Die Opposition in Iran und die arabischen Aufstände

Plädoyer für einen neuen Blick auf die Grüne Bewegung. Die iranische Opposition ist auf die öffentliche Bühne zurückgekehrt – doch die Bühne hat sich verändert. Die neuen arabischen Protestbewegungen haben die politische Atmosphäre im Nahen Osten revolutioniert; die Grüne Bewegung in Iran steht plötzlich in einem veränderten Kontext. Von Charlotte Wiedemann

Sie hat ihren Singularitäts-Status eingebüßt: Eruptives demokratisches Aufbegehren in islamisch geprägten Gesellschaften ist ein internationales Phänomen geworden. Nun sind Vergleiche möglich – und erlaubt: Warum hat die Grüne Bewegung bisher nicht mehr erreicht? Wer spricht für sie? Und welche Rolle spielt die große iranische Diaspora im Westen, zu einer Zeit, wo anderswo westlich gestützte arabische Potentaten fallen?
Zweifellos war die iranische Opposition als eine Bewegung neuen Typs in vielem Vorreiter. Die Radikalität einer jungen Generation, die Gier nach Zukunft, auch der ganz persönlichen, die subversive Rolle des Internets – all das war schon vor 20 Monaten in Iran zu sehen. Im Juni 2009, nach der mutmaßlichen Fälschung bei den Präsidentschaftswahlen, verstießen die grün dekorierten Demonstranten in Teheran auch als erste gegen ein westliches Wahrnehmungsmuster: Muslimen wird gemein nicht zugetraut, als Citoyens in Erscheinung zu treten. Was für Ägypten bis vor kurzem galt, galt lange auch für Iran: Die Zivilgesellschaft wurde vom Westen unterschätzt, wenn nicht gar völlig ignoriert. Nun zeigten die Fernsehbilder geradezu das Gegenteil von allem, was dem Islam an Negativem zugedacht wird: Die grüne Bewegung wirkte weiblich, jung und schick. Die vertraut wirkende Ästhetik verführte damals allerdings hiesige Beobachter zu zwei voreiligen Annahmen: Die Bewegung sei pro-westlich, und sie werde bald siegen.
Anders als im Fall Ägypten war es in der westlichen Öffentlichkeit nie begründungspflichtig, gegen das Regime in Teheran zu opponieren. Das versteht sich sozusagen von selbst, bei einem politischen System, mit dessen Zustandekommen vor 32 Jahren sich die westliche Politik nie wirklich abgefunden hat. Und dass die Opposition pro-westlich sei und – wie diffus auch immer – eine pro-westliche Alternative zur Islamischen Republik suchen würde, auch das verstand sich unausgesprochen von selbst. Denn von allem anderen müssten die Iraner doch die Nase voll haben, nicht wahr?
Diese Ausgangsbedingungen haben, oberflächlich betrachtet, der iranischen Opposition zunächst ausschließlich genutzt, haben ihr in allerlei europäischen und amerikanischen Netzwerken Wohlwollen und Sympathie eingetragen. Die Solidarität der Berlinale mit den unterdrückten iranischen Filmschaffenden ist dafür nur ein Beispiel. Auf den zweiten Blick fallen aber die Nachteile dieser westlichen „Anbindung“ stärker ins Auge – vielleicht auch deshalb, weil die arabischen Aufstände sich solche Sympathien erst mühsam erringen müssen. Und weil in den Fällen Ben Ali, Mubarak & Co. fein unterschieden wird zwischen den sogenannten westlichen Werten, die in Kairo und Tunis angeblich gesiegt haben, und den westlichen Interessen, die dort erst einmal auf der Strecke blieben.

Dass sich in Iran Regime wie Opposition positiv auf den Umsturz in Ägypten beziehen, ist nur vordergründig ein Paradox.

