Der Putsch von 1953: Trauma, Trugbild und Kapital zugleich

Irans bekannte, verfasste Geschichte ist lang, mehr als zweitausend Jahre. Doch in den letzten 150 Jahren hat es genug bemerkenswerte, schicksalhafte oder epochale Ereignisse gegeben, mit denen man sich ausführlicher beschäftigen müsste, weil sie viel signifikanter sind als Mossadeghs Absetzung.

Am Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts steht die Konstitutionelle Revolution, die die Macht des Königs einschränken sollte. Neben Japan war der Iran das einzige Land Asiens, in dem damals eine Verfassungsrevolution stattfand. Mit dieser Revolution betritt das Land die Geschichte der Neuzeit.

Das zweite epochemachende Ereignis ist in den nachrevolutionären Chaosjahren das Erscheinen Reza Schahs auf der politischen Bühne. In den 16 Jahren seiner Regentschaft schafft er es, aus dem beinahe völlig zerfallenen Land einen modernen Staat zu machen. Reza Pahlavi ist nach Meinung aller Experten der erste Herrscher Irans, der eine Nation-und Staatenbildung im modernen Sinne zustande bringt. Der Zweite Weltkrieg fegt ihn schließlich von der politischen Bühne. Weil er das Land neutral halten wollte, zwingen ihn die Alliierten in die Verbannung.

Nach Kriegsende ist die Rote Armee nicht bereit, sich hinter die Grenze zurückziehen. Wie in Deutschland scheint eine Teilung Irans unvermeidlich. Abgewendet wird diese Gefahr durch eine kluge Diplomatie sowie geschicktes Lavieren zwischen den Fronten des Kalten Krieges. Dieser diplomatische Erfolg ist entscheidend und sogar existenziell für die Wahrung der territorialen Integrität des Landes.

Ayatollah Kashani (li.) war erst Mossadeghs Verbündete, dann trennte er sich von dem demokratischen Politiker und lief zum Schah-Lager über
Ayatollah Kashani (li.) war erst Mossadeghs Verbündeter, dann trennte er sich von dem demokratischen Politiker und lief zum Schah-Lager über

Demokratie oder Chaosjahre der Nachkriegszeit

Und als im Chaos der Nachkriegsjahre Dutzende Parteien, politische Gruppen und Grüppchen entstehen, erblickt auch die „Nationale Front“ das Licht der Welt. Auch diese Front, mit deren Hilfe Mossadegh an die Macht kommt, ist ein Produkt der verworrenen Nachkriegszeit. Sie ist von Beginn an ein widersprüchliches Gebilde, in dem sich sogar verfeindete Gruppen befinden. Zunächst hat Mossadegh die Unterstützung aller: die der Religiösen um den zwielichtigen Ayatollah Kashani und die der moskauhörigen Tudeh-Partei. Dazu gesellen sich die einflussreichen und eher religiös orientierten Geschäftsleute aus dem großen Bazar. Ihre aller Gemeinsamkeit ist die Opposition zum Schah.

Von den Verbündeten allein gelassen

Doch als der Ayatollah zum Schah überläuft und die Tudeh-Partei zeitgleich auf Anweisung Moskaus Mossadegh fallen lässt, ist das Schicksal des Premierministers besiegelt. Zumal die staatlichen Schuldscheine, die die fehlenden Öleinnahmen ersetzen sollen, keine Käufer finden. Die wichtigste Leistung Mossadeghs war ja die Nationalisierung der iranischen Erdölindustrie. Angesicht zahlreicher innen- und außenpolitischer Krisen ist die Wechselstimmung längst fast greifbar. Die undemokratische Absetzung Mossadeghs ist aber ein Hauptstadtereignis, relativ geräuschlos und unblutig. Der Rest des großen Landes bekommt von alldem kaum etwas mit.

