Mit stolzem Haupt und blankem Schädel
Außer- und innerhalb des Iran rasieren sich Frauen und Männer die Haare ab und präsentieren sich im Internet ihren MitbürgerInnen. Es handelt sich um eine der vielfältigen Protestaktionen gegen die Misshandlungen Inhaftierter im Evin-Gefängnis Mitte April.
Das Teheraner Evin-Gefängnis, wegen seiner intellektuellen Insassen auch „Universität Evin“ genannt, war am 17. April Schauplatz brutaler Gewalt, ausgeübt von Sicherheitskräften gegen mehr als dreißig Insassen. Unter ihnen war auch der Rechtsanwalt und Träger des Nürnberger Menschenrechtspreises Abdolfatah Soltani. Ihm wurden später zur Demütigung die Haare abrasiert – wie man es in der Antike bei Straftätern oder Sklaven als Zeichen für deren Unterwerfung tat.
Nachdem sich ein Foto Soltanis mit kahlem Haupt rasant im Netz verbreitete, erlebt die Tat, die als Demütigung vollzogen wurde, im Internet, aber auch auf Teherans Straßen einen wundersamen Bedeutungswandel: Immer mehr Menschen rasieren sich die Haare ab und stellen Fotos ihrer neuen Frisur ins Netz, unter anderem auf der Facebook-Seite Sarfaraaz – auf Deutsch: „Stolzen Hauptes“.
Gewaltfreier Widerstand gegen alte Denkweisen“
Es ist nicht das erste Mal, dass die iranische Internetgemeinde sich mit solchen Aktionen mit Gedemütigten solidarisiert. Doch die Männer, die sich etwa im April 2013 in Frauenkleidern auf Facebook präsentierten, um gegen ein Gerichtsurteil zu protestieren, sind nicht in Frauenkleidern auf die Straße gegangen – iranische Frauen, die sich in diesen Tagen im Iran die Haare abrasieren, hingegen schon.
Eine von ihnen nennt sich Saba Teheran. Sie weiß, dass das Internet viele Menschen im Iran nicht erreicht. Wie viele Iranerinnen trägt sie das obligatorische Kopftuch so, dass man ihre Frisur darunter erkennen kann. Wenn sie nun mit sichtbar rasiertem Kopf in ein Taxi steigt, nutzt sie die Schockreaktion des Fahrers, um mit ihm ins Gespräch zu kommen und ihm dabei zu erzählen, was sich im Evin-Gefängnis zugetragen hat.
Solidarität im Ausland
Mazdak Abdipour war einer der ersten, die sich die Haare abrasierten und Fotos davon auf Facebook platzierten. Der ehemalige Studentenführer aus der westiranischen Stadt Ilam lebt seit dreieinhalb Jahren in Deutschland. 2002 war er wegen eines Protestbriefs an das iranische Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei verhaftet worden. Man habe ihn geschlagen und gefoltert, dabei sei ihm ein Trommelfell geplatzt, berichtet Abdipour TFI. Auch ihm wurde damals der Kopf rasiert. Abdolfatah Soltani war sein Anwalt. Abdipour fühlte sich durch dessen Foto auf Facebook an seine eigenen traumatischen Erlebnisse erinnert. Sein Solidaritätsakt sei „das Mindeste, was ich im Ausland tun kann, um der iranischen Regierung zu zeigen, dass die Grüne Bewegung im Iran weiterhin mutig und kreativ auf Geschehnisse wie im Evin-Gefängnis reagiert“, so Abdipour.
Schock und Tabubruch!
Demütigungen wie das Abrasieren der Haare sieht der Oppositionelle als Armutszeugnis des Regimes. Die „aktuelle Kurzhaarfrisur“ stelle im Iran eine weitreichende Gegenstimme dar – ohne dabei ein Wort zu verlieren. „Der Schock“, sagt Abdipour, „ist für die Regierenden umso größer, weil nun Frauen mit ihrer öffentlich sichtbaren Haupthaarrasur nicht nur ein Tabu brechen, sondern zugleich das islamische Gebot für Frauen, ihre Haare nicht zu zeigen, ad absurdum führen.“
Und es sind nicht nur junge Frauen, die die Regierung auf diese Weise herausfordern, sondern auch Mütter jener, die an der Grünen Bewegung mitwirken. Für Mazdak Abdipour ist das ein Zeichen dafür, dass die Proteste verschiedene Generationen und Perspektiven zusammenführen.
YASMIN KHALIFA