Krafttraining auf iranisch

Im Iran hat eine jahrhundertealte Form des Krafttrainings überlebt, die Sport mit Musik, Poesie und religiösen Ritualen verbindet. Den Krafthäusern hängt in der iranischen Gesellschaft allerdings ein Image an, das ihrem Anspruch von Moral und Ehre widerspricht.

Von Marian Brehmer

Wer nach Feierabend durch den Basar von Schiras läuft, der wird die Trommelschläge hören, die gedämpft aus dem Untergrund in die dunkle Marktgasse schallen. Ihr Ursprung scheint hinter einem beleuchteten Hauseingang zu liegen. Dem rhythmischen Wummern folgend, gelangt der Besucher über eine steile Treppe unter die Erde, hinein in einen hell beleuchteten Kellerraum.

Der Perkussionist — genannt morsched, auch der Name eines Sufi-Meisters — sitzt auf einer Empore und bewegt seine Finger flink über eine Rahmentrommel. Hin und wieder schnellt sein Arm nach vorne, um eine von vier Glocken anzustoßen, die vor ihm an einer Stange baumeln. Die Schläge kommen genau im Takt, denn nach ihnen wird unter dem weiß getünchten Kellergewölbe Sport getrieben.

In einer achteckigen Arena macht ein Dutzend Männer mit gespreizten Beinen Liegestützen. Manche von ihnen tragen bestickte Lederhosen, andere haben sich ein lockeres Baumwolltuch um die Hüften gewickelt. Ihre Arme sind auf länglichen Brettern abgestützt, die sie vor sich auf dem Boden platziert haben. Bei jedem Schlag drücken sich die Athleten flach nach unten und dann wieder hoch, wobei sich ihre Gesichter vor Anstrengung verzerren.

Die Männer sind Mitglieder eines Zurchaneh, einer Art iranischen Fitnessstudios mit Wurzeln im vorislamischen Iran. Das “Krafthaus”, so die Übersetzung, ist eine tief in der Geschichte des Landes verwurzelte Institution, die Bodybuilding mit Musik, klassischer Poesie, religiöser Andacht und einer besonderen Form der Sportethik verknüpft.

Zurchanehs befinden sich in allen urbanen Zentren des Landes, etwa 500 sollen es insgesamt sein. Sie wurden zumeist unter der Erde errichtet, um Hitze fernzuhalten und die schwitzenden Sportsmänner vor Windzügen zu schützen. Zumeist ziehen die Zurchanehs Männer aus dem Arbeitermilieu an — unter ihnen sind etwa Basarhändler, Taxifahrer oder Postboten. Dabei sind die Zurchanehs nicht nur Orte der Leibesertüchtigung, sondern auch soziale Treffpunkte, in denen ein Austausch über Themen aus Politik und Wirtschaft stattfindet.

Ohne soziale Unterschiede und Hierarchien

Traditionell wird Sport im Zurchaneh barfuß und mit nacktem Oberkörper betrieben, was die Abwesenheit von sozialen Unterschieden und Hierarchien zwischen den Athleten symbolisieren soll. Inzwischen haben zwar Funktionsshirts und Trikots in die Männerclubs Einzug gefunden, doch das Gefühl einer tugendhaften Bruderschaft wird weiterhin gepflegt und an die nächste Generation weitergegeben — im Schiraser Zurchaneh jedenfalls sind auch Teenager unter den Athleten, die voller Achtung zu den Erfahrenen emporschauen.

Seine Wurzeln hat die Sportethik der Zurchanehs im Begriff des “Pahlavan”, des tugendhaften Helden der persischen Mythologie, der Werte wie Bescheidenheit, Gerechtigkeit, Respekt gegenüber Älteren und Einsatz für Schwache und Wehrlose verkörpert. Bis heute nehmen viele der Zurchaneh-Gemeinschaften ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ernst. So werden unter den Mitgliedern häufig Spenden für mittellose Familien im Umkreis gesammelt.

Als Pahlavan schlechthin gilt der Imam Ali, der unter den Sufis nicht nur als Vermittler mystischen Wissens, sondern auch für seine Tapferkeit und hohen ethischen Werte verehrt wird. Anekdoten, die Alis vorbildliches Verhalten illustrieren, werden gerne in den Zurchanehs erzählt — sein Konterfei darf folglich in keinem der Krafthäuser fehlen.

