Mit Wut gegen Rassismus

Fiktion, Fakten und Fake News: Mit diesen drei Elementen baut die Schriftstellerin Shida Bazyar die Welt ihres zweiten Romans „Drei Kameradinnen“ auf. Wie eine versierte Artistin jongliert sie mit diesen drei Bällen, um der „weißen Dominanzgesellschaft“ Deutschlands den Spiegel vorzuhalten und zu zeigen, wie rücksichtslos rassistisch und sexistisch diese Gesellschaft mit denen umgeht, die nicht „deutsch“ aussehen.

Von Fahimeh Farsaie

Von all den Emotionen, die menschliche Beziehungen ausmachen, kommen in Bazyars Roman vor allem Wut und Hass vor. Sie sind die treibende Kraft der Story sowie ihrer Protagonistinnen Kasih, Saya und Hani. Ich-Erzählerin Kasih ist zwar Akademikerin, aber arbeitslos, und sie heilt ihren Liebeskummer mit Heulen und Trinken. Saya wird anfangs als Terroristin gezeichnet, entpuppt sich aber als weiche und warme Schlafmütze, mit der Kasih vor dem Einschlafen schmust. Und Hani genießt den guten Ruf, eine kluge und arbeitsame Büroassistentin zu sein, traut sich aber nicht, mit ihrer netten Chefin über eine Gehaltserhöhung zu sprechen.

All das wird so geschildert, als ob Hani genau wie ihre Freundinnen in einer Stadt in Deutschland wohnt und arbeitet – doch am Ende stellt sich heraus, dass sie seit Jahren nach Amerika ausgewandert ist und dort lebt.

Aprilscherze?

Die Leser*innen müssen sich an solche bewusst eingebauten Widersprüche und „Lügen“ gewöhnen, wenn sie mehr über die Erlebnisse der sympathischen Protagonistinnen erfahren möchten. Am Ende wird man aber das Gefühl nicht los, einen Aprilscherz von 350 Seiten gelesen zu haben. Die Autorin selbst ruft auf der letzten Seite des Romans „April, April“: „Vielleicht ist es wirklich zu viel verlangt, dass ihr mir vertraut und glaubt, ich habe ja mindestens so viel gelogen wie ihr in eurem Leben.“

Scheußliche Geschichten

Im Bazyars Roman geht es um gender und race undMillionen hässlicher Beispiele aus dem hässlichen Alltag einer nicht-weißen Frau“. Kasih und ihre Freundinnen kennen sich seit ihren Kindertagen. Über ihre Herkunft, Vergangenheit und familiären Geschichten wird nicht viel erzählt. Ihr Lebensstil als Hochschulabsolventinnen ähnelt dem „normaler“ weißer Frauen: Sie rauchen, trinken, machen Party, reisen, diskutieren über Gott und die Welt, haben einen Lover oder eben nicht und machen sich Sorgen um ihre Zukunft.

Ihr Hauptproblem ist, dass sie trotz ihres normalen Dabeiseins aufgrund ihrer (post-)migrantischen Hintergründe von der weißen Dominanzgesellschaft nicht als gleichwertig anerkannt, sondern ausgegrenzt und rassistisch bedroht werden.

Geprägt durch solche scheußlichen Erfahrungen fühlt sich die Ich-Erzählerin Kasih wie Hani und Saya sowie Millionen nicht-deutscher Frauen in einem „Kriegszustand“. Hani spricht deshalb provokativ von „ihr“ und „wir“, von der arroganten Haltung einer feindseligen Gesellschaft, die die Fähigkeit verlernt hat, aus der Geschichte zu lernen und ihr „freundliches“ Gesicht zu zeigen. So stellt sich die existentielle Frage: Wie können die Nicht-Deutschen sich rächen? Mit Terrorakten?

„Alternative Fakten“

„Drei Kameradinnen“ beginnt mit der Terror-Fake-News eines „Jahrhundertbrands in der Bornemannstraße“ auf Seite vier. Der Meldung nach soll die verhaftete Saya M. vor einem Café einen Mann unter „Allahu Akbar“-Rufen attackiert haben und für einen tödlichen Brand in der Bornemannstraße verantwortlich sein. Saya M. ist Sozialpädagogin und leitet Workshops für Jugendliche zur Berufsfindung und Rassismusprävention.