Dass sich in Iran Regime wie Opposition positiv auf den Umsturz in Ägypten beziehen, ist nur vordergründig ein Paradox. Denn tatsächlich können beide Seiten aus den Kairoer Ereignissen Ermutigung schöpfen. Für das Regime eröffnet der Sturz Mubaraks neue außenpolitische Optionen. Der Westen hat eine wichtige Schachfigur im Nahen Osten verloren, das freut Teheran. Die grüne Bewegung kann sich wiederum durch den Prozess, den Aufstand selbst ermutigt fühlen: Eine Autokratie, eben noch stark, kann morgen schwach sein. Das macht Hoffnung.
Spannend wird es erst, wenn man über dieses Offenkundige hinaus sieht, auch über die Propaganda beider Seiten. Es ist durchaus vorstellbar, dass die reformistisch orientierten Führer der Grünen Bewegung, voran der ehemalige Premierminister Mir Hussein Mussawi, die außenpolitischen Einschätzungen des Regimes im Fall Mubarak teilen. Halten sie eine geostrategische Schwächung des Westens für positiv, im Hinblick auf die nationalen Interessen Irans? Die Antwort könnte durchaus „ja“ lauten. Man muss sich nur daran erinnern, dass sich Mussawi 2009 gegen ein von Ahmadinejad gebilligtes Verhandlungsergebnis im Nuklearkonflikt aussprach (Anreicherung im Ausland), weil es den nationalen Interessen Irans zuwider laufe.

Sicher sein kann man sich allerdings nicht über Mussawis Haltung – und noch weniger über die der Grünen Bewegung insgesamt. Denn sie hat in den vergangenen 20 Monaten kein Manifest und keine Standortbestimmung hervorgebracht, kein Papier, das Auskunft geben würde über die Grundauffassungen und Ziele der iranischen Demokratiebewegung. Wurden nicht sogar Kommissionen angekündigt, die ein alternatives Regierungsprogramm erarbeiten sollten? Im Frühjahr 2011 kann man, genauso wie im Sommer 2009, in die Grüne Bewegung vieles hineindeuten. Zu Beginn wurde immer wieder versichert, es sei ein großer Vorteil, dass die Bewegung weder Programm noch Führung habe, dies sei ihr Erfolgsgeheimnis, eben als Bewegung neuen Typs. Das hörte man besonders von begeisterten jungen Iranern der zweiten Generation im Westen. Sie waren weit weg von dem, was kommen würde.
In Wahrheit hat die Bewegung in den zurückliegenden 20 Monaten unendlich viele Opfer gebracht – langjährige Haftstrafen, Folter, Todesurteile, Berufsverbote, Flucht von Tausenden ins Exil -, ohne im Land etwas zu erreichen. Das verlangt nach Deutungen. Sie dürfen nicht ungerecht sein, gerade vor der Kulisse des Tahrir-Platzes. Erklären zu wollen, warum das Regime in Teheran noch nicht gestürzt ist, das wäre vermessen. Die Regime in Ägypten und Iran sind völlig unterschiedlich, vor allem die Rolle der bewaffneten Kräfte: Sie kommen in Iran als Mittler nicht in Betracht.
Warum aber konnte die Demokratiebewegung, nachdem sie im Sommer 2009 schon Millionen auf die Straße brachte, nicht einmal in Ansätzen zu einer gesellschaftlichen Gegenmacht werden? Die damalige Überlegung im Mussawi-Camp, es müsse möglich sein, zumindest Präsident Mahmut Ahmadinejad zur Hälfte seiner Amtszeit abzulösen, unter Ausnutzung seiner Unbeliebtheit auch bei vielen Konservativen, dieses Ziel klang keineswegs vermessen (und war manchen Mitstreitern tatsächlich viel zu bescheiden). Nun blickt Ahmadinejad frohgemut den neuen Zeiten im Nahen Osten entgegen.
Welches Bild im Westen von Iran gezeichnet wird, daran hat die iranisch-stämmige Diaspora in Europa und den USA großen Anteil. Davon konnten die Ägypter in Bezug auf das Mubarak-Regime früher nur träumen: Wie die vielen hochgebildeten und gutvernetzten Iraner in Berlin, Paris und Los Angeles die Unterdrückungspraktiken der Islamischen Republik publik machen. Aber die Menschenrechtler, Publizisten und Professoren der Diaspora tragen in der Summe zu einem verzerrten Bild von Iran bei, denn sie zeichnen gern ein unvergleichlich bösartiges Regime, das sich nur durch Repression an der Macht hält. Die Mullahs gegen das Volk, hieß es früher. Das Regime (wahlweise: die Militärdiktatur) gegen das Volk, heißt es heute.
Im Scheinwerferlicht der Diaspora glitzert alles Iranische als singulär, einzigartig die Unterdrückung wie auch die Gegenwehr. Wenn Vergleiche gezogen wurden, dann inneriranisch, innerhalb der eigenen Geschichte: von der konstitutionellen Revolution 1906 bis zum Sturz des Schah 1979. Iranische Foltergefängnisse etwa mit denen in Usbekistan zu vergleichen, das lag fern. Und die Opposition in Ägypten, die spielte bisher auch nicht in der Liga der Iraner. Nun mögen die arabischen Aufstände beim Umdenken helfen.
Gewiss ist die Islamische Republik in ihrer rechtlichen, theologischen und faktischen Konstruktion ein Unikum. Doch nicht jeder Charakterzug dieses Regimes ist deshalb einzigartig. Manches, was in Ägypten passierte, erinnerte durchaus an Iran, die Verfolgung von Journalisten war womöglich noch brutaler. In 14 Tagen wurden dort 356 Menschen getötet, 5000 verletzt, und 400 werden noch vermisst. In Libyen starben Dutzende binnen 24 Stunden, in Bahrein wurden Schlafende mit Tränengas und Schüssen überfallen. Auch arabische Herrscher gehen nun zur iranischen Taktik über: Proteste müssen so früh niedergeschlagen werden, dass keine kritische Masse, keine Machtalternative entsteht.

