Ist die Grüne Bewegung am Ende?

Warum kommen die Leute nicht mehr auf die Straße? Warum vermag kein Ereignis mehr, sie auf die Straßen zu locken? Ist die Grüne Bewegung am Ende? Ist diese, die kraftvoller als alle Bewegungen der letzten hundert Jahre in Iran aufstieg, ohne Ergebnisse niedergegangen?

Warum haben die Führer der Bewegung die Existenz von Millionen Soldaten in den Straßen nicht genutzt und daraus Kapital geschlagen? Warum stehen Karroubi und Mir Hossein unter Hausarrest, und Ahmadinedschad hält Reden in New York?
Diese und hundert ähnliche Fragen haben wir möglicherweise oft gehört. Die Satellitensender und Internetseiten außerhalb Irans, die entweder durch ihren Abstand von der Heimat voreilig urteilen, oder durch mangelnde Verbundenheit mit der Bewegung deren Charakter verkennen, haben den größten Anteil an der Formulierung solcher Fragen.
Aber unter uns, unter denjenigen, die letztes Jahr, sich der Gefahren bewusst, auf die Straßen kamen, können solche Fragen auch auftauchen – denn am einfachsten ist die Negation dessen, was wir nicht sehen. Der einfachste Weg ist, von der Abwesenheit der Menschen auf den Straßen, dem Ende der Parolen-Kritzelei, der Aussetzung der Statements, dem Hausarrest der Köpfe der Bewegung, dem lauthalsen Gebrüll der Machthaber auf das Ende der Bewegung zu schließen und zu sagen: „Wir wollten – es hat nicht geklappt“.
Zweifelsfrei trägt eine Historie voller Niederlagen und Misserfolge seinen Anteil zu unseren Zweifeln bei: unser Schicksal ist das Aufbäumen und Zusammenbrechen. Blieb die konstitutionelle Revolution nicht unvollendet? Hat die 79er Revolution nicht ihre Kinder gefressen? Ist die Nationalisierung des Erdöls nicht durch einen Putsch gescheitert und zurück blieben wir in der unwirtlichen Kälte*? Literatur, Poesie und viele Texte der Intellektuellen verstärken noch unser Gefühl der Niederlage.

Lasst uns kurz verweilen und uns fragen, was die Grüne Bewegung schaffen wollte, aber nicht vermochte!

Aber lasst uns innehalten, bevor wir das Erreichte versteigern, bevor wir alle Ergebnisse denen überlassen, die darauf warten, bevor wir es uns in der Hoffnungslosigkeit bequem machen: lasst uns kurz verweilen und uns fragen, was die Grüne Bewegung schaffen wollte aber nicht vermochte!
Wollte die Grüne Bewegung das Regierungssystem verändern? Wenn dem so war, warum war Mir Hossein ihr Führer und nicht Sazgara, Nourizadeh oder Rajavi*? Warum war ihre Parole „Wo ist meine Stimme?“ und nicht: „der Führer muss weg“?
Haben wir, die auf die Straße gingen, verprügelt wurden und den Tod unserer Kameraden gesehen haben, nach gerade einem Jahr vergessen, warum wir auf die Straßen gingen? War unser Ziel der Sturz des Systems?
Wir wollten unsere Wahlstimmen und die zerstörte Würde der Wahlurnen zurück. Die drei Millionen, die auf die Straße gingen, bestanden aus Du und Ich; wir gingen im Schweigemarsch und zeigten, dass jeder einzelne von uns ein Baustein für die Erbauung der Demokratie in Iran ist. Wir zeigten, dass wir unsere Lektion in Freiheit und Demokratie in den letzten 30 Jahren gelernt hatten.
Wir sind nicht den Menschen gleich, die 1979 auf die Straßen gingen, und diesem und jenem den Tod wünschten. Wir haben klare Forderungen; wir wollen nicht mit dem Kopf durch die Wand und haben nicht vor, sobald uns jemand provoziert, auf die Straße zu gehen und die Leichen unserer Brüder auf den Händen zu tragen. Wenn ein Weg gesperrt ist, gehen wir einen anderen; sind die Türen versperrt, suchen wir ein Fenster.
Wenn unser grüner Protest zur roten Farbe auf dem Asphalt wird, dann gehen wir nicht auf die Straße. Ist denn die Straße unser einziger Weg? Ist denn unser Selbstschutz, oder das Warten auf eine Lichtung mit Niederlage gleich zu setzen? Ist es unser Schwachpunkt, wenn wir nicht getötet werden wollen? Ist es zweifelhaft, wenn wir verdeutlichen, dass wir kein Kanonenfutter sind, dass das „Wir“ die Bedeutung dieser Bewegung, aber nicht ihr Instrument ist?
Ist es ein Zeichen vom Schwinden der Kräfte, wenn unsere Parole „Nieder mit der Diktatur“ heute aus dem Mund von Ali Larijani*, Ahmad Tavakoli* oder Ali Motahari* zu vernehmen sind? Bedeuten die Worte des Sprechers der palästinensischen Regierung, gerichtet an Ahmadinedschad, wonach dieser durch Gewalt, Unterdrückung und Fälschung an der Macht ist, die Zerschlagung der Grünen Bewegung?