Dass die Meldung unter „Alternative Fakten“ eingeordnet werden sollte, erfährt der/die Leser*in erst auf Seite 344. Die Autorin dementiert ihre vorherige Geschichte und verteidigt ihre Freundin: „Saya ist weder IS-Anhängerin noch Rächerin der Unterdrückten. Saya schlägt nicht zurück, sie hat auch keinen Rückschlag in Planung.“

Technische Tricks

Die erfundenen oder verfälschten spektakulären Erzählungen im Roman von Bazyar gehören zu ihren stilistischen Tricks. Mit diesem technischen Novum erörtert sie die rassistischen Angriffe der 90er Jahre literarisch. Zu Beginn jener Dekade erlebte Deutschland eine Welle rechtsextremer Gewalt, die sich gegen Nicht-Deutsche richtete. Bazyar braucht nur ein Schlagwort, um die damaligen brutalen Anschläge mit den rassistischen Angriffen in Verbindung zu setzen, die vor kurzem in Halle und Hanau stattfanden und sich später in Attacken auf Shisha-Bars und Synagogen wiederholten.

Schmerzhafter Prozess

Bazyar reflektiert auch ihre eigenen rassistischen und sexistischen Erfahrungen als nicht-weiße Frau, aber auch als „Arbeiterkind mit Migrationsgeschichte“: „Ich hatte einen schmerzhaften und traurigen Prozess zu verarbeiten, in dem ich einsah, wie die Strukturen aussehen, in denen wir leben und inwiefern sie mich, als nicht-weiße Frau, strukturelles Arbeiterkind mit Migrationsgeschichte, beeinflussen“, schrieb sie in dem Essay „Bastelstunde in Hildesheim“, den sie 2017 über ihre Erlebnisse im Studiengang „Kreatives Schreiben“ in Hildesheim verfasste.

Auf die Frage, warum sie damals ihre bitteren Erfahrungen nicht thematisierte, hat sie eine plausible Erklärung parat: „Dennoch bin ich zu diesem Zeitpunkt nicht auf die Idee gekommen, mit irgendjemandem über geteilte Sexismuserfahrungen in Hildesheim zu sprechen. Ganz einfach, weil ich dann auch über meine Rassismuserfahrungen hätte sprechen wollen und die teilte ja niemand (‚Ich hab für ein Jahr in Lateinamerika gewohnt und habe auch Rassismus erfahren!‘ reichte mir als geteilte Erfahrung nicht).“

Eine Streiterin mit drei Stimmen

Jetzt ist es soweit. Mit der Stimme von Kasih spricht die im rheinland-pfälzischen Hermeskeil geborene 33-jährige Schriftstellerin über die Auswirkungen der rassistischen Haltung der „weißen Dominanzgesellschaft“ auf die Nicht-Deutschen und beschreibt ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen und Reaktionen auch mit den Stimmen von Saya und Hani als Inkarnationen von Kasih selbst.

Es bleibt am Ende offen, ob Shida Bazyar durch ihr technisches Novum und die drei F-Elemente sowie ihre „April-April“-Rufe, die eher irreführend und vertrauensvernichtend wirken, ihre schmerzhaften Erfahrungen mit den misstrauischen Leser*innen teilen kann oder nicht.

So oder so trägt „Drei Kameradinnen“ etwas unentbehrlich Wichtiges zur Fortsetzung der „Ihr-und-Wir“-Debatte bei, die vor etwa dreißig Jahren in Deutschland begonnen und in der letzten Zeit wieder an Aktualität gewonnen hat.♦

Shida Bazyar: Drei Kameradinnen. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021. 350 Seiten

Zur Startseite

Diese Beiträge können Sie auch interessieren:

Patchwork-Identitäten: junge iranische Schriftstellerinnen in Deutschland

„Wir haben keine Schuld zu begleichen“