Die besondere Freiheit einer engagierten Frau

Ali Samadi Ahadi ist mit „Sieben Tage“ ein ebenso spannendes wie berührendes Road Movie über eine iranische Menschenrechtlerin und deren Familie gelungen. Das Drehbuch stammt von Mohammad Rasoulof, der mit seinem letzten Film Deutschland bei den Oscars 2025 vertritt. Ein Interview mit dem Regisseur und Menschenrechtsaktivist Samadi Ahadi.


Die in Teheran inhaftierte Menschenrechtsaktivistin und Frauenrechtlerin Maryam Partow (gespielt von Vishka Asayesh) bekommt nach einem Herzinfarkt sieben Tage Hafturlaub. Maryams Ehemann, der mit den zwei gemeinsamen minderjährigen Kindern in Deutschland lebt, hat die Flucht seiner Frau aus Iran in die Türkei organisiert. 

Trotz verschiedener Schwierigkeiten gelingt Maryam die Flucht über die hohen und schneebedeckten Gebirge Kurdistans. Ihr Mann und die Kinder warten auf sie in der türkischen Grenzstadt Van. Als Maryam die Familie nach Jahren der Trennung trifft, gibt es Grund zur Freude. Doch Maryam hadert schon vom ersten Tag der Zusammenkunft mit einer Entscheidung, die dem Familienleben schaden, ja es sogar zerstören könnte. 

Das Drehbuch hatte der mehrfach preisgekrönte iranische Filmemacher Mohammad Rasoulof geschrieben. Warum Rasoulof den Stoff nicht selbst realisiert hat, und mit was für Herausforderungen Ali Samadi Ahadi bei der Produktion des spannenden Films konfrontiert war, erzählt der deutsch-iranischer Regisseur und Drehbuchautor im Interview mit Farhad Payar:

Die Geschichte der Titelheldin Maryam Partow weist Parallelen zum Leben der Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi auf. Sehen wir im Film biografische Fragmente von Mohammadis Leben oder handelt es sich um eine rein fiktive Geschichte? 

Ali Samadi Ahadi: Es ist eine rein fiktive Geschichte. Allerdings haben die Erfahrungen der großartigen Frauenaktivistinnen, die in den iranischen Gefängnissen sitzen oder saßen, zur Gestaltung der Figur unserer Protagonistin (gespielt von Vishka Asayesh) beigetragen. Also sehen wir im Film sowohl Elemente aus Narges Mohammadis Leben als auch Zitate von der Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh – um nur ein Beispiel zu nennen. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen also Frauen, die neben ihrem harten Kampf für Gerechtigkeit auch ihre Pflichten als Mutter wahrnehmen müssen, Frauen, die von ihren Kindern getrennt wurden. 

Was hat Dich bewogen, jetzt diesen Film zu machen?

Jetzt so einen Film zu machen, besonders wie wir ihn zustande gebracht haben, dafür muss man verrückt sein. 

Warum? 

Weil ich seit Jahrzehnten im Exil lebe. Eine Geschichte, die in Iran stattfindet, aus dem Exil zu erzählen, ist schon eine große Herausforderung. Es gibt viele Fragen: wie gut kenne ich die Gesellschaft, wie gut kann ich die Geschichte filmisch Detail getreu umsetzen etc. Aber auch die psychischen und körperlichen Herausforderungen, etwa bei minus 25 grad Nachts, waren potenzielle Hindernisse. Das ist für gesunde Menschen schon schwierig genug, aber ich bin ja nicht so gesund. Meine Lungen sind nur zu 60 Prozent funktionsfähig. Es war für mich gesundheitlich eine echte Herausforderung. Also, so einen Film unter diesen Bedingungen in so einer kurzen Zeit auf die Beine zu stellen, ist kein Normalfall. 

Wie lange hast Du daran gearbeitet?

Wir haben etwa vier Monate gedreht, plus … 3 Wochen für die Vorbereitungen und ca. zwei Monat für die Postprdokution. Alles in Allem … Waren es von Anfang September is ende März.

Mohammad Rasoulof hatte schon lange vorher das Drehbuch geschrieben und wollte selbst den Film in Iran drehen. Aber er kam ins Gefängnis und als er freikam, bat er mir an, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich habe Wochen gebraucht, um mich zu entscheiden. Nicht nur wegen der erwähnten Herausforderungen. Es geht ja um starke Frauen. Ich dachte, Millionen Iraner:innen werden genau darauf schauen, ob ich meinen Job richtig gemacht habe oder nicht. Aber als ich mich dafür entschieden habe, haben wir Gas gegeben und alles versucht, um schnellstmöglich den Film zu produzieren.  

