„Sieg der Vernunft über den Extremismus“

Irans Präsident Hassan Rouhani ist wiedergewählt worden. Während seine AnhängerInnen jubeln, macht sich bei seinen GegnerInnen Ernüchterung breit. Auch diskutieren IranerInnen im Netz über Sinn oder Unsinn des Wählens im Gottesstaat. Ein Webwatch.

Er hat es geschafft. Hassan Rouhani bleibt der Präsident des Iran. Dabei setzte sich der von gemäßigten und reformorientierten Kräften unterstützte Geistliche am Freitag deutlich gegen seinen Widersacher Ebrahim Raisi durch, der die Unterstützung des erzkonservativen politischen Establishments genoss.

Viele IranerInnen, die für den Amtsinhaber stimmten, dokumentierten ihre Freude über den Ausgang der Wahl auf Fotos und Videos auf Instagram. Auch in Online-Diskussionsforen und auf sozialen Medien reagieren viele iranische NutzerInnen mit Erleichterung und Freude auf den Sieg Rouhanis: „Gott sei Dank hat er mit über sieben Millionen Stimmen Vorsprung ein klares Mandat des Volkes erhalten. Lang lebe Rouhani!“, jubelt etwa Moein unter einem Beitrag der Nachrichtenagentur ISNA. „Glückwunsch an alle IranerInnen, die NEIN zu Aggression und Chaos gesagt haben“, schreibt Atefe ebenfalls auf ISNA.

Das iranische Volk habe sich trotz aller Befürchtungen letztlich für die Vernunft und gegen den „Populismus der Extremisten“ entschieden, schreibt ein Besucher der Webseite Jam News. „Es lebe Rouhani. Mögen die IranerInnen nicht nur heute, sondern jeden Tag ein Lächeln auf ihren Lippen tragen“, schreibt Mehdi auf der Nachrichtenseite Entekhab.
„Heute hat die Ehrlichkeit gegen die Täuschung gesiegt. Die Konservativen haben am Wahltag gratis Sandwiches unter den WählerInnen verteilt. Diese haben die Sandwiches gegessen, aber brav für Rouhani gestimmt. Gut so“, amüsiert sich ein User auf Entekhab. Auf Tasnim News schreibt Mohammad: „Das Volk hat aus seinem Stimmrecht das Bestmögliche herausgeholt. Nun ist es an der gewählten Regierung, gegen Vetternwirtschaft, Korruption und soziale Ungleichheit vorzugehen. Denn die WählerInnen erwarten nichts Geringeres als das.“ Rouhani werde es jedoch die nächsten vier Jahre nicht leicht haben, befürchtet Fatima: „Raisi hat 16 Millionen Stimmen bekommen. Das ist kein schlechtes Ergebnis. Rouhani wird es mit einer starken Opposition zu tun haben. Der Präsident muss nun aber seinen Versprechungen im Wahlkampf Taten folgen lassen.“

Enttäuschung über Raisi-Niederlage

AnhängerInnen Raisis äußerten in den sozialen Netzwerken ihre Meinung zu der Niederlage ihres Kandidaten. Dabei ist Frust die vorherrschende Emotion: „Raisi wollte den Armen und Bedürftigen helfen. Ich bin sehr traurig, dass er nicht gewonnen hat“, schreibt Mostafa auf der Facebook-Seite Deutsche Welle Farsi. Rouhani habe den kleinen Mann aus den Augen verloren, kritisiert ein anderer User der Seite. Der wiedergewählte Präsident habe keine Pläne, um die Millionen sozial Schwachen aus der Armut zu holen. „Ein Sieg Raisis wäre so wichtig gewesen“, bedauert Afshin auf der Facebook-Seite von BBC Farsi. „Wir hätten einen Präsidenten gebraucht, der die Konfrontation nicht scheut. Uns nimmt doch keiner mehr ernst. Trump tourt gerade durch Saudi-Arabien und Israel, um den Krieg gegen uns vorzubereiten, und wir wählen den zahnlosen Tiger Rouhani“, so der Iraner weiter.

Ali Khamenei (re.) und sein enger Vertrauter Ebrahim Raissi
Der religiöse Führer Ali Khamenei (re.) und sein bevorzugter Präsidentschaftskandidat Ebrahim Raissi

„Ich habe zum ersten Mal für einen Konservativen gestimmt“, gesteht Soheil auf der Facebook-Plattform von Iran Wire. „Rouhani hat mich als Präsident enttäuscht, darum wollte ich nicht, dass er die Regierung nochmal anführt. Aber jetzt ist die Zeit der Lagerkämpfe vorbei. Rouhani ist Präsident, alle IranerInnen müssen jetzt zusammenhalten, denn die Welt ist ein gefährlicher Ort geworden.“

Ähnlich äußert sich Amir Tataloo. Der Rap-Sänger, der sich im Wahlkampf überraschend auf die Seite des Hardliners Raisi geschlagen und damit den Unmut vieler seiner jungen Fans auf sich gezogen hatte, zeigt sich auf seiner Instagram-Seite versöhnlich: Die Anhänger Rouhanis sollten wissen, dass auch er nun den Präsidenten unterstützen werde. Beschimpfungen müssten ein Ende nehmen. „Wahre Sieger müssen den Verlierern Trost spenden und sie nicht beleidigen“, so Tataloo.