Was die Islamische Republik speziell macht, ist also vielleicht doch etwas anderes: Dass – trotz aller Frustration und aller Risse im Gebälk – der religiös verbrämte Nationalismus weiterhin Bindewirkung entfaltet.

Was die Islamische Republik speziell macht, ist also vielleicht doch etwas anderes: Dass – trotz aller Frustration und aller Risse im Gebälk – der religiös verbrämte Nationalismus weiterhin Bindewirkung entfaltet. Denn Faktoren, welche die Islamische Republik destabilisieren müssten, gibt es ja reichlich: Terroranschläge ethnischer Minderheiten, Drogenkrieg, Drogensucht, Arbeitslosigkeit, Inflation, Sanktionen. Doch Ahmadinejad hat die jüngsten Kürzungen von Subventionen und die daraus folgenden Preissteigerungen anscheinend komfortabel überlebt. Wenn die politische Unzufriedenheit schon so groß ist, wieso profitiert die Opposition dann nicht stärker von den sozialen Verwerfungen? Denn genau das ist ja der Kern der neuen arabischen Bewegungen: Politische Freiheit nicht als Abstraktum zu fordern, sondern als Werkzeug, als Mittel, um Würde und soziale Gerechtigkeit zu erringen.
Über die Unterstützung für das iranische Regime sprechen Dissidenten im Ausland nicht gern. Als sei sie ein Schandfleck, den man lieber beschweigt. Das macht viele Analysen lau. Denn es ist ja nicht zu übersehen: Es mangelt der Grünen Bewegung bisher an Verankerung in breiten Schichten des Volkes. Und die Religion wirkt, anders als bei den arabischen Unruhen, in Iran anscheinend eher als irritierender und nicht als mobilisierender Faktor.

Zunächst zur Religion: Die betenden Demonstranten auf dem Tahrirplatz, ihre gebeugten Rücken inmitten der großen Bühne des Protests – ein solches Bild wäre in Teheran kaum denkbar. In Iran ist alles Religiöse, wenn es öffentlich auftritt, mit Staatsdoktrin durchtränkt und vergiftet; ehrliche, von Herzen kommende Religiosität hat sich ins Private zurückgezogen. Selbst die nächtlichen Allahu-Akbar-Rufe von Teherans Dächern, als Zeichen des Widerstands, sind ein Zitat, entlehnt an einer ganz anderen historischen Situation, der Revolution gegen den Schah. Heute sollen die Rufe dem Regime signalisieren: Wir schlagen euch mit euren Waffen. Aber genau das gelingt nicht.
Ein gläubiger Iraner des Jahres 1978/79 konnte sich auf eine innere Gewissheit stützen, die auch gläubige Ägypter im Jahr 2011 beflügelt: dass nämlich Gott, der Islam, seine Werte auf Seiten der Aufständischen stünden. Diese Triebkraft hat nichts mit Fanatismus zu tun, und sie macht eine Revolution nicht automatisch zu einer islamischen Revolution, also zu einer Bewegung mit dem Ziel einer religiösen Staatsordnung.
Die Ägypter schwangen in der Regel nicht den Koran, wenn sie zum Tahrir-Platz gingen, und doch begannen die großen Märsche an Moscheen. Jüngst war viel von Tunesiens säkular geprägter Mittelklasse die Rede – aber sind die Tunesier deshalb nicht religiös? Die Triebkräfte der neuen sozialen Bewegungen lassen sich nur begreifen, wenn man sich von einem islamistischen Bild muslimischer Religiosität befreit: Von der Annahme, das Religiöse beeinflusse das Politische nur dann, wenn islamische Symbole aggressiv vorgezeigt werden.