Iran steht seit Jahren im Mittelpunkt der Konflikte in der Region, beteiligt sich allem Anschein nach an dem russischen Krieg gegen die Ukraine, die revolutionäre Bewegung Frau-Leben-Freiheit gegen das Regime ist international in aller Munde. Europäische Politiker:innen, Künstler:innen und Kulturinstitutionen betonen immer wieder, etwas für die Freiheitsbewegung in Iran tun zu wollen. War es leicht, das Projekt zu finanzieren?

Nein. Ein Teil der Finanzierung ging schnell über die Bühne, für den Rest mussten wir selbst aufkommen. Ich habe die Familienersparnisse ausgeplündert (lacht). Als wäre ich 20 und ich will meinen ersten Film machen. Ich hatte keine Geduld, lange zu warten. 

Allerdings hat der Film weniger gekostet als ein deutscher Fernsehfilm. Das war nur möglich, weil viele Beteiligte das Projekt mochten und deshalb auf ihre normalen Gagen verzichtet haben. Vor allem die Hauptdarstellerin Vishka Asayesh, die ja in Iran ein Star ist. Sie war sofort dabei und hat unermüdlich sich eingesetzt. Aber auch unser Kameramann Mathias Neumann und sein Team, die mit Herz und Seele dabei waren. Da habe ich gemerkt, dass die Menschlichkeit, die in der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung steckt, auch unbeteiligte Menschen berührt, dass sie etwas Universelles ist, genauso wie die Geschichte des Films universell ist. Mathias Neumann, der kein Wort persisch versteht, hatte bei manchen Szenen nasse Augen, so gerührt war er. Aber auch andere Mitwirkende, ob Georgier:innen oder Iraner:innen, alle haben mit Leidenschaft mitangepackt, ohne vorher Bedingungen zu stellen. Das ist wahrscheinlich auch der Kraft der Kunst des Geschichtenerzählens zu verdanken, die Menschen, egal wo sie leben, bewegen kann.

In den Beschreibungen der Festivals und in den Rezensionen wird mal von einem Familiendrama die Rede, mal von einem Thriller. In welche Genre würdest Du den Film einordnen?

Der Film ist ja ein Medium der Unterhaltung. Sergei Eisenstein hat mal gesagt,

man darf alles im Film, nur nicht die Zuschauer:innen langweilen. Das ist für mich ein wichtiges Credo. Unser Film besteht aus zwei Teilen und mehreren Genres: Anfangs sehen wir einen Thriller und Roadmovie, als Maryam sich aufmacht, das Land zu verlassen. Dann gehen wir zu einem Familiendrama über. 

Ich mag Collagen und habe schon einige collageartigen Filme gemacht. Sieben Tage ist eine neue Art von Collagenarbeit, die ich bis jetzt nicht gemacht hatte. 

Der Film zeigt eindrückliche Szenen von dem Fluchtweg der Iraner:innen über die Türkei. Du bist selbst auch geflüchtet. Hast Du denselben Weg genommen?

Ich war sozusagen ein Luxusflüchtling, bin kurz vor meinem 13. Lebensjahr in ein Flugzeug gesetzt und nach Deutschland geschickt worden. Mein Bruder ist über die Grenze geflohen, wurde in der Türkei erwischt und saß neun Monate in der Grenzstadt Van im Gefängnis.

Mittlerweile ist dank der kleinen Smartphones alle Routen über die gesamte Fluchtstrecke aufgezeichnet worden, von den Afghan:innen, Iraner:innen, Syrer:innen, die all den Weg genau beschreiben. Es gibt echt starke Dokumentationen dazu im Netz. Außerdem bin ich vor einigen Jahren eine Zeit lang für Recherchearbeiten in der iranischen Provinz Kurdistan gewesen. Es war Winter und die Landschaft und der Schnee dort waren genauso wie in Nordgeorgien, wo wir gedreht haben. Es war wichtig, dass der Fluchtweg authentisch ist, dass man sieht, wie mühsam der Weg in die Freiheit für politisch Verfolgte in Iran ist.

Die Iran-Szenen sind sehr authentisch. Wo wurden sie gedreht?

Zum Teil in Iran und zum Teil in Georgien. Wir waren zweiundeinhalb Monate in Georgien, auch in der schneebedecken Grenzregion zum russisch besetzten Abchasien. Mutterseelen allein.

