2011 – ein höllisches Jahr für Kunst und Kultur im Iran

Nachrichten über den Kampf der iranischen Regierung gegen alles „Unislamische“ seien im Jahr 2011 im Schatten des Atomkonflikts untergegangen, so der in Berlin lebende iranische Schriftsteller und Verleger Abbas Maroufi. In seinem Gastbeitrag für TfI schreibt er: Iranische Kulturschaffende und Künstler durchlebten zurzeit „eine schreckliche Hölle“.
 
Wir beginnen das Jahr 2012 mit einer riesigen Wut gegen die für Kultur Verantwortlichen im Iran. Eine der letzten Nachrichten zum Thema Kultur im Iran aus dem Jahr 2011 lautete: Mehr als 100 Teheraner Buchhandlungen mussten schließen. Dafür gibt es viele Gründe: Gefragte Bücher sind vergriffen und werden nicht mehr verlegt. Die Buchpreise werden ständig erhöht – was hauptsächlich auf der ständigen Erhöhung der Papierpreise beruht. So bleiben die Kunden weg. Zudem werden Buchhändler von Sicherheitsbeamten schikaniert. Viele Buchhandlungen mit Café-Betrieb mussten ihre Cafés auf Druck von Sicherheitskräften schließen. Orte, die unbeaufsichtigt von den Moralaposteln als Begegnungsstätten für Jugendlichen dienen könnten, sind nicht genehm.
In der Nachricht über die Schließung der Teheraner Buchhandlungen stand auch, dass die berühmten Bücherzeilen der iranischen Hauptstadt mehr und mehr von Juwelieren und Bekleidungsgeschäften okkupiert werden.
Bücher im Exil
Im Jahr 2011 gehörten solche Meldungen zur Normalität; ebenso wie die Nachricht, dass das iranische Kulturministerium die Veröffentlichung von mehr als 5.000 Büchern ganz verbot. Herausgeber und Schriftsteller wissen schon, wann es keinen Sinn mehr hat, auf dessen Erlaubnis zu warten. Viele Schriftsteller entschließen sich deshalb, ihre Werke im Ausland zu veröffentlichen. Bald werden in den persischsprachigen Buchhandlungen unserer Exilländer Bücher zu sehen sein, deren Schöpfer im Iran leben. Bis jetzt sind sozialkritische Autoren ins Exil gegangen – nun gehen ihre Bücher ins Exil. Dieses Phänomen ist an sich nichts Neues: Man denke an Bulgakov, der das Gleiche tun musste. Doch dass Schriftsteller sich gleich kollektiv entscheiden, im Ausland zu veröffentlichen, ist neu – und eine nationale Katastrophe, die 2011 im Iran begonnen hat.

Die Statue des mythologischen Bogenschützen Arash in Sari verschwand in einer Nacht.
Die Statue des mythologischen Bogenschützen Arash in Sari verschwand in einer Nacht.

Auch viele Schauspieler, Regisseure und Filmemacher blieben im Jahr 2011 zuhause und machten keine Filme mehr. Denn die Zensur lässt Filmschaffenden keine Luft zum Atmen. Zugleich wurden bekannte Gesichter aus der Literatur- und Filmszene davon abgehalten, auf internationalen Bühnen oder Podien zu erscheinen. Die bekannte Dichterin Simin Behbahani etwa, 2011 zum Tirgan-Kunstfestival in Toronto eingeladen, durfte nicht daran teilnehmen. Sie sagte mir, dass ihr Pass eingezogen worden sei und sie deshalb nicht ausreisen konnte. Behbahani schickte eine Video-Botschaft an die Festival-Teilnehmer und entschuldigte sich für ihre Abwesenheit.
Offene Zensur
Die Verantwortlichen im Ministerium für Kultur und islamische Führung des Iran ermahnten die iranischen Schriftsteller 2011 ganz offiziell, beim Schreiben „die vorgegebenen roten Linien“ zu beachten und so zu schreiben, dass sie eine Erlaubnis zur  Veröffentlichung auch erhalten würden. Es wird also immerhin mit offenen Karten gespielt und nichts mehr versteckt. In früheren Jahren wurden die Zensurrichtlinien den Herausgebern nur mündlich mitgeteilt, um nach außen den Schein zu wahren. Heute gibt es sie offiziell.
Vom antiken Denkmal zum Parkhaus
Im gesamten Kulturbereich ist die Bilanz der Verantwortlichen für das Jahr 2011 schändlich. In einigen Städten Irans wurden Statuen vernichtet oder versteckt. In der Stadt Sari verschwand die Statue des mythologischen Bogenschützen Arash, die auf einem Wagen mit vier Pferden stand, in einer Nacht. Die Behörden wollen damit nichts zu tun gehabt haben. Die Fassadenmalereien zu den mythologischen Geschichten des großen iranischen Epos Schahname in Meshed wurden über Nacht mit Farbe überdeckt. Nachrichten über Zerstörungen alter Gebäude wie etwa einer kunstvollen öffentlichen Badeanstalt aus der Zeit der Safaviden (1501-1722), die in ein Parkhaus verwandelt wurde, oder die Nachricht vom nächtlichen Abriss einer alten Kirche in Kerman, gingen im Schatten des Atomkonfliktes unter.
Dabei sind die Verantwortlichen des islamischen Regimes anscheinend mehr als je zuvor entschlossen, alle kulturellen und historischen Verbindungen zur nichtislamischen Vergangenheit zerschneiden zu wollen. Sie schrecken vor nichts zurück. Selbst literarische Denkmäler wie das 1.000 Jahre alte Buch „Khosro und Shirin“ des großen iranischen Dichters Nezami blieben nicht verschont. Der Herausgeber wurde angehalten, die Liebesszenen aus dem Werk zu entfernen! Das ist die ideologische Bekämpfung der iranischen Kunst und Kultur. Zu Recht sagen die iranischen Kulturschaffenden und Künstler also, dass sie zurzeit eine schreckliche Hölle durchleben.