„Ich werde nicht hassen“
Der Schauspieler Mohammad-Ali Behboudi schlüpft seit über zehn Jahren in die Rolle eines Vermittlers zwischen den verfeindeten Fronten im Nahen Osten. Wie er sich seit dem 7. Oktober dabei fühlt, wie die Reaktionen der Zuschauer:innen sind und ob die Botschaft des Friedens bei dem verheerenden Konflikt etwas bewirken kann – darüber haben wir mit ihm gesprochen.
Ein Rednerpult, ein Stuhl, ein Teddybär, eine Tafel, ein Kissen und eine Leinendecke: Das sind die Requisiten des Theaterstücks „Ich werde nicht hassen“. Die puritanische Inszenierung lässt die Vermutung zu, dass die Monologfassung der gleichnamigen Autobiografie des palästinensischen Arztes Izzeldin Abuelaish schnell langweilig wird. Doch weit gefehlt. Dank der Spielweise von Mohammad-Ali Behboudi wird das Stück zu einem Fragment jener Realität, die wir in Deutschland seit dem 7. Oktober auf dem Bildschirm miterleben. Nur, mit berührenden Bildern, ohne Waffen und Blut. Es dauert nicht lange, bis man Behboudi an den Lippen hängt. An keiner Stelle illustriert er den Text, sein Gesichtsausdruck spiegelt seine seelische Verfassung unmaskiert wider – mal fröhlich, mal müde, mal voller Trauer.
Der deutsch-iranische Schauspieler erzählt, nein, er ist der palästinensische Gynäkologe, der in einem Flüchtlingslager in Gaza aufgewachsen ist und lange Zeit in einem israelischen Krankenhaus gearbeitet hat. Ein Humanist, der sich schon als Kind entschlossen hatte, mit Büchern für seine Rechte zu kämpfen. Und als sein Haus 2009 von der israelischen Armee angegriffen wird und dabei drei seiner Töchter und seine Nichte ums Leben kommen, sieht er die Zeit reif für diesen „Kampf“.
Abuelaish hätte allen Grund, Israelis zu hassen, doch stattdessen verwandelt er seine Trauer und Wut in eine verbindende Kraft. Er unternimmt den Versuch, zwischen den verfeindeten Fronten als Friedensbotschafter zu agieren. Sein erster Schritt: die weltweit erfolgreiche Autobiografie „Ich werde nicht hassen“.
Die gleichnamige Bühnenfassung von Silvia Armbruster und Ernst Konarek feierte 2014 im Theaterhaus Stuttgart Premiere und gastiert immer noch in deutschen Theaterhäusern.
Im Gespräch mit dem Iran Journal erzählt Mohammad-Ali Behboudi, wie er sich jetzt auf der Bühne fühlt, ob und was sich seit dem 7. Oktober für ihn als Dr. Abuelaish geändert hat, wie die Reaktionen der Zuschauer:innen sind und einiges mehr.
Iran Journal: Das Stück ist ein Plädoyer für die Humanität und gegen den Hass. Glaubst Du, dass solche Botschaften derzeit trotz der humanitären Katastrophe in den palästinensischen Gebieten etwas bewirken können?
Mohammad-Ali Behboudi: Ich glaube nicht, dass dieses Theaterstück wirklich vor Ort im Nahen Osten etwas ändern kann. Aber trotzdem bietet es unseren Zuschauer:innen die Möglichkeit zu sehen, dass es im Nahen Osten und in Palästina und Israel andere Ansätze und Meinungen gibt, und dass die Humanität auch eine Chance braucht, sich zu entfalten.
Es gibt radikale Kräfte unter den Israelis und Palästinenser:innen, aber auch in anderen Ländern, die gegen eine friedliche Lösung dieses Konflikts sind. Bist Du bei Deinen Aufführungen auch solchen Leuten begegnet?
Nein, noch nie. Manche Veranstalter haben vor der Vorstellung befürchtet, besonders nach dem 7. Oktober 2023, dass solche Leute kommen könnten. Tatsächlich waren die Zuschauer jedoch stets sehr gut informiert, humanistisch und aufgeklärt.
Beeinflussen die schrecklichen Ereignisse seit dem 7. Oktober Deine Spielweise?
Das Stück ist sowieso sehr intensiv und emotional. Trotzdem merke ich, dass mein Spiel seit diesem Tag intensiver geworden ist und ich die Realität, die im Nahen Osten und in Palästina und Israel vorhanden ist, nicht ignorieren kann.
Was macht es mit Dir? Kannst du ein Beispiel nennen?
Seit dem 7. Oktober habe ich beim Spielen das Gefühl, dass ich ein Live-Berichterstatter bin. Zum Beispiel an der Stelle, wo ich beschreibe, wie Hunderte israelische Panzer die Grenze von Gaza überschreiten, oder immer wieder Hunderte Kassam-Raketen von Gaza in Richtung der israelischen Städte Ashkelon und Ashdod geschossen werden. An einer Stelle wird mein Spiel besonders intensiv: dort, wo ich beschreibe, dass ein Mädchen, das gerade in einem israelischen Krankenhaus behandelt wurde, von der Terrororganisation Hamas nach Israel geschickt wird, um sich im Krankenhaus in die Luft zu sprengen und möglichst viele Menschen zu ermorden.
