Repression und Rebellion: Künstlerinnen im Iran

Nach diesem Überblick stellt sich die Frage, warum nur ein sehr geringer Prozentsatz der Künstlerinnen ins berufliche Umfeld gelangt. Zutreffende Annahmen hält die berühmte US-Kunsthistorikerin Linda Nochlin in ihrem Essay „Why Have There Been No Great Women Artists?“ fest – sie lassen sich mehr oder weniger auf jedes geografische Gebiet übertragen.

Die iranische Regierung fasst die große Anzahl der Kunststudentinnen als Zeichen der Wertschätzung und Entwicklung von Frauen in einer „islamischen Gesellschaft“ auf. Wenn es zum Thema Arbeitsmarkt und Berufstätigkeit von Künstlerinnen kommt, herrscht jedoch Stille. Mangelnde Ernsthaftigkeit und fehlender Ehrgeiz von Frauen seien die Gründe, heißt es dann. Dies beruht zum Teil auf der Einstellung konservativer Kreisen der Islamischen Republik, die den Dienst an der Familie für Frauen als Selbstverständlichkeit betrachten. Ihre Berufstätigkeit führt in den Augen der Konservativen zu einem höheren Heiratsalter und untergräbt die vom Staat verteidigten traditionellen Werte.

Auf der anderen Seite spiegelt diese Haltung die allgemeine Sichtweise der Machthaber über die Kunst wider: Kunst ist nichts Ernstes, sie gilt als Beschäftigungstherapie für bestimmte Schichten der Gesellschaft. Es ist deshalb besser, wenn sie auf dieser Ebene bleibt.

Viele iranische Künstlerinnen berichten vor diesem Hintergrund von ihrem ständigen Kampf, sich zu beweisen, ihre berufliche Position zu finden, davon, ausgeschlossen und nicht erst genommen zu werden. Frauen finden in der iranischen Kunstwelt weitaus seltener als Männer Sponsor*innen und Ausstellungsmöglichkeiten für ihre Kunstwerke. Auf dem Kunstmarkt sind ihre Einnahmen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen geringer. Der Weg zur Uniprofessur ist durch das Auswahlverfahren nach Kleidungsvorschriften ebenfalls steinig. Dies führt dazu, dass sich der Anteil der Frauen auf unter zehn Prozent beschränkt, wenn prägnante Künstler*innen der letzten hundert Jahre nur aufgrund ihrer Werke und ihres Einflusses aufgelistet werden.

Ein Werk von Bita Fayyaz, eine der derzeit renommiertesten iranischen Künstlerinnen
Ein Werk von Bita Fayyaz, einer der derzeit renommiertesten iranischen Künstlerinnen

Perspektivwechsel

Geht man aber von der Annahme aus, dass die Autoren des sechsbändigen Buches Künstlerinnen absichtlich und systematisch, gar auf Anweisung höherer Instanzen und staatlicher Verlage außen vor gelassen haben, lässt sich die Lage der Frauen in der iranischen Kunstszene aus einer anderen Perspektive betrachten.

Wie bereits ausgeführt, sind Frauen in der zweiten Hälfte des vergangenen iranischen Jahrhunderts im beruflichen Kunstumfeld deutlich präsenter – insbesondere in den letzten Jahrzehnten, in denen die politische, soziale und kulturelle Identität der iranischen Gesellschaft maßgeblich mit Handlungen und Leistungen von Frauen in Verbindung steht. Frauen haben die Sprache der Kunst, vielleicht mehr als Männer, als Medium eingesetzt, um ihre Meinungen, Bedenken und Gefühle zum Ausdruck zu bringen, die entweder von der Gesellschaft nicht akzeptiert oder von staatlichen Institutionen unterdrückt werden.

Genderspezifische Tabubrüche – sei es thematisch und inhaltlich oder bedingt durch das Auftreten des weiblichen künstlerischen Gesichts – sind eines der herausragenden Merkmale der Kunstwerke iranischer Frauen in den letzten Jahrzehnten.

Im Schatten politischer Konflikte

Fortsetzung auf Seite 3