Einkaufen für die Freiheit? (Teil 2)
Erneut Zusammenstöße und Verhaftungen in Teheran bei den Demonstrationen am 01. März – Erlebnisberichte aus dem Netz
Dies ist der zweite Teil des Artikels, eine Einführung finden Sie hier: Einkaufen für die Freiheit – Teil 1.
Erlebnissberichte aus dem Netz
„Ich bin um halb fünf losgegangen. Überall Sicherheitskräfte, aber keine Leute. Ich nahm ein Taxi, der Fahrer sagte, es sei nichts los heute. Ein mitfahrendes Pärchen aus der Provinz hoffte, dass irgendwo was passiert.
Es war offensichtlich, dass wir nicht zum Einkaufen gekommen waren
Ich stieg an einem zentralen Platz aus, und lief Richtung Kalej-Kreuzung. Es wurde langsam voller, und es war offensichtlich, dass wir nicht zum Einkaufen gekommen waren. An allen Kreuzungen standen Sicherheitsleute, und sobald es an der Ampel etwas voller wurde, forderten sie ängstlich die Menschen zum Weitergehen auf. Einige hatten etwas Grünes angezogen.
Ein Mädchen sagte, lasst uns skandieren. Andere waren dagegen, weil wir sonst den Freiheitsplatz nicht erreichen würden. Alle liefen schweigend oder schimpften auf die unsichtbare Geheimpolizei. Sie umringten einen Jungen und verhafteten ihn. Etwa gegen 18 Uhr erreichten wir, immer noch schweigend, den Enghelab-Platz. Da war es richtig voll. Auf dem einen Bürgersteig war eine Menge Demonstranten, auf der anderen Seite Leute, die Angst hatten, und trotzdem gekommen waren. Ab Jamalzadeh wurde es heftig voll und plötzlich begannen die Ausschreitungen.“
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Blogeintrag: Alle beschimpfen sie, leise, aber vernehmbar
„Mensch, wir sollten dankbar sein, für die Sicherheit, die sie uns zum Einkaufen gewährleisten. Alle Straßen gesperrt, überall Sicherheitskräfte mit Masken, die Plätze mit Polizeibussen und Gittern abgesperrt, die Gassen mit Sondereinheiten zugeparkt, das ist doch ein richtig heimeliges Gefühl zum Einkaufen. Die Menge schlägt Wellen auf den Trottoirs, keiner geht in die Läden und alle beschimpfen sie, leise, aber vernehmbar.“
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Blogeintrag: Beklemmendste Situation in meinem Leben
„Auf der Enghelab-Kreuzung hatten sie einen Tunnel aus Menschen gebildet, auf beiden Seiten standen sie. Es gab keinen anderen Weg außer diesen Tunnel. An dessen Ende stand ein Bus mit offener Tür. Jeder, der in diesem Tunnel war, konnte nur vorwärts, und war gezwungen, in den Bus zu steigen. Das war wohl die beklemmendste Situation in meinem Leben.“
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Blogeintrag: Zigaretten und Streichhölzer
„Nasrin hat ein eine von diesen kleinen Bahman-Packungen (Zigaretten) nach Hause gebracht, auf der eine Packung Streichhölzer klebte. Ein Junge hatte das Paket, zwischen Navab und Eskandarie verteilt, wo sie viel Tränengas verschossen hatten.“ (Rauch gilt als Abhilfe gegen Tränengas, Anm. Red.)
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Blogeintrag: Zivilgekleidete in vier Varianten
„Die Zivilgekleideten sind ziemlich abwechselungsreich geworden; ich konnte heute vier Modelle voneinander unterscheiden:
1. Die klassische Variante: Das sind die, die wir im Kopf haben, wenn wir an Zivilgekleidete denken: Typischer Drei-Tage-Bart, sehr dünn oder sehr dick, Hemd über der Hose, Khaki-Schuhe, das Gefühl, endlich wichtig zu sein, ständig am reden mit seinen Begleitern, und Kopfbewegungen wie ein Leuchtturm.
2. Die akademische Variante: Alter über 40-50, graumeliertes Haar, langer, schwarzer Mantel, schicke Brille, freundlicher und verständlicher Blick und…ein Funkgerät in der Tasche.
3. Die infiltrierende Variante: so wie ihn keiner erwartet, sein Aussehen und Kleider sind völlig up to date und sein Benehmen einigermaßen normal.
4. Die weibliche Variante: Ja, der Kampf um die Gleichberechtigung zeigt erste Früchte und die geschlechtliche Spezifikation auf diesem Feld wird abgebaut.“
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Blogeintrag: Weibliche Zivilgekleidete
„Gegen drei saß ich im Bus Richtung Freiheits-Platz. Auf beiden Straßenseiten standen Sondereinheiten der Polizei, auf der Straße sichtbare Zivilgekleidete. Ich filmte versteckt. Eine Frau quatschte, seitdem sie eingestiegen war, Blödsinn: Iraner seien immer ohne klare Aspekte, wollen immer von Diktatoren beherrscht werden. Sobald es ein wenig Demokratie gibt, gehen sie auf die Straße… Ich ignorierte sie.
Warum filmst du? Es gibt keine Demos.
