freitagsprediger der gleichnamigen Provinzhauptstadt, den Teheraner Bürgermeister und Präsidentschaftskandidaten Bagher Ghalibaf. Dabei ließ der einflussreiche Prediger einen bedeutungsschweren Satz fallen: Vor einigen Tagen sei General Ghassem Soleymani, Kommandeur der Quds-Brigaden der Revolutionsgarde, bei ihm gewesen. Er habe ihn gefragt, wen er wählen würde, so Dschafari: „Da hat er geantwortet: Ghalibaf.“
Diese Erzählung ist möglicherweise nicht nur wahlentscheidend. Sie offenbart zudem eine tiefe Spaltung innerhalb der Revolutionsgarde. Denn Ghalibaf, der sich im Wahlkampf als „Mann der Tat“ feiern lässt, ist nicht deren einziger Favorit unter den acht Kandidaten. Said Dschalili, Unterhändler des Iran bei den Atomverhandlungen, genießt ebenfalls ihr Vertrauen. Er kommt aus dem Geheimdienst, zeigt sich ideologisch unnachgiebig und gegenüber Khamenei so unterwürfig, dass manche ihn als Favoriten sehen. Trotzdem kann es für ihn eng werden, wenn General Soleymani tatsächlich Ghalibaf unterstützt. Denn auch Soleymani ist nicht irgendwer: Seine Macht als Chef der Spezialeinheit für exterritoriale Operationen reicht weit über die iranischen Grenzen hinaus. Der britische Guardian nannte ihn den „wahren Herrscher von Bagdad“. Wegen seiner Rolle bei der Bekämpfung des syrischen Aufstands steht er auf einer schwarzen Liste von USA und EU; die Washington Post bezeichnete Soleymani als einflussreichsten Außenpolitiker des Iran. Als 2011 in den USA die Militärs öffentlich diskutierten, ob man Soleymani auf seinen geheimen Reisen festsetzen oder gar töten sollte, brach im Iran und Libanon eine Welle der Solidarität mit ihm aus. „Wir sind alle Hadj Ghassem“, heißt seitdem eine Webseite, die in mehreren Sprachen Solidaritätsbekundungen verbreitet. Soleymani habe den Amerikanern trotzdem bei ihrem Abzug aus dem Irak sehr geholfen, sagt Hossein Moussavian, der frühere iranische Botschafter in Deutschland. Auch bei ihrem für 2014 geplanten Abzug aus Afghanistan sollten die USA wieder mit General Soleymani verhandeln, rät der Diplomat.
Ghassem Soleymani, "der wahre Herrscher von Bagdad"
Ghassem Soleymani, „der wahre Herrscher von Bagdad“

Manche arabischen Zeitungen nennen Soleymani den „Mann hinter dem schiitischen Halbmond“, der vom Iran über den Irak und Syrien bis zum Libanon reicht. Wenn ein Mann mit einem derartigen Ruf Ghalibafs Partei ergreift, könnte die Sache gelaufen sein. Ramazan Sharif, Chef des politischen Stabs der Revolutionsgarden, sah sich jedenfalls gezwungen, die Neutralität der Garde zu betonen. Zu der Begegnung in Kerman und dem Satz Soleymanis schwieg er aber.
Mann der Tat
Ghalibaf, selbst einst Kommandeur der Revolutionsgarden, leitete dort die Luftwaffe und war Polizeichef des Landes. Der 53-jährige hält sich für einen effektiven und modernen Manager, er rühmt sich, das Projekt Notruf 110 eingeführt und die Studentenproteste 2003 „ohne Blutvergießen“ beendet zu haben. Er sei der erfolgreichste Bürgermeister der kaum regierbaren Großstadt Teheran mit ihren 14 Millionen Einwohnern, sagt Ghalibaf unermüdlich im Wahlkampf. Seine Wahlbüros in der Provinz sind, wie sein Bürgermeisteramt in Teheran, hauptsächlich mit seinen Freunden aus der Militärzeit besetzt.
Radikalität als Rezept
So viel Erfahrung und Unterstützung von höchster Stelle kontert sein Rivale Dschalili mit  ideologischer Radikalität. Dschalili wirbt im Wahlkampf unablässig für eine Kriegswirtschaft, beharrt auf Unnachgiebigkeit in der Atomfrage und will das Land gegen weitere Isolation wappnen. Ihm schwebe eine Mobilisierung der gesamten Bevölkerung und die totale Vernetzung aller Institutionen vor, so Dschalili am vergangenen Donnerstag im iranischen Fernsehen. Dabei sollten Moscheen Ausgangspunkt aller gesellschaftlichen Aktivitäten sein. Der 48-jährige Kriegsversehrte erzählt oft von seinen Erlebnissen im Irakkrieg, erklärt sich auch heute noch zum „Märtyrertod“ bereit und zitiert oft und gern Revolutionsführer Khamenei. Für viele Iraner ist Dschalili deshalb die Fortsetzung des amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad – nur mit anderem Gesicht.