Der Heilige, die Abtrünnigen und die Verräter – Machtkampf im Gottesstaat

Im März wird im Iran ein neues Parlament gewählt. Die Kandidaten hatten bis Ende Dezember eine Woche Zeit, sich registrieren zu lassen. Die Reformer um den Ex-Präsidenten Mohammad Khatami haben bereits erklärt, diese Wahlen zu boykottieren. Doch auch zwischen den Anhängern von Präsident Mahmud Ahmadinejad und Revolutionsführer Ali Chamenei tobt ein Machtkampf, der sich im Vorfeld der Wahlen verschärft.
Der greise Geistliche beginnt ganz bewusst im Plauderton. Es geht zwar um die bevorstehenden Parlamentswahlen, doch genau besehen geht es bei diesem Interview ums große Ganze. Deshalb hat der 84-jährige Ayatollah Mohammed Reza Mahdavi-Kani die Zeitung „Pasdare Islam“, das Organ der Revolutionsgarde, für das Gespräch ausgewählt. Freundlich, familiär, fast intim erzählt er von seiner Kindheit, seiner Jugend als Vorbeter einer Moschee im Süden Teherans, über seine Bekanntschaft mit dem Gründer der Islamischen Republik, Ayatollah Khomeini, und schließlich über seine nachrevolutionäre Karriere.
Der immer noch agile alte Mann hatte in den vergangenen zwanzig Jahren viel zu tun. Eine Textilfabrik, seine Ladenpassagen und andere Immobilien in Teheran beanspruchten Mahdawi-Kanis Zeit. Außerdem kümmerte er sich gemeinsam mit seinem Sohn, seiner Tochter und der Schwiegertochter um die Universität „Imam Sadegh“, Kaderschmiede der Islamischen Republik.
Für die Niederungen der Tagespolitik blieb da kaum Zeit. Doch die tiefe Krise, die das Land seit der letzten Präsidentenwahl erfasst hat, braucht Mittler und Mahner. In seinem langen Interview mit „Pasdare Islam“ rechnet der greise Geistliche mit früheren Mitstreitern gründlich ab. Den unter Hausarrest stehenden Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi nennt er einen verkappten Sozialisten. Und für den ebenfalls arrestierten Oppositionspolitiker Mehdi Karroubi hat Mahdavi-Kani die Bezeichnung „ewiger Nörgler“ parat.
Retter in der Not
Seit neun Monaten leitet Ayatollah Mahdavi-Kani den sogenannten „Expertenrat“, jenes mächtige Gremium, das nach der iranischen Verfassung den mächtigsten Mann des Landes, den Revolutionsführer, bestimmt, seine Amtsführung beaufsichtigt und ihn notfalls auch absetzen darf. Theoretisch steht der Geistliche damit über dem Oberhaupt des Iran. Doch wohlgemerkt nur in der Theorie: Denn in der Praxis geht es bei der Aufgabe des Expertenrats nicht um Überwachung, sondern um Stärkung des Revolutionsführers und dessen uneingeschränkter Macht. Mahdavi-Kani soll in seinem Amt das vollbringen, was sein Vorgänger, der gewiefte, gut vernetzte, aber inzwischen isolierte Ali Akbar Hashemi Rafsandjani, nicht konnte – oder nicht wollte: Die Unantastbarkeit oder beinahe Unfehlbarkeit des Revolutionsführers herstellen.
Und damit keine Zweifel an seiner diesbezüglichen Loyalität aufkommen, steckt Mahdavi-Kani in diesem spektakulären Interview die Grenzen ab, gibt irgendwann seinen jovialen Ton auf und referiert in Gelehrtensprache, worum es geht: Revolutionsführer Ayatollah Khamenei sei nicht „wie Mao oder Bush nur ein einfacher Führer“, erläutert der greise Ayatollah: Er bekleide viel mehr „ein heiliges Amt“. „Und jemand, der nicht bereit ist, diese Heiligkeit anzuerkennen, stellt sich damit automatisch außerhalb der Ordnung der Islamischen Republik“, so der Expertenrat-Leiter.
Beispielloser Personenkult

