Rückkehr der Sittenpolizei: Widerstand und „Selbststurz“

Im Iran kehrt die sogenannte Sittenpolizei zurück auf die Straßen – offiziell in einem neuen Look. Während Kritiker der Islamischen Republik Trotzverhalten vorwerfen und Regimeanhänger Öl ins Feuer gießen, warnen manche Politiker vor einem „Selbststurz“.

Von Iman Aslani*

Am vergangenen Sonntag ließ der Sprecher der iranischen Polizei, Saeid Montazerolmahdi, die Bombe platzen: Die Polizei werde landesweit gegen Frauen vorgehen, die in der Öffentlichkeit die Kleidervorschriften konsequent missachteten. Sollten sie die Verwarnungen ignorieren, würden die Beamt:innen rechtliche Schritte einleiten, so Montazerolmahdi.

Er bestätigte damit das, was seit Tagen in den Sozialen Netzwerken berichtet wird: die Rückkehr der Sittenpolizei. Und das, obwohl der Polizeisprecher die Bezeichnung „Sittenpolizei“ nicht in den Mund genommen hat und diese auf den Polizeibussen, mit denen die Frauen abtransportiert werden, laut Augenzeugen auch nicht steht.

In der vergangenen Woche hatten Aufnahmen über eine gewaltsame Festnahme einer jungen Frau durch eine Polizistin in Rasht für Aufregung gesorgt. Am Sonntag war es in der nordiranischen Stadt zu Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Anwesenden gekommen, als die Beamten drei Frauen aufgrund ihrer Kleidung festnehmen wollten. Die Beamten sollen Tränengas eingesetzt, die Menschen Parolen gegen das religiöse Oberhaupt der Islamischen Republik Ali Khamenei gerufen haben.

Leichenwaschung, Psychiatrie-Einweisung, Haft, Berufsverbot

Nach dem Tod von Mahsa Jina Amini hatte die Islamische Republik bislang eher auf die sogenannten „weichen“ Maßnahmen gesetzt, um Frauen zur Einhaltung der Kleidervorschriften zu zwingen. Dabei wurden Frauen ohne Kopftuch unter anderem vom Besuch von Sehenswürdigkeiten ausgeschlossen oder daran gehindert, in Flugzeuge zu steigen oder U-Bahn zu fahren. In manchen Fällen wurden auch Haft- und Geldstrafen verhängt.

Besonders im Fokus stehen dabei Künstlerinnen und Schauspielerinnen. Laut Medienberichten ist vor ein paar Tagen die bekannte Schauspielerin Leila Bolukat zu zehn Monaten Haft verurteilt worden. Sie darf zudem zwei Jahre lang weder auftreten noch das Land verlassen, auch wurde ihr fünf Jahre lang jegliche Aktivität in den Sozialen Netzwerken untersagt. Bolukat soll außerdem innerhalb eines Monats den Inhalt eines ideologischen Buchs zusammenfassen. Die Schauspielerin hatte im Juni Bilder von sich ohne Kopftuch auf Instagram veröffentlicht.

Leila Bolukat
Die Schauspielerin Leila Bolukat wurde  für diese Fotos bestraft 

Laut iranischen Medien ist eine andere Schauspielerin, die im Mai mit einer Mütze statt eines Kopftuch an der Beisetzungsfeier eines Regisseurs teilgenommen hatte, wurde zu sechs Monaten Aktivitätsverbot in den Sozialen Netzwerken verurteilt. Ihre Auftritte in den Sozialen Netzwerken wurden gesperrt. Sie muss darüber hinaus aufgrund ihres „unsozialen Verhaltens“ alle zwei Wochen eine amtlich anerkannte Psychiatrie besuchen und am Ende der „Therapie“ ihre „Genesung“ bescheinigen lassen. Der Verband der iranischen Regisseur:innen sowie der Verein der iranischen Kinoproduzent:innen kritisierten das Urteil als „eine Beleidigung der Intelligenz aller Kinoschaffenden“ scharf. Gegen drei andere bekannte Schauspielerinnen wurden ebenfalls Verfahren eingeleitet.

Insgesamt sollen 2.000 Kulturschaffende die landesweiten Protesten der vergangenen Monate unterstützt haben, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur IRNA den stellvertretenden Kulturminister der Islamischen Republik, Mohammad Hashemi. Knapp 400 Kulturschaffende sollen demnach Berufsverbot erhalten haben.

Auch kuriose Urteile sorgen immer wieder für Kritik. Angst und Verachtung würden angestrebt, konstatieren Beobachter:innen: Eine Kopie eines Gerichtsurteils kursiert seit Tagen in den Sozialen Netzwerken. Demnach wurde eine Frau, die am Steuer ihres Autos kein Kopftuch getragen haben soll, zu zwei Monaten Haft und einem Monat Leichenwaschung verurteilt. Nach Angaben der Human Rights Activists News Agency HRANA ist eine angehende Ärztin wegen Autofahrens ohne Kopftuch zum Berufsverbot verurteilt worden. Sie müsse außerdem eine Zeitlang als Putzfrau arbeiten. Im Juni war eine andere Frau ebenfalls zur Putzarbeit verurteilt worden.
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