Ein System stürzen zu wollen, das sich religiös rechtfertigt, erfordert eine schwierige Selbstimmunisierung.

In der Islamischen Republik ist das Verhältnis vieler Menschen zur Religion notgedrungen kompliziert. Sie müssen ihren persönlichen Islam von seiner öffentlichen Verschmutzung reinigen. Ein System stürzen zu wollen, das sich religiös rechtfertigt, erfordert eine schwierige Selbstimmunisierung. Gegen eine irdische Herrschaft, sagt die Anwältin Shirin Ebadi, nähmen die Menschen viel leichter den Kampf auf als gegen eine Unterdrückung, die sich „der Religion ihrer Vorfahren als Legitimation“ bediene. Diese psychologische Komplexität wird von den säkularen Milieus der iranischen Diaspora oft völlig ignoriert.
Iran und Algerien: Ist es bloß ein Zufall, dass die Opposition gerade dort schwach ist, wo der politische Islam dem Land traumatische Erfahrungen aufgezwungen hat – in Algerien als Terror, in Iran mit einer versteinerten Revolution?

Virtualität und Volksmassen: Die grüne Bewegung arbeitete als erste mit einer massiven Internet-Präsenz; gewiss sicherte das Internet ihr Überleben während der dunkelsten Zeit der Repression. Doch der Verlauf des Aufstands in Ägypten hat nun eine schlichte Erkenntnis ins politische Denken zurück geholt: Tatsächliche Umwälzungen geschehen nur, wenn sich breite Volksmassen beteiligen.
Menschenrechtsbewegung und soziale Kämpfe, das waren auch in Ägypten lange zwei voneinander isolierte Sphären. Hier die städtischen Mittelschicht-Dissidenten, dort die Lohnabhängigen, die in privatisierten Staatsunternehmen für ihre Rechte streikten. Die einen forderten mehr politische Liberalität; die anderen kämpften gegen die Folgen neoliberaler Politik. Doch eine der beiden Facebook-Gruppen, die zum Tahrirplatz mobilisierten, verband sich schon im Namen mit der Arbeiterbewegung: „6. April“, das Datum eines großen Textilarbeiter-Streiks in der Stadt Mahalla im Jahr 2008. Und Mahalla trat jetzt wieder in den Ausstand. In Sues riefen die Gewerkschaften zum Generalstreik. Die Eisenbahnen standen still. Ohne all das wäre Mubarak nicht gestürzt worden. Offenkundig erkannten die Handelnden intuitiv eine Gemeinsamkeit ihrer Interessen – ohne dass es ihnen eine Führung erklärt hätte.
Auch in Iran kämpfen Arbeiter. Zahllose Konflikte werden aus Fabriken gemeldet, wo fällige Löhne einfach einbehalten werden, oft über Monate. Streikende treffen auf Militär. Unabhängige Gewerkschaften organisieren sich im Untergrund. „Eure Sorgen sind die von uns allen!“ schrieb Mir Hussein Mussavi in einer seiner vielen Erklärungen. Der ohnmächtige Anführer der Opposition wollte die grüne Bewegung auf die Seite der sozialen Kämpfe stellen. Es geschah nur auf dem Papier. Das Gegenmodell zu Ägypten: Dort gemeinsames Handeln, hier getrennte Realitäten.

Iran ist ein Land, wo sich der Wunsch nach Veränderung und die Angst vor Veränderung in vielen Facetten überlagern.

