Auf dem Wege zu einer Familiendynastie? Was alles der iranische Wahlkampf zu Tage fördert
Während die Reformer die bevorstehenden Parlamentswahlen als Farce bezeichnen, beschäftigen sich die verbliebenen Fraktionen der Konservativen mit Machtkämpfen und Nachfolgefragen. Die innen- und außenpolitische Krise des Iran ist so existenziell, dass sogar das Unaussprechliche zur Sprache kommt. Diskutiert wird nämlich, wer dem Revolutionsführer folgen könnte.
„Beyt Rahabari“ bedeutet „das Haus des Führers“. Doch kein normaler Iraner nennt sein Haus „Beyt“. Dieses arabische Wort ist nach einem ungeschriebenen Gesetz für die Behausung der Großayatollahs reserviert, für jene Geistliche, die „Mardjae Taghli“, sind, also „Quelle der Nachahmung“. Was einst für Könige Hof oder Schloss war, ist für die Großayatollahs eben „Beyt“. Genau wie ein Königshof ist auch sie „eine Institution mit Kammerdienern, Wachpersonal und allerlei Büros. Dort werden nämlich nicht nur die religiösen Fragen der Anhänger behandelt, sondern auch ihre Abgaben verwaltet. Je größer die Zahl der Anhänger, umso ausgedehnter ist zwangsläufig die „Beyt“. Etwa zehn Großayatollahs haben derzeit im Iran eine „Beyt“ in unterschiedlicher Größe. Die größte davon besitzt Ayatollah Ali Khamenei, der sich zwar Großayatollah nennt, aber nicht von allen als solcher anerkannt wird. Seine Beyt ist der Sitz eines Herrschers. Bis zu 30.000 Personen arbeiteten dort, sagt der bekannte Filmemacher Mohssen Makhmalbaf, der einst bei Khamenei und anderen Mächtigen viel Ansehen genoss. Er gibt auf seiner Webseite eine genaue und ausführliche Beschreibung davon, wie Khameneis „Beyt“ funktioniert, wer seine Berater sind und welche Rolle seine drei Söhne spielen. Khameneis Beyt: ein Staat im Staate mit allen Fachabteilungen für Innen- und Außenpolitik, mit Wirtschafts- und Militärabteilungen und eigenen Geheimdiensten. Das äußere Wachpersonal gibt Makhmalbaf mit 700 an, die persönliche und unmittelbare Leibgarde des Ayatollah mit 200 Personen. Die „Beyt Rahbari“ entsendet auch „Gesandte des Führers“ in wichtige Institutionen. Ob in Universitäten oder Moscheen, bei den Revolutionsgarden oder den Kulturschaffenden, in Ministerien oder im Basar; in welchem Teil des Landes auch immer, selbst in iranischen Botschaften im Ausland trifft man auf einen „Vertreter des Führers“ mit uneingeschränkten Befugnissen.
Sohn, Koordinator und Kronprinz
In der „Beyt des Führers“, in der Ex-Außen- und Innenminister, Generäle der Revolutionsgarden ebenso wie mächtige Geheimdienstler als Berater tätig sind, spielt offenbar der zweitälteste Sohn Khameneis, Modjtaba, als rechte Hand des Vaters die Rolle eines Koordinators. Von dem 42-jährigen Turbanträger gibt es wenig Bilder und keine Fernsehauftritte. Die breite Öffentlichkeit hörte Modjtabas Namen zum ersten Mal 2008 bei den Protestdemonstrationen nach der umstrittenen Wahl von Präsident Mahmoud Ahmadinedschad. Damals, als die Menge rief. „Modjtaba, stirb, bevor du Führer wirst!“ da konnten viele Beobachter nicht glauben, dass der „Nachfolgeplan“, der bis dahin nur gerüchteweise bekannt, offenbar tatsächlich weit gediehen war.
Vier Jahre zuvor hatte sich der iranische Oppositionsführer Mehdi Karroubi in einem offenen Brief an Khamenei über die Einmischung seines Sohnes Modjtaba in die Wahlen beschwert. Die beiläufige Antwort Khameneis auf diesen Brief öffnete viel Raum für allerlei Spekulationen. Karroubi hatte in diesem Brief beklagt: „Aghazadeh Modjtaba hat die Ergebnisse der Urnen vor allem in Teheran beeinflusst.“ Das Wort „Aghazadeh“ lässt sich zwar mit „Sohn des Herrn“ oder „der geborene Herr“ übersetzen. Doch immer versteht man darunter jemanden, der seine Bedeutung und Macht allein dem mächtigen Vater verdankt. Khamenei ließ damals Karroubi wissen, Modjtaba sei kein Aghazadeh, sondern selbst ein Agha, also ein Herr. Damals war Modjtaba 34 Jahre alt, also noch zu jung für höhere Weihen. Nach dieser Antwort begriffen viele aber, dass man künftig mit dem Schattenmann rechnen müsse.
