Ein Audioclip als Zündstoff für den Machtkampf im Iran
Für die einen ist er der Architekt des Gottesstaats, für die anderen der oberste Pate des Machtapparats: Ayatollah Hashemi Rafsanjani gerät zunehmend unter Druck. Seine Tochter Faese sitzt wegen „Propaganda gegen die Islamische Republik“ im Gefängnis. Sein Sohn Mehdi befindet sich in Untersuchungshaft. Nun taucht ein Audioclip im Internet auf, der das Schicksal der gesamten Familie besiegeln könnte.„Ist das der letzte Sargnagel?“, fragt ein Leser der Webseite „Jawan“. Die Seite hat ein privates Telefongespräch zwischen dem bekannten iranischen Exil-Journalisten Nikahang Kosar und Mehdi Haschemi, dem Sohn des einst mächtigsten Politikers der Islamischen Republik Ayatollah Haschemi Rafsanjani, veröffentlicht. „Jawan“ gilt als Organ der iranischen Revolutionsgarden, ihre Leser geben sich in den Internetforen als regimetreu, politisch interessiert und über das Labyrinth der Teheraner Macht offenbar gut informiert. Um den Nagel zu wessen Sarg es sich handelt, braucht der Fragende daher nicht extra zu erwähnen – seine Mitdiskutanten wissen, wer gemeint ist: Ayatollah Haschemi Rafsanjani, Chef des sogenannten Schlichtungsrat, einem wichtigen Gremium der Islamischen Republik, das die Aufgabe hat, eine mögliche Pattsituation bei der iranischen Gesetzgebung aufzuheben.Die von „Jawan“ verbreitete zwanzigminütige Tonaufnahme ist aber viel mehr als nur ein Sargnagel. In einer Zeit der zugespitzten innen- wie außenpolitischen Krise und wenige Monate vor der nächsten Präsidentenwahl ist das Geplauder zwischen zwei offenbar Altbekannten eine mediale Bombe mit brisantem Inhalt. Mehdi Haschemi musste – als
angeblicher Unterstützer von Ahmadinedschads Kontrahenten – kurz nach der umstrittenen Präsidentenwahl im Sommer 2009 das Land verlassen, kehrte nach einem dreijährigen Auslandsaufenthalt im vergangenen September in den Iran zurück und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Sein Telefonpartner Kosar gibt zu, dass er das Gespräch ohne Wissen Haschemis mitgeschnitten hat und beruft sich auf die Mediengesetze Kanadas, wo er sich derzeit aufhält. Ethisch ist das zwar durchaus fragwürdig. Doch mit seiner heimlichen Aufnahme liefert Kosar brisante Hintergründe, sogar justiziable Beweise nicht nur gegen Mehdi, sondern – weit wichtiger – gegen dessen Vater Ayatollah Haschemi Rafsanjani. Man erfährt wie alt und unversöhnlich der Machtkampf zwischen zwei alten Ayatollahs samt ihrer Familien an der Teheraner Machtspitze ist. In dem Gespräch mit Kosar bezeichnet Mehdi Haschemi das Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei als Diktator, lästert über dessen machthungrigen Sohn Modjtaba und brüstet sich, wie effektiv er die Kampagne gegen Ahmadinedschad und die darauffolgende „Grüne Bewegung“ unterstützte. “Immer noch ärgert sich Modjtaba“, so Mehdi wörtlich – und macht eine sehr schwerwiegendere Andeutung. Er habe sich in Amerika für die Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran eingesetzt.
Mehdi Hashemis Schicksal scheint besiegelt
Der Audioclip war kaum mehr als drei Stunden im World Wide Web, da kündigte der zuständige Staatsanwalt – als ob er auf dieses Medienereignis gewartet hätte – an, Mehdi Haschemi müsse noch weitere zwei Monate in Untersuchungshaft bleiben, die Vernehmungen und weitere Untersuchungen dauerten noch an. Viele Vernehmungen oder Nachforschungen braucht die iranische Justiz nicht, um Mehdis „Schuld“ zu beweisen. Das, was er in dem Audioclip ausplaudert, reicht nach den Methoden der Islamischen Republik für drakonische Strafen aus. Die Äußerungen des 43-Jährigen könnten nach Maßstäben der iranischen Justiz Beweise für Landesverrat, Beleidigung des Revolutionsführers und Beeinträchtigung der nationalen Sicherheit sein. Für viel Harmloseres verhängt man im Iran die Todesstrafe.
„Khamenei bändigen“
So gesehen scheint Mehdis „Schuld“ für die Machthaber längst offenkundig. In der Untersuchungshaft soll er offenbar noch genauere Auskunft über die Rolle seines Vaters geben, die er in dem Telefonat mit Sätzen wie etwa: „Zwischen meinem Vater und mir gibt es eine Arbeitsteilung, wie wir Herr Khamenei kontrollieren“, oder: „Auch im Geheimdienst haben wir unsere Leute“, und weiter: „Seit zehn Jahren versuchen Papa und ich Herrn Khamenei zu bändigen mit Methoden und Verbindungen, die vielfältig sind“, nur andeutet. Die Audiodatei ist politisch so explosiv, dass die Familie Rafsanjani sie umgehend als Fälschung und Verschwörung bezeichnete. Der einst mächtigste Mann des Landes selbst hüllt sich noch in Schweigen, dafür melden sich seine Gegner: Radikale Abgeordnete verlangen von ihm eine Erklärung, Zeitungen und Webseiten, die den Hardlinern nahe stehen, fordern die Justiz auf, tätig zu werden, und der Generalstaatsanwalt Jaafri Doulatabai warnt unverhohlen: „Wer diesen Clip für eine Fälschung hält, muss sich verantworten.“ Es herrscht der Eindruck, man bediene sich des Clips als wirksame Waffe, um Rafsandjani völlig zu entmachten – den Mann, der als eigentlicher Architekt der Islamischen Republik gilt. Ohne Rafsandjani wäre selbst Khamenei heute nicht Staatsoberhaupt, meinen alle Kenner der Islamischen Republik.
Mehr Audio-Clips zu erwarten?
Wie aber wird der iranische Geheimdienst eines Telefongesprächs habhaft, das allem Anschein nach Anfang Oktober zwischen Kanada und Großbritannien geführt wurde? Und welche Rolle spielt der berühmte Exil-Journalist Nikahang Kosar, von dem einige seiner Kollegen meinen, er sei eher seiner Eitelkeit verpflichtet als der Wahrheit? Kosar behauptet, er habe die Aufnahmen einem kanadischen Gericht geben müssen, das in einer Korruptionsaffäre ermittelt, in die Mehdi Haschemi verwickelt sei. Nach seinen Angaben hat er insgesamt 50 Audioclips geliefert. Man darf also annehmen, dass die Fortsetzung folgt.