Wenn noch Monate, nachdem die omnipräsenten Analysten unsere Erschöpfung attestiert haben, die Straßen bei jeder Gelegenheit von Anti-Aufruhr-Kräften wimmeln, bedeutet es dann, dass es uns nicht mehr gibt? Bedeutet es, dass unsere Bewegung keine Ergebnisse brachte, wenn heute Konservative, deren Hauptbeschäftigung letztes Jahr die Suche nach unseren Fehlern war, heute nach Gesetzen in der Verfassung suchen, um Ahmadinedschad des Amtes zu entheben?
Müssen wir Mousavi dafür tadeln, dass er noch immer im Rahmen der Verfassung spricht? Ist es schlimm, dass er nicht die Fahne des Umsturzes trägt und nicht das eigene und unser Blut vergießt? Im Sommer 2009 hat der Führer dieser Bewegung gesagt, ich ergebe mich nicht, darauf kamen drei Millionen von uns auf die Straße. Im Sommer 2010 hat uns derselbe Führer davon abgehalten, und wir sind nicht auf die Straßen gegangen. Inzwischen haben jene ein Problem, deren Arbeit monatelang darin bestand, zu beweisen, dass diese Bewegung führungslos ist. Denn es war nicht so. Und heute behaupten die gleichen Leute, die Grüne Bewegung sei gescheitert.
Vielleicht können diejenigen, die von außen das Geschehen beobachten, nicht begreifen, wie jede Entscheidung und Aktion in direkter Verbindung zu unserem Leben und Tod steht. Vielleicht ist Krieg, Verwüstung und die Zerstörung unserer Häuser für sie wie Szenen aus einem spannenden Film, dessen Ende sie möglichst bald erfahren möchten.
Aber wir, die miteinander leben, in Schmerz und Freude miteinander weinen und lachen, wir, die seit 30 Jahren alle Beschwernisse des Lebens ertragen und sie miteinander durchgestanden haben, wir müssen zusammen halten. Und denen, die versuchen die Bewegung zu spalten, von „Hoffnung“* sprechen.
Wir müssen uns selbst treu bleiben; die Grüne Bewegung ist alles, was wir haben. Wir müssen achtsam sein, denn sie haben vor, unsere gesamte Kultur der Trivialität anheim zu geben.
Unsere Grüne Bewegung wird an dem Tag verloren sein, an dem wir unseren Glauben an Demokratie und Freiheit verlieren. Wir haben eine Abmachung getroffen, unter den schmerzenden Knüppeln, mit der Angst vor Kugeln und dem brennenden Tränengas haben wir beschlossen, dass wir diese Heimat wieder aufbauen*. Erinnert ihr euch?
Dieses Land hat eine Geschichte voller Märtyrer. Heute benötigt es Soldaten, die atmen.
Samstag 25.September 2010 Original
Aus dem Persischen von Shahram Najafi