Außenstehende mögen denken, die Iraner hätten nichts zu verlieren als ihre Ketten. Viele Iraner sehen das anders. Ihr Land genießt heute Unabhängigkeit und Eigenständigkeit wie nie zuvor in den vergangenen 200 Jahren; alle Iraner wollen diese Position wahren. Viele hätten auch einen kleinen Wohlstand zu verlieren; er wäre für arme Ägypter schon ein größerer. Nicht zu reden vom Reichtum, dessen sich auch führende Reformer erfreuen. Iran ist ein Land, wo sich der Wunsch nach Veränderung und die Angst vor Veränderung in vielen Facetten überlagern.
Der iranische Schriftsteller Mahmud Doulatabadi, der noch die Repression der Schah-Herrschaft aus eigenem Erleben kennt, sagt, die heutige Situation erwecke den Eindruck, „dass ein Teil der etablierten Gesellschaft gegen einen anderen Teil der etablierten Gesellschaft opponiert“. Das mache die Lage undurchschaubar und schwierig. „Ende der 1970er Jahre stand ein diktatorisches Regime, ein geschlossenes System gegen das gesamte Volk. Heute hingegen verläuft die Spaltung quer durchs Volk und auch quer durchs Establishment.“
Spaltung im Establishment, das ist auf Reformer wie Mussawi gemünzt. Der Ex-Präsidentschaftskandidat und Ex-Premierminister möchte das System schrittweise demokratisieren. Die junge Basis auf der Straße ruft hingegen „Tod dem Diktator“, damit ist der Revolutionsführer gemeint, die Inkarnation des Systems. Gibt es tatsächlich unter den Sympathisanten der Bewegung eine Radikalisierung? Sagen heute mehr Menschen als vor 20 Monaten „weg mit der ganzen Islamischen Republik“? Womöglich ist das wieder nur das Wunschdenken in der Diaspora. Verwiesen wird zum Beweis auf YouTube-Videos.

Der politische Resonanzraum: Wenn Ahmadinejad in Teheran eine internationale Pressekonferenz veranstaltet, dann sitzen dort chinesische, türkische, zentralasiatische, russische und arabische Journalisten. Iran und der Westen, das ist unser Tunnelblick. Mubarak und der Westen, das war eine tatsächliche Abhängigkeit. Iran hat einen anderen Resonanzraum; auch das verleiht Stabilität. Wer das beklagt, muss sich einer Frage stellen: Können sich Menschenrechtler und Demokraten ernsthaft wünschen, dass eine Regierung vom Einfluss des amerikanischen Präsidenten abhängiger ist als vom eigenen Volk?
Wenn iranische Oppositionelle Unterstützung aus dem Westen bekommen, werden sie leicht als Fünfte Kolonne des Imperialismus denunziert. Warum kann das immer noch funktionieren? Jedenfalls auch wegen der westlichen Doppelzüngigkeit. Dass dem Iran angekreidet wird, was bei westlich orientierten Autokratien bisher nicht störte, das ist nun durch die Einblicke in ägyptische Folterkeller bewiesen. Hillary Clinton, so zögerlich im Fall der ägyptischen Opposition, stellte sich am Valentinstag gleich lauthals auf die Seite der iranischen Demonstranten – und ihr Ministerium twittert sich jetzt sogar auf Farsi durch die oppositionellen Netzwerke. Besser hätte Ahmadinejad das alles nicht erfinden können.
Doch es kommt noch etwas anderes hinzu: Die Führung der Islamischen Republik sieht sich heute in einem regionalen Umfeld, das sich zu ihren Gunsten verändert – von der Iran-freundlichen Regierung im Irak bis zu den noch diffusen Verhältnissen in Nordafrika. Der nicht-westliche Resonanzraum, der Stabilität verleiht, weitet sich gerade aus. Die Auslands-Opposition sitzt hingegen geballt an der westlichen Front, bedient sich westlicher Kanäle. Das reißt eine Spaltung auf, die für die Opposition im Land eher unglücklich ist. Aus der Falle „Fünfte Kolonne“ kommt sie so nicht hinaus.
Ein Beispiel für die neuen Verhältnisse: Während der Demonstrationen am Valentinstag hielt sich türkischer Staatsbesuch in Teheran auf. Die indirekten Ermahnungen des türkischen Präsidenten Abdullah Gül an die Adresse seines iranischen Kollegen dürften zum Schutz der Demonstranten mehr beigetragen haben als das State Department.
Über die Anhänger des iranischen Regimes wissen wir wenig; sie werden uns stets als manipuliert dargestellt. Aber es bedarf nicht unbedingt einer Gehirnwäsche, um die zwei Präsidentenstürze der vergangenen Wochen als Machtverlust des Westens zu sehen und als Zeichen des Erwachens in der muslimischen Welt. Kurzum: Um die Welt für einen Moment so zu sehen, wie Ahmadinejad sie darstellt. Möglicherweise muss die grüne Bewegung ihre Antennen neu justieren.