In der Einsamkeit der Seele: 10 wichtige iranische Romane in deutscher Übersetzung

Zwar wird nur wenig Literatur aus dem Persischen ins Deutsche übersetzt – einige herausragende iranische Romane gibt es aber in deutscher Sprache, darunter Meilensteine der iranischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Wer einen ersten Einstieg in die Romanwelt Irans sucht, wird bei den folgenden 10 Büchern fündig.

Simin Daneshwar: Drama der Trauer

© Glaré Verlag„Drama der Trauer“, in Iran 1969 erschienen, ist der Debütroman von Simin Daneshwar (1921-2012), der Grande Dame der iranischen Literatur, und bis heute ein monumentales und ungebrochen wichtiges Werk. Es erzählt von einer wohlhabenden Familie im von Briten besetzten Shiraz während des Zweiten Weltkriegs. Mit der Zeit dringen die zahlreichen schwelenden gesellschaftlichen Konflikte in die Familie ein und stellen sie auf die Probe. Einerseits zeichnet Daneshwar ein detailliertes Gemälde jener Zeit, erzählt einen historischen Roman einer Ära, die sie selbst in Shiraz selbst erlebt hat, andererseits geht es um politische wie zwischenmenschliche Konflikte, die sich im Kern seither kaum verändert haben, weshalb das Buch, das kleine Geschichten in die große Rahmenhandlung webt, auch im Jahr 2025 noch wunderbar zugänglich ist

Glaré Verlag 2025, Deutsch von M.H. Allafi, Sabine Allafi und Jutta Himmelreich

Ava Farmehri: Im düstern Wald werden unsere Leiber hängen

© Edition NautilusAls Sheyda 1999 für den Mord an ihrer Mutter zum Tode verurteilt wird, ist sie genau zwanzig Jahre alt – wie die Islamische Republik, in der sie aufgewachsen ist. In der Todeszelle lässt sie ihr Leben an sich vorbeiziehen, die schwierige Kindheit, die stürmische Jugend, immer wieder gebremst von den Umständen, und auch die Traumwelt, in der sie ihr jüngeres Ich mit Dantes Beatrice verschmelzen lässt (der Titel des Romans ist ein Zitat aus der Göttlichen Komödie). Ein so finsterer wie faszinierender Debütroman einer Autorin, deren Pseudonym bislang nicht gelüftet ist, und der auf ein Ende zusteuert, das einem den Boden unter den Füßen wegreißt. „Im düstern Wald…“ erschien erstmals 2017 in Kanada – im englischen Original.

Edition Nautilus 2020, Deutsch von Sonja Finck

Abbas Maroufi: Symphonie der Toten

© Sujet VerlagDer ursprünglich 1996 bei Suhrkamp auf Deutsch erschienene Roman „Symphonie der Toten“ von Abbas Maroufi (1957-2022) gilt als Meilenstein der iranischen Prosa – zu Recht. Er erzählt die Geschichte einer Familie Mitte des 20. Jahrhunderts. Der junge Aidin, einer von vier Geschwistern, will aus dem kleinbürgerlichen Familienleben und der Enge der konservativen Traditionen ausbrechen. Doch der autoritäre Vater, ein Nusshändler, hält so gar nichts von den literarischen Ambitionen seines Sprösslings, der ganz nach dem Vater kommende Bruder ebenso wenig. Ein wie eine Symphonie komplex aufgebautes Prosawerk von zeitloser Größe, die Erzählung eines Bruderkrieges und des Kampfes von Individualismus gegen Traditionalismus. Ein Meisterwerk. In Iran erschien das Buch 1989.

Sujet Verlag 2020, Deutsch von Anneliese Gharaman-Beck

Fariba Vafi: Der Traum von Tibet

© Sujet VerlagBeziehungen zwischen Menschen sind kompliziert. Man lebt miteinander, obwohl man es manchmal weder kann noch will. Scholeh, die Protagonistin von Fariba Vafis Roman „Der Traum von Tibet“, beobachtet diese komplizierten Beziehungsgeflechte innerhalb ihrer eigenen Familie, während sie verzweifelt versucht, ihren Liebeskummer zu überwinden, nachdem Mehrdad einfach aus ihrem Leben verschwunden ist. Und dann ist da noch Sadegh, gerade aus der Haft entlassen, der sich an nichts und niemanden mehr binden will. In ihrem filigran erzählten Roman zeichnet die Bestsellerautorin Fariba Vafi, eine der stärksten Stimmen der iranischen Gegenwartsliteratur, ein detailreiches Bild eines Lebens unter widrigen Bedingungen, in dem jeder sich wünscht, woanders zu sein. In Tibet zum Beispiel. Ihre höchste Kunst ist es dabei, alles Wesentliche zwischen den Zeilen zu sagen – nicht zuletzt, um der Zensur zu entgehen. In Iran erschien der Roman 2005 und wurde dort mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Sujet Verlag 2018, Deutsch von Jutta Himmelreich

Amir Hassan Cheheltan: Iranische Dämmerung

© Verlag P. KirchheimKurz nach der Revolution von 1979 kehrt der linke Student Iradj aus russischer Haft nach Iran zurück – und nichts ist, wie es mal war. Seine Frau will nichts mehr mit ihm zu tun haben, und auch sein Vater, der einst stolze Oberst Biraschg, sieht ihn als Schande seines Lebens. Auch das Land selbst hat sich drastisch verändert. Iradj hatte den Schah bekämpft, doch das, was nun entsteht, wollte er nicht. Am Ende hält ihn nichts mehr in diesem Leben ohne vertraute Menschen, ohne eine Heimat. Von Amir Hassan Cheheltan liegen zahlreiche Bücher auf Deutsch vor, am populärsten ist seine Teheran-Trilogie, doch „Iranische Dämmerung“ ist sein mit Abstand stärkstes Buch und ragt aus der Masse der Revolutionsromane weit heraus. Das persische Original wurde 2005 im Iran veröffentlicht.