Wählen oder boykottieren?
Wählen oder boykottieren? Auch zwei Tage nach der Stimmabgabe diskutieren die IranerInnen noch über diese Frage. Nicht wenige vertreten den Standpunkt, dass eine Stimmabgabe unter den Rahmenbedingungen der Islamischen Republik sinnlos sei.

„Ich habe nicht gewählt, aber trotzdem finde ich es gut, dass gestern so viele Menschen gewählt haben. Sie haben hohe Erwartungen, die unweigerlich enttäuscht werden. Dann wird das Volk aufwachen und erkennen, dass die vermeintliche Wahl, die es hat, ihm nur vorgegaukelt wird“, schreibt ein User der Webseite Iranjib.ir. Aliyar, ein anderer Besucher der Seite, ärgert sich über das Wahlverhalten der IranerInnen: „Das können die Menschen doch nicht ernst meinen! Vier Jahre wurden sie enttäuscht und belogen und trotzdem lassen sie sich nur wegen ein paar Wahlkampfparolen zur Stimmabgabe manipulieren. Was sind wir nur für ein Volk?“

In vielen Regionen feiern Rouhanis AnhängerInnen seinen Sieg:
https://youtu.be/7zIveDXLKGo

Ähnlich äußert sich Nima: Es sei „ein Witz“, dass die IranerInnen immer noch Hoffnungen in Rouhani setzten. „Jemand der in vier Jahren nichts erreicht hat, wird auch in den nächsten 40 Jahren nichts erreichen“, so der Iraner. Ein anderer schreibt: „Wird die Zahl der politisch motivierten Verhaftungen und Exekutionen nach der Wiederwahl Rouhanis zurückgehen? Werden politische Gefangene endlich freigelassen? Werden die geschlossenen Fabriken wiedereröffnet? Wird die Inflation besiegt? Werden Millionen von Jobs geschaffen? Wird es mehr gesellschaftliche Freiheiten geben? Wird die Zensur der Medien weniger werden? Wird die Zahl der Drogenabhängigen abnehmen? Nein, all diese Dinge werden nicht passieren. Und ich freue mich schon darauf zu hören, welche Gründe die wahlbegeisterten IranerInnen in vier Jahren finden werden, um zu den Urnen zu gehen“, so Mohammad auf Iranjib.ir.

Andere glauben sogar an eine Verschwörung des politischen Systems: „Der ganze Wahlprozess ist eine Farce. Das Regime hat absichtlich einen unwählbaren Gegenkandidaten aufgestellt, damit die Menschen aus Angst vor dessen Sieg massenweise für Rouhani stimmen und so dem Regime Legitimität verleihen“, schreibt Rafael auf Voice of America Persian. Ebenso argumentiert ein Iraner mit dem Pseudonym HS unter einem Youtube-Video von Saham News: Die konservative Elite der Islamischen Republik habe einen „Killer“ als Gegenkandidaten zu Rouhani aufgestellt. Raisi sei zudem unpopulär, weil er in seiner Heimatstadt Mashad für zahlreiche Verbote von Konzerten verantwortlich war. „Das Volk ist in die Falle des Regimes getappt und mal wieder wählen gegangen. Jetzt jubelt es auf den Straßen, obwohl rein gar nichts besser werden wird.“

Raisi wird „Ayatollah des Massenmords“ genannt, weil er in den 1980ern Hunderte, manche sagen Tausende Gegner des islamischen Regimes hinrichten ließ.

„Wählen ist kein JA zum System“
Für viele IranerInnen hat eine Stimmabgabe jedoch ihre Berechtigung: „Dass das Volk in Massen zu den Urnen geströmt ist, zeigt, dass es an seine Macht glaubt, über den Wahlprozess eine Veränderung zu erwirken. Die Menschen haben gestern NEIN zu Chaos und Krieg gesagt. Der Sieg Rouhanis ist eine schlechte Nachricht für alle Extremisten im und außerhalb des Iran“, findet beispielsweise Sara auf Voice of America Persian.

„Ein Wahlboykott bringt rein gar nichts. Es ist ein Irrglaube, dass eine hohe Wahlbeteiligung dem Regime Legitimation verteilt. Im Ausland weiß doch jeder, dass die Stimmabgabe bei Wahlen nicht bedeutet, dass die Leute für das politische System stimmen, sondern dass sie damit nur verhindern wollen, dass reaktionärere Elemente des Regimes die Oberhand gewinnen“, so ein User der Nachrichtenseite Radio Farda. „Wenn man vergleicht, in welcher Lage der Iran unter Ahmadinedschad war und in welcher Lage das Land heute ist, ist es lächerlich zu behaupten, dass es keinen Unterschied macht, ob man wählen geht oder nicht“, argumentiert Shahram auf der Facebook-Seite von Deutsche Welle Farsi.

  JASHAR ERFANIAN

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