Schwiegervater betritt die Bühne
Dass in manchen Kreisen der Macht ein entsprechender Plan tatsächlich existiert, zeigt eine inzwischen lauwarm dementierte Wahlkampfrede von Gholamali Haddad Adel. Haddad Adel ist der Schwiegervater von Modjtaba und als Professor für persische Literatur eine Art Hofdichter seines Vaters. Haddad Adel war einmal selbst Parlamentspräsident, bei der diesjährigen Wahl führt er die Kandidatenliste Teherans an. Er wird höchstwahrscheinlich Ali Laridjani verdrängen und wieder Parlamentspräsident werden, vermutet der Islamwissenschaftler Yussefi Eschkewari. Doch Haddad Adel hat bei dieser Wahl offenbar nicht nur seine eigene Karriere im Sinn, sondern auch die seines Schwiegersohns. In einer spektakulären Wahlkampfrede, die Haddad Adel laut Rooz Online vom 5. Februar vor einer Gruppe der Revolutionsgarden in Teheran gehalten hat, spricht er von Modjtaba als zweitwichtigster Persönlichkeit der Islamischen Republik. In dieser sehr offenen Ansprache forderte er zunächst die Revolutionsgarde auf, sie sollte wie früher auch bei diesen Wahlen ihre Rolle mit Weitsicht und Stärke spielen. Dann rechnet er ausführlich und energisch mit den früheren Parlamentspräsidenten Karroubi und Rafsandjani sowie mit dem Ex- Staatspräsidenten Khatami und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Moussawi ab. Sie alle bezeichnet er als Egoisten und Machtgierige, die nur mit List und Heimtücke an die Spitze der Islamischen Republik gelangen konnten.
Die Beschimpfung der arrestierten Oppositionsführer Karroubi und Moussawi ist nicht neu, auch der Vorwurf vom Heimtücke und Egoismus gegen die inzwischen weitgehend isolierten Rafsandjani und Khatami gehört zum Sprachgebrauch der offiziellen Medien. Spektakulär bei dieser Rede ist aber, wie Haddad Adel seinen Schwiegersohn Modjtaba lobt. „Als ich Parlamentspräsident war, musste ich bei wichtigen Fragen oft den Führer oder Agha Modjtaba konsultieren. Kennen Sie jemanden, der nach dem Revolutionsführer so weise, so vorausschauend ist wie Agha Modjtaba? Ich kenne niemanden. Er ist ein hochgeachteter Gelehrter und nach dem Führer die zweite Persönlichkeit dieser Republik. All das sage ich nicht, weil er mein Schwiegersohn ist, es ist meine Überzeugung und Erfahrung“, so Haddad Adel.
Ahmadinedschads Macht neigt sich zu Ende
Haddad Adel ist nicht der einzige, der in diesen Tagen Modjtabas Rolle betont. Auch Mohammad Reza Naghdi, der mächtige Kommandant der Basidjis – der Milizen -, lobte Modjtaba in ähnlichen Tönen. „Jede Kritik an Haddad Adel richtet sich gegen Agha Modjtaba und so gegen den Führer“, so Naghdi wörtlich.
Um dem Führer Treue zu zeigen, müsse man alles dafür tun, dass die „Irregeleiteten“ nicht ins Parlament gelangen, so die Anweisung Naghdis. Mit den „Irregeleiteten“ sind die Anhänger Ahmadinedschads gemeint. Der Präsident versuche mit Hilfe der ihm ergebenen Provinzgouverneure und Bürgermeister seine Kandidaten aus entlegenen Städten und Dörfern durchzubringen, schreibt die Webseite Tannak, die Mohssen Rezais gehört, dem Ex-Kommandanten der Revolutionsgarden. Doch Khameneis Vertraute haben schon vorgesorgt. Sechs Tage nach der Wahl soll Ahmadinedschad dem jetzigen Parlament wegen einer Reihe von Vorwürfen Rede und Antwort stehen. Es ist das erste Mal seit der Islamischen Revolution 1979, dass ein Präsident vom Parlament vorgeladen wird. Am Ende dieser Befragung könnte eine Amtsenthebung stehen. Obwohl Ahmadinedschad mehrmals bekundet hat, schon jetzt dem Parlament antworten zu wollen, bestehen seine Gegner auf den 8. März, eine Woche nach den Wahlen. Die Falle ist perfekt, schreibt der Satiriker Ibrahim Nabawi. Sollte Ahmadinedschad viel schummeln, um das künftige Parlament beherrschen zu wollen, werde er von den Abgeordneten nach Hause geschickt. Bleibe er artig und lässt er das künftige Parlament in Ruhe, „dann wird er uns in seinem letzten Jahr als lahme Ente erhalten bleiben“, so Nabawi.
Viele Iraner sind über diese obskuren Machtkämpfe und Intrigen fassungslos, denn all das geschieht in einem Land, das mit noch nie dagewesenen Sanktionen konfrontiert ist und am Ende wahrscheinlich mit einem Krieg rechnen muss. Denn viele westliche Politiker und Medien spekulieren inzwischen nicht mehr über das Ob, sondern über das Wann eines Waffenganges.