Karroubi-Brief sorgt für Kontroverse

Ein offener Brief des Oppositionsführers Mehdi Karroubi sorgt derzeit für viel Diskussionsstoff in der iranischen Webcommunity. Dabei prallen verschiedene Ansichten aufeinander. In zwei Lager waren am Freitag auch die iranischen Fußballfans geteilt: wegen des Teheraner Stadtderbys. 

Der iranische Oppositionsführer Mehdi  Karroubi, der seit Februar 2011 wegen seiner Rolle bei den Massenprotesten der sogenannten „Grünen Bewegung“ von 2009 ohne einen Gerichtsbeschluss unter Hausarrest steht, hat einen offenen Brief an Staatschef Hassan Rouhani verfasst. In diesem fordert der reformorientierte Geistliche und ehemalige Parlamentspräsident „das tyrannische Regime“ auf, ihm die Möglichkeit zu geben, sich vor einem öffentlichen Gericht zu verteidigen. Er kritisiert auch die „Unterdrückungsmaßnahmen“ der Islamischen Republik und deren „Schergen, die nicht einmal vor Moscheen Respekt haben“.
Auf Online-Diskussionsforen und sozialen Netzwerken debattieren IranerInnen über den Brief, die Person Mehdi Karroubi und das iranische Regime. Viele Web-User, die offenkundig SympathisantInnen der niedergeschlagenen oppositionellen „Grünen Bewegung“ waren, unterstützen Karroubis Vorstoß. So schreibt Maryam auf der Facebookseite von BBC Farsi: „Es wird Zeit, dass das Regime die Verfassung, die es selbst ausgearbeitet hat und auf die es sich immer bezieht, respektiert.“ Mit der iranischen Konstitution argumentiert auch Bakhtiar: „Es ist laut Verfassung das Recht Karroubis, gerichtlich angehört zu werden.“ Dass dies bis jetzt nicht geschehen sei, sei eine „Schande“ für den Staat, für dessen Verfassung er nach der Revolution von 1979 bei einer Volksabstimmung aus „Überzeugung“ votiert hatte.
„Wenn er doch selbst fordert, vor Gericht gestellt zu werden, und sagt, dass er bereit sei, jedes Urteil zu akzeptieren, haben die Machthaber keine andere Wahl, als seinem Wunsch nachzukommen. Der Brief Karroubis war ein sehr kluger Schachzug von ihm“, findet ein anonymer User der Webseite Jahan  News. Weniger optimistisch äußert sich dagegen ein Besucher der Nachrichtenseite VOA Farsi: „Der Staat wird niemals eine faire Gerichtsverhandlung erlauben. Falls es zu einem Prozess kommt, wird dieser unweigerlich ein Schauprozess sein“, schreibt Irani.
Lob für den „tapferen Scheich“
Besonders viel Anerkennung erhält der 78-jährige Mullah von den Besuchern der „Fan-Seite“ Karroubis  auf Facebook: „Lang mögest du leben“ oder „Es lebe der tapfere Scheich“, lauten einige der zahlreichen Lobpreisungen, die Karroubi auf dieser Plattform erhält. Aber nicht nur dort erhält er Zuspruch:

Mehdi Karroubi, Hossein Moussawi, Zahra Rahnavard (v. li.) stehen seit 2 Jahren unter Hausarrest
Mehdi Karroubi, Hossein Moussawi, Zahra Rahnavard (v. li.) stehen seit 5 Jahren unter Hausarrest