Bist Du dann mehr Abuelaish, der gesagt hat, in jedem palästinensischen Mädchen sehe er seine Töchter, oder mehr Mohammad Ali Behboudi, der vielleicht eine andere Meinung zum blutigen Krieg in der Region hat?
Wenn ich das Stück spiele, versuche ich natürlich, den Abuelaish wiederzugeben. Und Gott sei Dank ist meine Meinung zum Palästina- und Israelkonflikt sowie zur Stellung der Frauen im Nahen Osten und Orient sehr ähnlich. Deshalb habe ich vor anderthalb Jahren auch Mahsa-Amini-Bewegung im Iran unterstützt und bin überzeugt, dass dies der richtige Ansatz ist.
In welcher Weise hast Du diese Bewegung, die auch als Frau-Leben-Freiheit-Bewegung bekannt ist, unterstützt?
Als die Frau-Leben-Freiheit-Bewegung begann, war ich zufällig im Iran und habe persönlich erlebt, wie mutig diese jungen Frauen und Männer waren, die furchtlos den Schlägertrupps der Regierung die Stirn geboten haben. Nach meiner Rückkehr habe ich drei Kultur-Radiosendern und der Zeitung „Welt am Sonntag“ ausführliche Interviews gegeben und von meinen Erlebnissen im Iran erzählt. Darüber hinaus habe ich gemeinsam mit im Ausland lebenden Künstlern aus den Bereichen Theater, Film und Fernsehen eine Organisation gegründet, in der wir versuchen, die Kollegen und Kolleginnen, die unter Druck geraten, zu unterstützen und deren Anliegen publik machen.
Gibt es nach den Aufführungen Publikumsgespräche?
Je nach Veranstalter bieten wir natürlich auch Publikumsgespräche an, die sich jedoch oft als schwierig erweisen, weil nach dem Stück alle sprachlos sind und mehr bei sich bleiben möchten, um das Stück und die Geschehnisse Revue passieren zu lassen. Deshalb finden diese Gespräche in einer sehr stillen Atmosphäre statt und es gibt mehr Meinungsaustausch als wirkliche Diskussionen.

Merkst Du dabei einen Unterschied zu den Reaktionen des Publikums zu der Zeit vor dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober?
Bei den wenigen Gesprächen, die stattgefunden haben, bemerke ich keinen Unterschied, weil die Situation im Nahen Osten sowieso sehr kompliziert und schwer einzuschätzen ist. Aber was ich sowohl vor dem 7. Oktober als auch danach immer wieder bemerkt habe, ist diese Verzweiflung darüber, wie die Lage im Nahen Osten zu lösen ist und wie man diesen Konflikt endgültig beilegen kann.
Wie viele Aufführungen habt Ihr bisher gehabt?
Ich habe das Stück fast 200 Mal gespielt, und weitere Vorstellungen sind bis Mitte nächsten Jahres bereits geplant. Und immer mehr Anfragen kommen bei mir an.
Wirst nur Du eingeladen oder kommen dein Regisseur und andere Mitwirkende* mit?
Ich fahre immer nur mit dem Regieassistenten zu den verschiedenen Spielorten, und er hilft mir beim Aufbau und betreut die Vorstellung als Inspizient. Der Regisseur oder andere Mitwirkende sind nicht dabei, es sei denn, wir werden zu einem Festival eingeladen.
Das Stück ist ein langer Monolog. Wie lange hast Du am Anfang für das Auswendiglernen des Textes gebraucht?
Bevor die Proben angefangen haben, habe ich einen Monat lang den Text gelernt, den ich während der Proben natürlich immer aktualisieren musste. Das war die erste Fassung, und während der Arbeit wurde das Stück, auch mit meiner Hilfe, bearbeitet und in den Proben quasi in dieser aktuellen Fassung geprobt.
Ist es für Dich jetzt Routine, auf der Bühne der wahren Tragödie Leben einzuhauchen, oder nimmt Dich der Text emotional immer noch mit?
Da ich mich in meiner Rolle als Dr. Abuelaish mit dem echten Abuelaish sehr identifiziere und ihm so nah wie möglich komme, nimmt mich das natürlich auch emotional mit, wenn ich spiele. Trotzdem versuche ich, meinem professionellen Anspruch gerecht zu werden und nach dem Stück wieder in meine eigene Persönlichkeit zurückzukehren.
Hat Herr Abuelaish das Stück gesehen?
Ja, er hat das Stück viermal gesehen und war sehr zufrieden. Als er es das erste Mal im Theaterhaus Stuttgart gesehen hat, hat er uns per Brief gedankt und war sehr von dem Stück überzeugt. Überall macht er auch Werbung für dieses Stück, weil es sehr viel widerspiegelt, was er erlebt und erlitten hat.♦
Interview: Farhad Payar
*Regie: Ernst Konarek / Regieassistenten: Brigitte Luik und Sina Feiz
Nächste Vorstellung: 26. Juni 2024, Theater der Keller, Köln / Weitere Vorstellungen: Aachen, Köln, Stuttgart
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