Mahdavi-Kani - Foto: www.allameh.ir
Mahdavi-Kani - Foto: www.allameh.ir

Khamenei als „Heiliger“? Mit dieser Feststellung hat Mahdavi-Kani das Schicksal der iranischen Opposition besiegelt: Sie steht danach außerhalb der politischen Ordnung der islamischen Republik. Wollten die Oppositionellen je auf die politische Bühne zurückkommen, müssten sie erst öffentlich Reue zeigen und sich beim Revolutionsführer entschuldigen, so der greise Ayatollah. Für ihn ist damit das Kapitel der grünen Bewegung abgeschlossen. Ihre Anhänger und Sympathisanten würden sowieso nicht zu den Wahlen zugelassen, verkündet der Geistliche.
Die Idee von der „Heiligkeit“ Khameneis wird mittlerweile in unterschiedlichen Varianten und von verschiedenen Personen wiederholt. Paladine des Regimes aus zweiter und dritter Reihe melden sich mit haarsträubenden und unglaublichen Geschichten zu Wort, um das Volk zu überzeugen, welche himmlische, heilige Kraft in Khamenei steckt. Etwa jener Prediger aus der heiligen Stadt Qom, der – wie auf YouTube zu sehen ist – voller Überzeugung die Hebamme des Revolutionsführers zitiert, die behauptet, Khamenei habe schon bei seiner Geburt mit den Worten „Ya Ali“ nach dem ersten Imam der Schiiten gerufen. Ayatollah Saidi heißt dieser Prediger, er war Vertreter Khameneis bei der Revolutionsgarde und will nun Parlamentsabgeordneter werden.
Ahmadinejad verhindern
Die These von Khameneis Heiligkeit widerspreche allen Prinzipien der schiitischen Theologie, sagt dagegen der Beiruter Islamexperte Djawad Akbrein. Khamenei sei in der Rangordnung der Geistlichkeit nicht mehr als ein untergeordneter Mullah. Ihn zum Heiligen zu erklären, würde die Glaubwürdigkeit aller Großayatollahs untergraben, falls sie dazu schwiegen, so Akbrein.
Mit dem Personenkult um Khamenei, der manchmal sogar nordkoreanische Dimensionen überschreitet, sollen nicht nur die kaltgestellten Reformer, sondern auch die „Irregeleiteten“ eingeschüchtert werden, wie bestimmte Personen um Ahmadinedschad genannt werden. Der Präsident selbst hält sich von diesem Personenkult fern, mehr noch: bei seinen Ansprachen vermeidet er es demonstrativ, Khamenei zu erwähnen. Ahmadinejad glaube nicht an die „Herrschaft des Gelehrten“, sagt der Parlamentsabgeordnete Parviz Sarwari, der einst zu Ahmadinejads glühendsten Anhängern gehörte, ihn aber jetzt unablässig kritisiert.
Sarwari zählt sich wie eine große Gruppe von Abgeordneten samt vier entlassener Minister zu den sogenannten „Prinzipientreuen“. Unter dieser Bezeichnung wollten sich im Vorfeld der Parlamentswahlen alle Kritiker Ahmadinejads vereinen und eine gemeinsame Kandidatenliste präsentieren. Ayatollah Mahdavi-Kani sollte dabei als Vaterfigur, bekannte Namen wie Parlamentspräsident Ali Laridjani oder der Teheraner Bürgermeister Mohammad Ghalibaf als Zugpferde dienen. „Wie stehst Du zu Khamenei?“, lautete dabei die Frage und die Antwort sollte der Maßstab für eine Einigung sein. Doch die Einigung klappt nicht, Ahmadinejads Gegner bleiben zersplittert, obwohl sie ihn alle kritisieren und unermüdlich ihre Ergebenheit gegenüber dem Revolutionsführer Khamenei beteuern.
Nun gibt es drei getrennt marschierende Gruppen der „Prinzipientreuen“, die immerhin ein gemeinsames Ziel haben: eine Mehrheit von Ahmadinejad-Anhängern im Parlament mit allen Mitteln zu verhindern. Dem kommenden Parlament kommt wahrscheinlich eine sehr wichtige Aufgabe zu, nämlich den künftigen Präsidenten zu wählen. Denn seit Mitte September, als Khamenei über eine mögliche Verfassungsänderung und die Wahl des Präsidenten durch das Parlament räsonierte , wird in iranischen Zeitungen ernsthaft darüber debattiert, ob Ahmadinejad der letzte direkt gewählte Präsident des Landes sei.