Der Putsch von 1953: Trauma, Trugbild und Kapital zugleich

Die Reise in die Katastrophe begann am 19. August 1953. Der Putsch gegen den ersten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Irans bereitete den Weg für alle späteren Miseren – Khomeinis Revolution und alles, was danach kam, eingeschlossen. Aber stimmt dieses Bild, an dem nicht nur iranische, sondern auch viele ausländische Autoren festhalten?

Von Ali Sadrzadeh

Geschichte sei eine Lüge, auf die man sich geeinigt hat. Dieses Bonmot, das Napoleon zugeschrieben wird, hat einige Wahrheiten in sich.

Gesucht wird ein persisches Wort

Ist es eine Lüge, auf die sich die Iraner geeinigt haben und für die sich offenbar kein persisches Wort finden lässt?

Nur der französische Terminus Coup d’état, persisch کودتا , kann annähernd jene Katastrophe umschreiben, die sich am 19. August 1953 ereignete. Niemand machte sich die Mühe, einen adäquaten Begriff aus der eigenen Muttersprache zu gebrauchen. Dabei gilt Persisch allgemein als Sprache der Poesie und der Bilder.

Alle, Gebildete ebenso wie Analphabeten, benutzen diesen fremden Begriff, um den Beginn des „Niedergangs“ zu umschreiben. Kein Wunder, dass Coup d’état zum meistverwendeten Schlüsselbegriff der politisch-gesellschaftlichen Texte der jüngsten Geschichte des Landes avancierte.

Die Vergangenheit vergeht nicht, darf nicht vergehen. Die Zeit hat anscheinend gar keinen Zahn, das Bild soll unbeweglich bleiben. Alle, sogar verfeindete politische Strömungen halten so sehr an diesem Bild fest, dass man unvermeidlich den Eindruck gewinnt, der 19. August müsse wie ein politisches Kapital in der allgemeinen Wahrnehmung bleiben, als der Tag einer schicksalhaften Katastrophe für alle Zeiten. Wenige trauen sich an ein Einebnen, Verflachen oder Neubetrachten des Tableaus. Nichts darf das Bild trüben.

Was ist an jenem schicksalhaften 19. August passiert?

Der junge König Mohammad Reza Pahlavi kann mit seinem alten Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh nicht zusammenarbeiten. Deshalb organisiert er mit undemokratischen Methoden und britisch-amerikanischer Hilfe die Entmachtung des „uneinsichtigen“ Premiers. Von etwa einer Million Dollar ist die Rede, die die CIA beigesteuert haben soll. Ein relativ unblutiger, ziemlich lautloser Putsch geht jedenfalls über die Bühne.

Mossadegh gilt als erster demokratisch gewählter Regierungschef Irans. Doch die Umstände dieser „Demokratie“ sind selbst eine lange, komplizierte und zugleich lehrreiche Geschichte.

Viele Menschen, die Mossadegh unterstützt hatten, wechselten während des Putsches auf das Lager seiner Gegner
Viele Menschen, die Dr. Mossadegh unterstützt hatten, wechselten während des Putsches zum Lager seiner Gegner

Der Premierminister wird nach seiner Entmachtung und drei Jahren Haft unter Hausarrest gestellt, in seinem großen, vornehmen Garten in Ahmad Abad, einem Vorort Teherans. Freunde und Verwandte dürfen ihn besuchen. Nach 31 Jahren stirbt er 85-jährig in dem Krankenhaus, in dem sein Sohn arbeitet. In kleinem Kreis wird er mit allen Ehren beerdigt.

Pathologisch, abnorm“

Zugegeben, das ist eine sehr kurze Zusammenfassung eines geschichtlichen Vorgangs, über den hunderte Wälzer, tausende Fach- und Zeitungsartikel und unzählige Doktorarbeiten sowie Habilitationen in fast allen Sprachen der Welt verfasst worden sind. Kein Fachmann, nirgendwo, kein Politiker oder Publizist, der sich über Iran äußert, kommt an diesem siebzig Jahre alten Vorgang vorbei, wenn er beschreiben will, warum es wurde, wie es ist.

Und fast alle, Iraner wie Ausländer, halten das Ereignis jenes Tages für den alles bestimmenden Markstein der jüngsten Geschichte Irans.

Stimmt diese Betrachtung? Oder bestimmt weiterhin der Kalte Krieg unsere geschichtliche Wahrnehmung? Abnorm, übermäßig, ja, pathologisch sei der Blick der Iraner auf diese Episode ihrer Geschichte, sagen viele Kritiker. Und das ist nicht ganz falsch.

Eine Geschichte voller Wendepunkte
Fortsetzung auf Seite 2