Karroubi sei ein „Kämpfer für das Recht des iranischen Volkes auf Selbstbestimmung“, schreibt beispielsweise Firouzeh unter einem News-Beitrag des Nachrichtenportals Radio Farda. „Es beeindruckt mich sehr, dass ein Mensch, der in diesem hohen Alter nach fünf Jahren Hausarrest eigentlich gebrochen sein müsste, sich immer noch dermaßen kämpferisch gibt,“ schreibt ein anderer anonymer User der Webseite. „Egal wie nah Karroubi in der Vergangenheit dem Regime stand: Heute ist er ein anderer Mensch, der bewusst rote Linien des Regimes überschreitet und dieses herausfordert“, schreibt ein User mit dem Pseudonym Topoli.
Wenig Sympathie wegen früherer Regimenähe
Doch viele IranerInnen wollen nicht über die vermeintliche frühere Regimenähe Karroubis hinwegsehen. „Es tangiert mich nicht im geringsten, dass dieser Mullah in seinem Heim versauert. War es nicht immer schon das Ziel der Reformer gewesen, dass Regime zu erhalten? Wo waren Menschen wie Karroubi, als das Regime Tausende unschuldige Menschen eingesperrt, gefoltert und exekutiert hat? Jetzt, wo sie selbst Opfer der Tyrannei geworden sind, die sie doch so viele Jahre selbst gehegt und gepflegt haben, sprechen die Karroubis und Moussawis des Iran plötzlich von den Rechten des Volkes“, schreibt ein offensichtlich wütender Radio-Farda-Besucher mit dem Pseudonym Daf. Ähnlich äußern sich auch andere Web-UserInnen: „Herr Karroubi, können Sie sich noch erinnern, wie sehr Sie früher für dieses Regime Feuer und Flamme waren?“, schreibt beispielsweise Amoghli unter einem Nachrichtenbeitrag von BBC Farsi. „Was interessiert mich, was Mörder mit anderen Mördern machen. Sollen alle, die dem inneren Zirkel des Regimes angehören oder angehört haben, sich bekämpfen, bis sie sich alle gegenseitig auslöschen“, schreibt wiederum Neeka auf VOA Farsi.
„Ja, Karroubi und Konsorten haben in der Vergangenheit unrechtmäßige Verhaftungen und Schlimmeres verteidigt. Der Unterschied zwischen ihnen und uns sollte aber sein, dass wir Unrecht immer als Unrecht verurteilen. Aus diesem Grund müssen wir für die Rechte von Karroubi eintreten“, lautet eine etwas divergierende Meinung eines anderen Karroubi-Kritikers.
Konservative ätzen gegen Karroubi
Der überwiegend harten Tonart der regimefeindlichen Karroubi-GegnerInnen schließen sich auch die meisten konservativen Kritiker des liberalen Geistlichen an. Auch ähneln sich die Argumentationen punktuell: „Als Karroubi noch dem geistlichen Führer treu zur Seite stand, hat man von ihm keine Kritik am System der Islamischen Republik gehört. Was hat sich am System geändert? Nichts! Nur die Meinung dieses Idioten hat sich geändert“, schimpft Hassan auf Radio Farda.
„Dieser Brief hat nur das Ziel, eine erneute Aufruhr zu starten. Wir hätten schon früher mit diesen Verrätern kurzen Prozess machen sollen“, wütet Ali auf der Nachrichtenseite SNN. Die „schmutzigen“ Anführer der „Grünen Bewegung“ sollten vor Gericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt werden, schreibt wiederum Hossein auf Jahan News. Andere wünschen sich noch härtere Strafen. So zum Beispiel Younes: „Es gibt nur eine gerechte Strafe für diesen Volksverhetzer, nämlich der Tod.“ Karroubi solle sich zurückhalten und darüber froh sein, „nur“ unter Hausarrest zu stehen. Damit reiht sich der Iraner in die Argumentation des erzkonservativen Nachrichtenportals Jawan News ein. Dieser hatte jüngst in einem Artikel geschrieben, dass während der „goldenen Zeit des Imam [Khomeini]“ Menschen wie Karroubi ohne Zweifel exekutiert worden wären.
Persepolis gewinnt Teheraner Stadtderby gegen Esteghlal
In einem spannungsgeladenen 82. Teheraner Stadtderby zwischen den beiden ewigen Kontrahenten Persepolis und Esteghlal, die sich zum Ärger der iranischen Fußballfans häufig unentschieden trennen, konnten sich am Freitag dieses Mal die „Roten“ von Persepolis vor knapp 100.000 Zuschauern gegen den Erzrivalen in Blau mit 4:2 durchsetzen.
Persepolis gewinnt gegen den Erzrivalen in Blau mit 4:2
Persepolis gewinnt gegen den Erzrivalen in Blau mit 4:2

