Plan zur Islamisierung der Geisteswissenschaften
Kurz nach der islamischen Revolution 1979 wurde im Iran eine Kulturrevolution eingeleitet. Unter anderem sollten die Universitäten und Lehrmaterialien islamisiert werden. Die Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen von 2009 haben die konservativen Machthaber in dieser Entscheidung gestärkt. Jetzt sollen die Geisteswissenschaften sogar in den Schulen islamischen Vorstellungen angepasst werden.
Das islamische Regime in Teheran verfolgt seit Jahren ein ehrgeiziges Ziel: Die Schulbildung soll verändert werden – und zwar gründlich. Dazu wurde im Herbst 2011 vom Obersten Rat der Kulturrevolution der sogenannte „Plan der grundlegenden Transformation der Schulbildung“ verabschiedet. Dem Rat, der die Islamisierung des iranischen Kulturwesens koordiniert, sitzt der Staatspräsident vor.
Der Transformationsplan wurde unter dem damaligen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad und auf Wunsch des obersten geistlichen Führers des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, verabschiedet. Chamenei hatte bereits im Mai 2006 die Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung der Schulbildung als eine der höchsten Prioritäten eingestuft. Ihren Initiatoren gilt sie als Meilenstein auf dem Weg zu einer islamischen Mustergesellschaft.
In den zwei Jahren nach der Verabschiedung des Plans geriet dieser jedoch aufgrund der politischen Streitigkeiten Präsident Ahmadinedschads mit den Ayatollahs zunächst in Vergessenheit. Nach den Präsidentschaftswahlen 2013 stand dann die wohl wichtigste außenpolitische Angelegenheit der vergangenen 13 Jahre, die Atomverhandlungen, ganz oben auf der Agenda.
Nach der Wiener Atomeinigung im Juli 2015 scheinen im Iran jedoch innenpolitische Angelegenheiten nach und nach wieder in den Fokus zu rücken. Anfang Dezember zitierten die Medien den Generaldirektor für Schulbildung der Provinz Teheran, Esfandiar Chaharband, mit einer Aussage, die zeigt, dass die Machthaber das alte Projekt wieder aufleben lassen wollen. Leistungskurse in Geisteswissenschaften würden ab dem nächsten Schuljahr nur noch auf den so genannten Kulturgymnasien angeboten, so Chaharband.
Ausbau der Kulturgymnasien
Der Wegweiser zur Umsetzung des oben beschriebenen Plans, der übrigens unter der Regierung Rouhani verfasst wurde, sieht unter anderem den Ausbau der auf Geisteswissenschaften spezialisierten Schulen, eben der Kulturgymnasien, vor.
Zu den Eigenschaften dieser Spezialschulen gehört unter anderem eine zielgerichtete Bildungsberatung. Die soll die top-talentierten SchülerInnen auf das spätere Studium vorbereiten. Kritiker sehen dies allerdings als gezieltes Ausschlussverfahren.
Ein weiteres Merkmal der Kulturgymnasien schlägt eine direkte Brücke zu einem anderen hochbrisanten Thema und lässt ein Teil des Puzzles zum Vorschein kommen: Das Unterrichtsmaterial für die Spezialoberschulen soll mithilfe der islamisch-theologischen Hochschulen überarbeitet werden: also Geisteswissenschaften mit islamischem Inhalt. Nach den Unruhen des Wahljahrs 2009 fällt die Phrase „Islamisierung der Geisteswissenschaften“ im politischen Jargon des konservativen Regimes wieder auf.
Soll die „grundlegende Transformation der Schulbildung“ also den Weg zur „Islamisierung der Geisteswissenschaften“ an den Hochschulen ebnen?
Katalysator der „zweiten Kulturrevolution“
Die „Islamisierung der Geisteswissenschaften“ ist Teil einer andauernden kulturpolitischen Kampagne, die so alt ist wie die islamische Regierung selbst. Seit der Revolution 1979 sind alle Bereiche des öffentlichen und Teile des privaten Lebens im Iran von der Islamisierung betroffen. Ausgangspunkt der sogenannten „Kulturrevolution“ (Enghelab e Farhangi), die kurz nach der politischen Revolution eingeleitet wurde, war in der Anfangsphase unter anderem die Entlassung Hunderter Universitätsprofessoren und die Zwangsexmatrikulation Tausender Studierender innerhalb von drei Jahren. Jeder, der unter dem Verdacht stand, politisch links oder westlich orientiert zu sein, wurde aus der Universität ausgeschlossen.
Auch nach den politischen Unruhen von 2009 wurde vielen Dozenten und Studierenden Regimeuntreue und Anstiftung zum Aufruhr vorgeworfen. Sie wurden massenhaft entlassen oder zwangsexmatrikuliert. Deshalb wird diese Zeit die „zweite Kulturrevolution“ genannt.
Die monatelangen Demonstrationen hatten eine weitere Nebenwirkung: Die Machthaber sahen die Wurzel des Aufruhrs in den demokratischen Werten, die ihren Weg vor allem über die geisteswissenschaftliche Hintertreppe in die Köpfe der Freiheitsuchenden gefunden hatten. Das aus der westlichen Geisteswissenschaft übernommene Lehrmaterial müsse also gegen islamische Inhalte ausgetauscht werden, so ihre Schlussfolgerung.
Nachdem die Aussagen des Generaldirektors der Teheraner Schulbildung eine heftige Diskussion ausgelöst hatten, gab das Bildungsministerium allerdings bekannt, dass die Leistungskurse der Fachrichtung Geisteswissenschaft weiterhin und ohne jegliche Einschränkung auf allen staatlichen Oberschulen angeboten würden. Das Ministerium sei laut dem „Plan der grundlegenden Transformation der Schulbildung“ jedoch verpflichtet, die für die Fachrichtung Geisteswissenschaft vorgesehenen Oberschulen auszubauen.
Ob nun die Leistungskurse ab dem nächsten Schuljahr auf allen staatlichen Oberschulen angeboten werden oder nur auf den Kulturgymnasien: Der vom Obersten Rat der Kulturrevolution verabschiedete Plan muss umgesetzt werden – auch, weil ihn ein breiter Flügel der ultrakonservativen Machthaber, allen voran Ayatollah Chamenei, unterstützt.
Ob der Plan das erwünschte Ziel erreichen wird, ist aber umstritten. Einige Kritiker, darunter der bekannte Politikwissenschaftler und Universitätsdozent Sadegh Zibakalam, sind der Meinung, dass eine auf islamischen Richtlinien basierende „einheimische Geisteswissenschaft“ sich nicht realisieren lasse: „Sonst hätten die Initiatoren das in all den Jahren nach der islamischen Revolution bereits erreichen können“, so Zibakalam im Januar 2014. Doch „nicht einmal ein Satz einheimische Wissenschaft konnte verfasst werden, geschweige denn ein Buch.“ Das Fazit des Politikwissenschaftlers: Die Islamisierung der Geisteswissenschaften beruhe weniger auf gesellschaftlich-kulturellen Entwicklungen des Iran: Sie sei „eher politisch motiviert“, so Zibakalam.
IMAN ASLANI