Abwägung der Wirtschaftlichkeit des Atomstroms für Iran

Was man sicher beziffern kann, ist der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nach der Verschärfung der Sanktionen. In den letzten sechs Jahren der laufenden Dekade verzeichnete das BIP des Iran bei optimistischer Betrachtung einen durchschnittlichen Rückgang um 4,35 Prozent. Wenn man das mittlere Wachstum von 2,8 Prozent des BIP in der IRI seit 1983 heranzieht, hat das Land auf der Basis eines BIP um 500 Milliarden US-Dollar in diesen sechs Jahren 215 Milliarden Dollar eingebüßt.

Diese Zahl gibt nur eine vage Vorstellung davon, welche verheerenden finanziellen Schäden die IRI durch ihre irrationale Außen- und Atompolitik erlitten hat.

Dieser Verlust ist sicherlich nur ein Bruchteil dessen, was die umfassenden lähmenden Sanktionen verursachen. Aufgrund der Intransparenz des Regimes ist eine genaue Kalkulation schwierig, doch man kann einige Beispiele anführen:

  • Die Unterbindung des legalen Handels mit wichtigen Ländern der Welt führt dazu, dass der Handel zu einem erheblichen Teil über illegale Umwege läuft, wobei bei Ein- und Ausfuhren schlechte Konditionen zu Ungunsten des iranischen Partners diktiert werden.
  • Die Unterbindung des Öl-Exports: Neben dem drastischen Rückgang des Öl-Exports muss die IRI für ihr Öl große Rabatte gewähren. Zudem rief die Notwendigkeit zur Umgehung der Sanktionen mit dem Regime liierte kriminelle Personen auf den Plan, die Milliarden Dollar veruntreuten.
  • Die Kappung der Bankverbindungen und die Verhinderung von Transaktionen auf Dollar-Basis verunmöglicht den Handel oder führt zu drastischen Erhöhungen der Transaktionskosten. Ferner bleiben Milliarden iranischer Guthaben bei ausländischen Banken blockiert.
  • Dringend notwendige ausländische Investitionen insbesondere im Energiesektor bleiben aus. Das bedeutet: Für die Versorgung des AKW Bushehr1, das nur 1,3 Prozent des iranischen Strombedarfs deckt, wurde der Gassektor geopfert. Gemäß dem Energieszenario des Regimes sollten die Gaskraftwerke 75 Prozent des Strombedarfs des Landes decken. Derzeit sind es ca. 62% – ganz abgesehen davon, dass der Iran als Land mit den weltweit zweitgrößten Gasreserven diese nicht angemessen fördern und exportieren kann.
  • Brain Drain: Der Verlust von Arbeitsplätzen infolge dieser Entwicklungen führt zur Emigration des jungen wissenschaftlichen Nachwuchses des Landes – ein Riesenverlust an Humankapital.

Die Kosten des Brain Drains

Das chronisch ineffiziente Wirtschaften des iranischen Regimes gepaart mit den Sanktionen hat dazu geführt, dass in der IRI eine hohe und andauernde Arbeitslosigkeit entstanden ist. Diese kombiniert mit der herrschenden politisch und gesellschaftlich repressiven Atmosphäre lassen das Leben im Iran für viele Hochschulabsolvent*innen perspektivlos erscheinen.

Die Konsequenz daraus ist die massenhafte Emigration – und damit ein Aderlass des besonders qualifizierten Humankapitals. Diesen Verlust zu beziffern ist nicht leicht. Doch liefern vorliegende Informationen ein Bild davon, welchen immensen finanziellen Aderlass dieser Brain Drain für den Iran bedeutet. Nach übereinstimmenden inländischen wie internationalen Daten verlassen jährlich 150.000 Universitätsabsolvent*innen das Land. Es ist schwierig, Daten über die Kosten zu finden, die ein Kind im Iran von der Geburt bis zum Hochschulabschluss verursacht. Einen Anhaltspunkt liefern Angaben über die Kosten eines Medizinstudiums: Diese belaufen sich für sieben Jahre auf 700 Millionen Toman, was nach dem offiziellen Wechselkurs von 4.200 Toman für einen US-Dollar einer Gesamtsumme von etwa 166.000 Dollar entspricht. Wohl gemerkt, das sind nur die unmittelbaren Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten, andere voruniversitäre Ausgaben sind nicht inbegriffen. Nähme man Zahlen aus Deutschland als Rechengrundlage, wo ein Kind von der Geburt bis zum Hochschulabschluss etwa 230.000 Euro kostet, würde der Iran jährlich 34,5 Milliarden Euro verlieren. Doch gewiss ist das nur ein Anhaltspunkt, da die Kosten im Iran erheblich niedriger sind.

Kappung internationaler Kontakte

Eine weitere Folge der Sanktionen gegen den Iran ist die Kappung der wissenschaftlichen, technologischen und kulturellen Verbindungen des Landes zu den relevanten Teilen der wissenschaftlich-technologischen Welt.

Diesen Verlust kann man nicht mit Zahlen beziffern. Doch die Kompensation dieser wissenschaftlichen, technologischen und kulturellen Abgeschiedenheit des Landes infolge der sich über Dekaden hinziehenden Isolation wird, optimistisch gedacht, mindestens eine Generation in Anspruch nehmen.

Ist Atomstrom der günstigste?

Werden sich die oben aufgezählten Verluste für den Iran irgendwann auszahlen? Wird das Land sie durch den Atomstrom ausgleichen können? Viele alte und neue Studien der OECD und der IEA (Internationale Energieagentur) zeigen, dass die Kosten der Stromerzeugung durch Atomkraftwerke im Vergleich zu Gaskraftwerken in den meisten Ländern höher sind.In den USA liegen die Kosten für eine Megawattstunde zwischen 71 (AKW) und 45 (GKW) bzw. 99 und 49 Dollar, je nachdem, welche Discount-Rate – 7 oder 10 – herangezogen wird. Die Discount-Rate DCF ist ein Finanzbegriff, der investitionssensitiv ist. In Europa liegen diese Kosten bei 71 (AKW) zu 71 (GKW) bzw. 97 zu 74 Dollar.

Es gibt zahlreiche andere Studien, die von wesentlich höheren Atomstromkosten berichten. Grundsätzlich ist das vom Gaspreis abhängig; in Ländern wie dem Iran mit leichtem Zugang zu Gas sind Gaskraftwerke wesentlich günstiger. In die Kalkulation ist eine CO2-Steuer von 30 Dollar pro Tonne CO2 als Externalität eingeflossen – diese Steuer ist im Moment in Deutschland niedriger, während die Externalität für Atomstrom nicht einbezogen worden ist: die Kosten für die Jahrtausende währende Unterhaltung und Bewachung der Endlager für abgebrannte Brennelemente. Damit wird klar, dass Atomstrom für den Iran auch ohne die politischen Folgekosten in keinem Fall eine günstige Entscheidung wäre.♦

© Iran Journal

Zum Autor: Dr. Behrooz Bayat, geboren im Iran, studierte Physik an den Universitäten Teheran, Frankfurt am Main und Marburg. Nach Promotion und Forschungstätigkeit arbeitete er unter anderem als freiberuflicher Berater für die Internationale Atomenergiebehörde in Wien. In seinen Publikationen setzt er sich u.a. mit der Nuklearpolitik des Iran auseinander.

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