Zahlreiche iranische Fußballfans zeigten sich schon während des Spiels von dessen Qualität beeindruckt: „Wow, was für ein Spiel. Das ist das beste Derby, das ich jemals gesehen habe“, schreibt beispielsweise ein User der größten iranischen Fußballplattform PFDC mit dem Pseudonym Bijbij. Ähnlich begeistert von dem hochklassigen Spiel zeigt sich auch ein anderer User mit dem Nickname 04041374. Er wünscht sich, dass das Derby in der internationalen Sportberichterstattung Beachtung findet. „Im Vergleich zu diesem Spiel ist das spanische El Classico [FC Barcelona – Real Madrid] ein Langweiler“, so der Fußballfan.
Die Leistung beider Mannschaften sei eine „Werbung für den iranischen Fußball“ gewesen, kommentiert der Esteghlal-Fan Mehran einen Nachrichtenbeitrag von BBC Farsi auf Facebook. „Mein Herz blutet heute zwar für die Blauen, aber ich freue mich trotzdem, Zeuge eines so wunderbaren Spiels gewesen zu sein. Glückwunsch an beide Mannschaften.“
„Dieses Offensivspektakel hat alle torlosen Remis der vergangenen Derbys vergessen gemacht. Das war ein schöner Tag für uns Fußballfans“, schreibt auch Navid auf der Facebookseite von Deutsche Welle Farsi.
Doch nicht jeder hat warme Worte für die Leistung der Teams übrig. So schreibt pdot auf PFDC: „Das war ein armseliges Spiel. Beide Mannschaften haben gepatzt. Zwei Elfmeter wurden gepfiffen, die Abwehrreihen und beide Torwarte haben versagt. Nur die ersten beiden Persepolis-Tore sind positiv hervorzuheben. Alles andere war einfach nur miserabel,“ so die etwas isolierte Meinung des Iraners.
Persepolis klaut Esteghlal die „4“
Für die Fans von Esteghlal Teheran dürfte die Niederlage gegen den Stadtrivalen doppelt bitter sein, denn sie sie haben ihre „4“ an Persepolis verloren.
Der Hintergrund: Seit Jahren necken sich die Spieler und AnhängerInnen beider Vereine mit Zahlen, die auf eine hohe Niederlage oder eine Niederlagenserie des Gegners hinweisen sollen. So ärgern Persepolisis für gewöhnlich die Esteghlalis seit dem Derby von 1973, als Persepolis die „Blauen“ in einem legendären Spiel mit 6:0 abfertigte, durch das Hochhalten von sechs Fingern und dem Ausruf „Shishtahia“ (dt. Sechserpack). Esteghlalis, die wiederum in den Jahren 2010 und 2011 gleich vier Derbys in Folge gewannen, konnten seitdem bis vergangenen Freitag vier Finger als Zeichen dieser Siegesserie gegen den Erzrivalen hochhalten.
Nun haben die Persepolisis neben ihrer „6“ auch die „4“, um die Esteghlal-Fans zur Weißglut zu bringen. Kaum war das Derby abgepfiffen, ersetzten die ersten Persepolis-Fans ihre Facebookprofilbilder durch die Zahl „4“ oder vier rote Finger.
Auch auf diversen „roten“ Fanseiten auf Facebook frohlocken die Fans über die vier geschossenen Toren. So beschrifteten Persepolisis ein Foto der Esteghlal -Legende Farhad Majidi, auf dem zu sehen ist, wie dieser nach einem Derby vier Finger hochhält, mit der Frage: „Wie viele Tore hat heute nochmal Esteghlal von Persepolis eingeschenkt bekommen?“
Doch die meisten Esteghlal-Fans nehmen das „Korkori“ der Persepolis-AnhängerInnen, wie das mehr oder weniger liebevolle Necken der gegnerischen Fans auf Persisch bezeichnet wird, mit Humor: „Heute habt ihr uns unsere 4 genommen. Nächstes Mal nehmen wir euch nicht nur eure 6, sondern führen auch die 7 ein“, kommentiert Mehdi das von den Persepolisis bearbeitete Foto.
JASHAR ERFANIAN