Wir kamen an der Vali-Asr-Kreuzung an. Dort waren mehr Sicherheitsleute als überall sonst. Die Frau merkte, dass ich filme: „Warum filmst du? Ist doch nichts los. Gibt keine Demonstration, das sind alles Fußgänger.“ Ich sagte, sie habe Recht. „Hier ist immer so voll!“ Ich sagte, ich käme gerade aus der Provinz, sei zum ersten Mal in Teheran: „Ich will meinen Leuten zu Hause zeigen, wie Teheran aussieht.“ Nach der Kreuzung hörte man ein Polizeimegafon: „Bus, anhalten!“
Ich warf das Handy in die Tasche und die Tasche unter den Sitz. Ein riesenhafter Polizist stieg ein. Befahl dem ersten mit einem Handy in der Hand, es auszurücken, es wurde laut. Sie zeigten auf mich, und sagten „Der hat gefilmt!“ Der Polizist schrie, ich solle ihm das Handy geben, ich schrie zurück, dass ich keins habe. Er drohte, mich ins Ewin-Gefängniss zu bringen, ich sagte „Ok, lass gehen, ich habe kein Telefon“. Er schaute mich an. Hielt inne und trat mich mit seinem Stiefel fest gegen das Knie.
Auf eine komische Art wurde ich still. Die Frau kam und durchsuchte alles. Sie schrie, wo das Handy sei. Im Bus war das Chaos ausgebrochen, alle schrieen durcheinander. Ein Blödmann fand meine Tasche und gab sie dem Polizisten. Ich glaube nicht an Übernatürliches, aber es passierte gar nichts. Er gab mir die Tasche zurück, und hat nichts rausgenommen.“
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Blogeintrag: Kinder mit Schlagstöcken
„Ich bin so verärgert darüber, wie viele Jugendliche unter 18 Jahren, ausgerüstet mit Schlagstöcken, Helmen und sonstigen Dingen unterwegs waren. Es war schrecklich. Schrecklich, das ansehen zu müssen, sie waren teilweise 12, 13 oder 14. Ich fragte mich, ob ich wegrennen würde, wenn einer von denen mich verfolgen würde. Oder ob ich das Kind zusammenschreien würde, damit es vor Schreck rennt. Es ist schrecklich…Goooott…meine Augen schmerzen von dem, was ich sehen muss.“
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Blogeintrag: In der Metro
„Je weniger man sich oben unter Schlägen getraut hat, umso mehr haben wir stattdessen die Metro zum bersten gebracht. In der Enghelab Metrostation. Es kam kein Zug, dafür immer mehr Menschen. Den meisten konnte man ansehen, auf welcher Seite sie standen. Offenbar keiner von den Anderen.
Ein Mädchen wollte sofort anfangen. Man brachte einen Jungen herunter, Hände vorm Gesicht. Die Begleiterin sagte, er hätte einen Schlag auf den Kopf bekommen und ihm wäre übel. Ein anderer Junge stand auf und überließ ihm seinen Platz. Jemand anders bot ihm Fruchtsaft an. Die Frau fragte nach einer Uhr, um ihm den Puls zu fühlen. Der Zug kam immer noch nicht. Die Menge quoll an, jemand sagte: „Stellt euch nicht so eng um ihn, lasst ihm doch Luft zum atmen.“
Auf einmal platzte der Zug: „Nieder mit der Diktatur“
Endlich kam der Zug. Der Junge, der seinen Platz zur Verfügung gestellt hatte, sagte: „Dafür scheinen wir hier unter uns zu sein!“ Und übernahm die Führung. Als der Zug losfuhr, sagte er leise „Ya Hossein“, wir antworteten vorsichtig „Mir Hossein“.
Auf einmal platzte der Zug: „Nieder mit der Diktatur“. Es bebte richtig, die Füße schlugen auf, die Menschen schrieen angstfrei aus vollem Hals. Der Boden vibrierte. Wir klatschten zu Ehren der Grünen und sangen zusammen „Yare Dabestanbie man“ (Mein Grundschul-Freund). Die, die nicht mitmachten, lächelten bestätigend. An jeder Haltestelle wurde es still, ‚psst, psst’; einer in der Nähe der Tür bat: „Nur einsteigen, wer zum Einkaufen geht!“
Ein Junge fing an zu filmen, „Hör auf zu filmen!“, „Ich nehme aber nur Ton auf“, entgegnete er. Man ließ ihn gewähren. „Freiheit für Mussawi, sonst gibt es einen Aufstand“ oder „Ya Mahdi, Scheikh Mahdi“ oder „Moslehi, du armer, das ist die letzte Botschaft“ oder „Dienstags gehen wir einkaufen“, ich weiß gar nicht mehr was alles skandiert wurde. Man hörte, dass es in den anderen Wagons ähnlich zuging.
Nach und nach stiegen die Leute aus. Als ich ausstieg setzte sofort die Angst wieder ein. Ich hatte Angst, dass einer mich ausgesucht, und nun verfolgen würde. Ich versteckte mich in der Menge draußen und verschwand. Wer sonst in der Metro war, soll den Rest erzählen. Gut, ist nicht viel passiert; wenigstens gemerkt, dass wir noch viele sind. Und das Brüllen! Es war schon erleichternd. Jetzt habe ich Angst, die Nachrichten zu lesen.“