Außer dem Bild von Ali sind die Wände im Zurchaneh von Schiras mit Schwarz-Weiß-Fotos von erfolgreichen Athleten der letzten Jahrzehnte bedeckt. Nach der Aufwärmphase schaffen die Männer massive Holzkeulen heran, die bis zu 50 Kilogramm wiegen können. Das Schwingen und Drehen der Keulen gilt als besonders effektives Krafttraining, das in jedem Zurchaneh praktiziert wird; im Mittelalter diente es Soldaten zur physischen Vorbereitung auf den Krieg.

Frauen dürfen nicht an den Zeremonien der Zurchanehs teilnehmen
Frauen dürfen nicht an den Zeremonien der Zurchanehs teilnehmen, deshalb tun sie es privat

Manchmal unterbricht der Morsched sein Trommelspiel, um ein Gedicht aus dem Repertoire der klassisch-persischen Poesie zu rezitieren — etwa von den mystischen Dichtern Hafis und Rumi oder aus der Feder des persischen Nationalepikers Ferdosi (gest. 1020). Danach ertönen Lobgesänge auf den Propheten Mohammed und seine Familie, wobei die Sportler andächtig innehalten und gleichzeitig einen Moment zum Verschnaufen finden. Anschließend folgt die nächste Übungsreihe. Alles folgt einem strikten Zeremoniell, das aus vergangenen Zeiten zu stammen scheint.

Dennoch erfreuen sich die Zurchanehs auch im 21. Jahrhundert weiterhin großer Popularität, was nicht zuletzt an ihrer sozialen Bindekraft liegt. Doch den Krafthäusern hängt in der iranischen Gesellschaft auch ein Image an, das ihrem Anspruch von Moral und Ehre widerspricht — nämlich dass sie ein Hort von ignoranten Schlägertypen seien, die sich leicht manipulieren lassen würden. So war etwa einer der Anführer der CIA-gestützten Straßenkämpfe auf Seite des Schahs zum Sturz von Premierministers Mossadegh im Jahr 1953 ein bekannter Zurchaneh-Champion namens Shaban Bimokh.

Institutionalisierung des Zurchaneh-Sports

Heute versucht die iranische Regierung unter Hervorhebung des islamischen Charakters der Zurchanehs, den Sport im Rahmen eines Systems aus Verbänden, Meisterschaften und Rekorden zu institutionalisieren. Inzwischen gibt es sogar eine internationale Zurchaneh-Sportföderation (IZSF), die mit der Verbreitung der Sportform, besonders in Länder des Mittleren Ostens, Südasiens und Osteuropa, beauftragt ist.

Schon zu Schah-Zeiten hat die Krafthaus-Tradition grundlegende Veränderungen erlebt. So war einst das Ringen ein wichtiger Bestandteil des Sports. Mit der Angliederung des iranischen Ringsports an internationale Wrestling-Wettbewerbe und dem Aufkommen des populären Freistilringens verschwand das Ringen jedoch aus den Zurchanehs. Dass heute Iraner besonders im Ringen bei internationalen Wettkämpfen brillieren, führen diese gerne auf ihre Krafthaus-Tradition zurück.

Eines jedoch ist weiterhin ein gesellschaftliches Tabu — die Teilnahme von Frauen an den Zeremonien der Zurchanehs. Damit ist der Zurchaneh-Sport die letzte Sportart im Iran, die sich noch nicht für Sportlerinnen geöffnet hat. Um zu der Disziplin zugelassen zu werden, starteten Iranerinnen im letzten Jahr Kampagnen in sozialen Netzwerken und holten sich sogar entsprechende Fatwas von schiitischen Rechtsgelehrten ein. Dabei erhielten die Aktivistinnen Unterstützung von namhaften Athleten wie Hamidreza Kordi, dem Zurchaneh-Weltmeister im Keulenschwingen. Dieser bemängelte: Der Ausschluss von Frauen sei einer der Gründe, warum die Disziplin bisher nicht zu den Olympischen Spielen zugelassen sei.

Marian Brehmer

© Qantara.de

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