Verlag P. Kirchheim 2015, Deutsch von Jutta Himmelreich und Farsin Banki

Shahriar Mandanipur: Eine iranische Liebesgeschichte zensieren

Die Liebe ist ein Kernthema jeder Literatur – auch der iranischen. Doch moderne Liebesromane zu schreiben hat Tücken, wenn die Veröffentlichung von der Zensur abhängig ist. Ein junges Paar, das sich einander annähert, Händchen hält, sich küsst und vielleicht noch ganz andere Dinge tut – schwierig, denn kaum etwas davon darf explizit beschrieben werden, wenn man in der Islamischen Republik eine Publikationserlaubnis bekommen will. Mit seinem gewitzten Roman, der weltweit, nur nicht in Iran, völlig unzensiert erschienen ist, demonstriert Shahriar Mandanipur, wie das Zensursystem im Land funktioniert und womit Autoren und andere Publizisten zu kämpfen haben, ebenso, wie die Schwierigkeiten, denen sich junge Paare ausgesetzt sehen in einem Land, dessen Regime tief ins Private eingreift. Das Ergebnis ist eine Liebeserklärung an die Liebe und die Literatur und ein gewaltiges Aufbegehren gegen jene, die die Freiheit des Wortes und des Lebens unterdrücken wollen.

Unionsverlag 2010, Deutsch von Ursula Ballin

Mahmoud Doulatabadi: Der Colonel

Mahmoud Doulatabadi, geboren 1940, ist eine der ganz großen Stimmen der iranischen Literatur des 20. Jahrhunderts, viele seiner Romane liegen auch auf Deutsch vor. „Der Colonel“ erschien 2009 weltweit zuerst in deutscher Übersetzung, nachdem die Zensurbehörde eine Publikation in Iran ausgeschlossen hatte, und wurde dann in weiteren Ländern zum Bestseller. Er erzählt die Geschichte eines Colonels, der unter dem Schah diente und sein Leben nach der Revolution zusammenbrechen sah, als seine Söhne sich den Revolutionsgarden anschlossen. Und nun steht er selbst vor Gericht, das Regime wendet sich gegen ihn. Vor dem Hintergrund des Iran-Irak-Krieges zeichnet Doulatabadi ein düsteres Bild vom Zusammenbruch einer ganzen Gesellschaft am Beispiel einer Familie.

Unionsverlag 2009, Deutsch von Bahman Nirumand

F.M. Esfandiary: Der letzte Ausweis

Nach vielen Jahren in Europa und den USA kehrt Dariusch Mitte der Sechziger nach Teheran zurück – und findet sich in seinem Geburtsland kaum noch zurecht. Zu allem Überfluss verliert er seinen Personalausweis und gerät in die kafkaesken Mühlen der iranischen Bürokratie, deren Codes und Konventionen ihm völlig fremd sind. Und während er orientierungslos durch Teheran stolpert, beginnt ein Aufstand gegen das Regime. „Der letzte Ausweis“ ist ein satirischer Roman, der alles Iranische aufs Korn nimmt, verfasst von einem so versierten wie gewitzten Autor, der viel zu schnell in Vergessenheit geraten ist.

Büchergilde Gutenberg 2009, Deutsch von Ilija Trojanow und Susanne Urban

Iraj Pezeshkzad: Mein Onkel Napoleon

„Mein Onkel Napoleon“ von Iraj Pezeshkzad (1927-2022), ursprünglich 1973 erschienen, ist in Iran bis heute ein Kultbuch und ebenso erfolgreich verfilmt. Die irre witzige Satire über eine junge Liebe, die dem herrischen Familienpatriarchen Napoleon so gar nicht zusagt, zieht die iranische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts, ihre Konventionen und Traditionen so gekonnt durch den literarischen Kakao, dass man das Buch und seine liebenswerten Figuren garantiert nicht mehr vergisst. Einzige Schwäche ist die deutsche Übersetzung, die aus der englischen Übersetzung anstatt aus dem persischen Original erfolgte – aber es wird ohnehin höchste Zeit für eine neue deutsche Ausgabe!

Blanvalet 2001, Deutsch von Maria und Kristian Lutze

Sadeq Hedayat: Die Blinde Eule

Sadegh Hedayat (1903-1951) hat mit seinem kurzen Roman „Die blinde Eule“ (1937) die moderne iranische Romanprosa maßgeblich mitbegründet und geprägt. Weshalb er auch als „iranischer Kafka“ bezeichnet wird, macht dieses Buch rasch klar: Die düstere, alptraumartige Erzählung eines Federkastenmalers, der sich im Leben dem Tod hingibt, während er rauchend im Schatten einer geisterhaften Eule sitzt, erinnert stilistisch durchaus an Kafka, geht aber weit darüber hinaus. „Es gibt im Leben Wunden, die wie Lepra, langsam, in der Einsamkeit an der Seele zehren“, lautet der legendär gewordene erste Satz, der seine Leser in einen drogenschwangeren Alptraum hinab zieht. Ein zeitloses Meisterwerk der Weltliteratur. Wenn man nur einen iranischen Roman im Leben liest, dann muss es dieser sein.

Auf Deutsch in unterschiedlichen Übersetzungen erschienen, zuletzt 2017 bei Goethe & Hafis, Deutsch von Gerd Henniger