Leben manche der Mitwirkenden noch in Iran? 

Von dem Cast nicht, aber vom Crew. Die meisten Mitwirkenden leben außerhalb Irans, in Georgien und anderen europäischen Ländern. Wir hatten am Set sieben Sprachen. 

Gab es Szenen im Drehbuch, die unter den Umständen dort schwierig zu drehen wären und Du sie umschreiben musstest?

Wir haben tatsächlich viel umgeschrieben, aber das hatte auch damit zu tun, dass das Drehbuch von Mahmoud Rasoulof kam. Er hatte es für sich geschrieben und wenn ein anderer Regisseur, ein anderer Kollege das Drehbuch übernimmt, dann muss er es natürlich in seine Erzählweise umschreiben. Man kann nicht ein Drehbuch immer eins zu eins übernehmen. Ich habe zwar sehr darauf geachtet, dass wir den Geist dieser Geschichte beibehalten, aber filmische Erzählweisen sind ja vom Geschichtenerzähler zu Geschichtenerzähler unterschiedlich. Also mussten wir einige Szenen bzw. Details ändern, aber nicht wegen der geografischen Bedingungen.

Die Protagonistin schafft es, unter Lebensgefahr aus Iran zu ihrer Familie zu flüchten. Dann wird sie mit einer für sie lebenswichtigen Frage konfrontiert und muss eine Entscheidung treffen, die sich auf das Familienleben negativ wenn nicht zerstörerisch auswirken kann. Du bist selbst Familienvater. Wie empfindest Du ihre Zweifel bzw. ihre Entscheidung?

Ich kann das nachempfinden. Ich glaube, Millionen iranisch-Stämmige Menschen beschäftigt die Frage ständig, wie kann ich der Freiheitsbewegung in Iran am sinnvollsten dienen? Und welchen Einfluss hat womöglich ihre Aktivität auf das Leben der Familienmitglieder.

Ali Samadi, Regisseur und Menschenrechtsaktivist
Ali Samadi, Regisseur und Menschenrechtsaktivist

Aber Du kämpfst ja privat und in deinen künstlerischen Projekten für diese Bewegung. 

Trotzdem stelle ich mir ständig diese Frage. Ich habe auch mit den Gedanken gespielt, zurückzukehren. Und ich glaube, wenn ich gesund wäre, wäre ich sehr wahrscheinlich hingefahren, um dort mich für die Bewegung einzusetzen. 

Glaubst Du, dort wärest Du produktiver bzw. nützlicher sein? Hättest Du überhaupt die Möglichkeit, Filme zu machen?

Es geht gar nicht um Filmemachen an sich. Jafar Panahi macht auch keine Filme oder dreht Filme ohne Genehmigung, im Geheimen. Rasoulof genauso. Da geht es eigentlich darum, zu sagen, ich gebe nicht auf. Und das hat nichts mehr mit dem Medium Film an sich zu tun, sondern mit der Frage, warum und wofür mache ich Filme, nämlich für die Menschlichkeit.

Eine Kollegin von mir, die aus Iran kam und hier ein Jahr gelebt hat, war nach einem Jahr in Konflikt mit sich, mit ihrem Dasein geraten. In Iran lebte sie unter Druck und jetzt lebte sie

plötzlich in Frieden und Freiheit. Sie sagte zu mir: Diese Parks, wo ich in Frieden spazieren gehen kann, diese Ruhe und dieser Frieden, das alles ist mir fremd. Ich will diesen Frieden, diese Ruhe in den iranischen Parks haben, dort so spazieren gehen können. So ist sie nach einem Jahr zurückgegangen.

Gab es Erlebnisse, die Dich stärker emotional gerührt haben?

Ja, einige. Zum Beispiel als Vishka Asayesh zum ersten Mal vor der Kamera in ihre Haare greift. Sie hat vorher nie ohne Kopftuch gedreht. Diese erfahrene Schauspielerin durfte niemals vor der Kamera in ihre eigenen Haare greifen. Das war für sie ein besonderer Moment und dieser hat mich ergriffen, ich musste weinen. 

Gibt es schon eine Kinoauswertung für Deutschland?

Ja, nächsten Jahres kommt „Sieben Tage“ in die deutschen Kinos.

Wird es auch eine persische Fassungen Fassung geben?

Ja. Es wird eine deutsch-synchronisierte Fassung geben und eine persische Fassung mit deutschen Untertiteln.

Interview: Farhad Payar

Foto: brave new work