Prominenter und glaubwürdiger Zeuge

Fast 50 Jahre nach jenem 19. August beschreibt Babak Amir Khosrawi, einst prominentes Mitglied des Zentralkomitees der Tudeh-Partei, die Stimmung jenes Tages so:

„Jetzt, da ich ohne ideologische bzw. politische Dogmen die Welt überblicke, lehne ich das Wort Coup d’état für die Ereignisse dieses Tages ab. Am 19. August herrschte eine Wechselstimmung. Es grassierten Angst und Sorge über die Zukunft des Landes. Weder der Schah noch Mossadegh noch die Religiösen würden in der Lage sein, die Tudeh, mit Josef Stalin im Rücken, zu stoppen, so das herrschende Gefühl der Bevölkerung. Wir, die Tudeh-Funktionäre, lebten in unserer eigenen Welt, nahmen diese Ängste nicht ernst, wussten nichts von der traditionellen Verbundenheit der Armee und weiten Teilen der Menschen mit dem König.“

Dr. Mohammad Mossadegh (re.) wurde von einem Militärgericht zu drei Jahren Gefängnis und anschließendem Hausarrest verurteilt
Dr. Mohammad Mossadegh (re.) wurde von einem Militärgericht zu drei Jahren Gefängnis und anschließendem Hausarrest verurteilt

Um die Bedeutung dieser Beobachtung besser zu verstehen, muss man Amir Khosrawis Biographie kurz Revue passieren lassen. Bemerkenswert und lehrreich ist die Geschichte dieses heute fast 90-jährigen Mannes allemal. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs tritt er in die Tudeh-Partei ein. Er studiert in Teheran, dann an der Ostberliner Humboldt-Universität Maschinenbau, besucht später die Moskauer Akademie der Wissenschaften und bereist viele Länder der Welt. Der polyglotte Erzähler ist ein Vielschreiber. „Ich wundere mich, dass wir Iraner uns immer noch so viel mit dem Coup d’état beschäftigen“, sagt Khosrawi in seinem Pariser Exil.

Schuld ist immer die Außenwelt

Verwunderlich ist das deshalb, weil im selben Iran 1979 – ein Vierteljahrhundert nach jenem 19. August – eine Revolution stattfand, die nicht nur das Land selbst, sondern fast die gesamte Welt verändert hat.

Einer der Gründe oder wahrscheinlich sogar der wichtigste Grund, warum der 19. August 1953 im Geschichtsverständnis der Iraner einen solchen Stellenwert hat, liegt mit Sicherheit in der Rolle, die die Briten und US-Amerikaner bei den Ereignissen dieses Tages gespielt haben. Und wie immer trägt in den politischen Debatten die Außenwelt die Hauptverantwortung. So lässt sich das eigene Versagen besser verdrängen.

„Unabhängig davon, wie groß der Einfluss der Außenwelt an diesem Tag war, sollten wir nicht vergessen, dass die Ausländer – Russen, Briten und Amerikaner – nur mit unserer Hilfe getan haben, was getan wurde, was passiert ist. Die Verantwortung liegt zuallererst bei uns Iranern. Und wenn es einen Putsch gab, waren wir die eigentlichen Putschisten.“

Dies sagt kein geringerer als Shapur Bachtiar, ein enger Vertrauter Mossadeghs. Bachtiar war eine der wichtigsten Persönlichkeiten der „Nationalen Front“, hatte Gefängniserfahrung. In den letzten Monaten seiner Herrschaft ernannte ihn der Schah zum Ministerpräsidenten, seine Regierung dauerte nur 36 Tage. Im Pariser Exil tötete ihn 1991 ein Teheraner Mordkommando.♦

Um die Basisförderung des Iran Journal längerfristig zu sichern, benötigen Unterstützer:innen! Sie können entweder direkt (hier klicken) oder durch unsere Crowdfunding-Kampagne (hier klicken) Fördermitglied der Redaktion werden.

Zur Startseite