Leben mit einem täglichen Einkommen von zwei Dollar – wie geht das?
Immer mehr Iraner*innen können sich Grundnahrungsmittel nicht leisten. 27 % leben von weniger als zwei Dollar am Tag, während die Preise steigen. Fleisch ist ein Luxus, Kartoffeln verschwinden vom Speiseplan. Wohltätigkeitsorganisationen streichen Bildungsausgaben, um das Nötigste zu finanzieren. Menschen aus verschiedenen iranischen Städten erzählen von den aktuellen Preisen und ihren Möglichkeiten zur Deckung ihres täglichen Bedarfs.
27 Prozent der Iraner*innen leben dem iranischen Amt für Statistik zufolge von einem täglichen Einkommen von nur zwei Dollar. Das bedeutet, dass fast ein Drittel der Bevölkerung grundlegendste Lebensbedürfnisse nicht mehr decken kann. Der Welthunger-Index (Global Hunger Index, GHI) zeigt, dass 6,5 Prozent der iranischen Bevölkerung unter Mangelernährung leiden. Iranische Bürger*innen berichten, dass mit dem sprunghaften Anstieg des US-Dollars auf über 80.000 Toman auch die Preise für lebensnotwendige Güter um ein Vielfaches gestiegen seien. Viele Menschen sehen sich daher gezwungen, wichtige Grundnahrungsmittel aus ihrem Warenkorb zu streichen.
Der Bericht des Amts für Statistik stammt von Mitte Januar, als der Wechselkurs des Dollars noch bei 79.500 Toman lag. Heute, am 6. Februar, bewegt sich der Kurs um die 85.000 Toman. Damit liegt das Einkommen jener 27 Prozent der Iraner*innen mittlerweile sogar bei unter zwei Dollar pro Tag.
Lebensmittel ohne Ersatz
Familien mit geringem Einkommen sind bei jedem Preisanstieg von Nahrungsmitteln gezwungen, auf günstigere Alternativen auszuweichen. Rotes Fleisch wird durch Hähnchenfleisch ersetzt, dieses dann durch Eier – und die weichen schließlich Hülsenfrüchten und Kartoffeln. Der Bericht des Statistikamtes zeigt, dass mehr als ein Drittel der Lebensmittel im Vergleich zum Januar 2024 von 40 bis 103 Prozent teurer geworden sind. Besonders stark betroffen sind Hülsenfrüchte und Obst.
Allerdings basiert der Bericht auf offiziellen Preisen. So wird der Kilopreis für Kartoffeln mit 32.000 Toman angegeben, während er auf dem freien Markt 36.000 Toman beträgt.
Menschen aus verschiedenen iranischen Städten haben von den aktuellen Preisen und ihren Möglichkeiten zur Deckung ihres täglichen Bedarfs erzählt. Mahya*, die im Osten Teherans lebt, hat sogar 60.000 Toman pro Kilo Kartoffeln bezahlt. Sie berichtet: „Nach dem Anstieg des Dollar-Kurses sind die Preise auf unglaubliche Weise gestiegen.“ Eine vierköpfige Familie müsse die Hälfte ihres Einkommens ausgeben, wenn sie sich ausschließlich von Eiersandwiches ernähren wollte. Mahya selbst hat alle Ausgaben für Pflege und Shopping gestrichen und macht sich bereits jetzt Sorgen um die kommenden Monate, da die Preise, wie sie fürchtet, weiter steigen werden, insbesondere im Vorfeld des iranischen Neujahrsfests (Nowruz) am 21. März und darüber hinaus.
Der iranische Präsident Masoud Pezeshkian räumte am Montag, den 3. Februar, die schwierige wirtschaftliche Lage ein und bezeichnete die Preissteigerungen als „inakzeptabel“. Jedoch lägen einige wirtschaftliche Probleme außerhalb der Kontrolle der Regierung. Trotzdem versprach er, dass die Regierung vor dem Neujahrsfest „gute Maßnahmen“ zur Sicherung der Grundversorgung ergreifen werde.
Kosten für Nahrung verdrängen Bildungsausgaben
Die Preise sind in Teheran im Allgemeinen höher als im Rest Irans, doch auch in anderen Städten ist der Druck auf einkommensschwache Haushalte enorm. Mansour*, der in Zahedan im Südosten Irans lebt, unterstützt dort mehrere arme Familien: „Jeden Monat haben wir ihnen finanzielle Hilfe für Bildung und Lebensmittel geleistet und zusätzlich Pakete mit Grundnahrungsmitteln bereitgestellt. Doch mit den steigenden Preisen wurde unser Hilfspaket immer kleiner, und mittlerweile können wir keine Bildungshilfen mehr zahlen.“ Die Lebensmittelpakete bestünden aus Nudeln, Sojafleisch, Tomatenmark und Öl – eine größere Vielfalt gebe es nicht, sagt Mansour.
Farnaz* ist in einer Wohltätigkeitsorganisation in Abadan für alleinstehende Frauen mit Kindern verantwortlich. Über deren Situation sagt sie: „Seit langem ist Bildung nicht mehr unsere Priorität bei der Unterstützung benachteiligter Familien. Unser Fokus liegt nun auf ihrer Ernährung. Viele Familien hatten bereits Hülsenfrüchte als Ersatz für andere Lebensmittel gewählt, aber die steigenden Preise haben selbst diese Möglichkeit zunichte gemacht.“ Nach ihren Angaben gibt es „Fälle, in denen Familien buchstäblich nichts zu essen haben“ – ein Satz, den sie mit Nachdruck betont.
Der Verzicht auf Fleisch und Eier als wichtige Proteinquellen hat dazu geführt, dass mindestens 6,5 Prozent der iranischen Bevölkerung unter Mangelernährung leiden. Die dem Reformer-Lager nahe stehende Teheraner Tageszeitung Etemad berichtete kürzlich, dass die tatsächliche Zahl vermutlich noch höher liege. Studien zeigten, „dass Anzeichen von Mangelernährung wie mäßiges Untergewicht bei 6 Prozent, leichtes Untergewicht bei 25 Prozent, schwere Wachstumsverzögerung bei 3 Prozent, mäßige Wachstumsverzögerung bei 8 Prozent, leichte Wachstumsverzögerung bei 21 Prozent, schwere Abmagerung bei 1 Prozent, mäßige Abmagerung bei 5 Prozent und leichte Abmagerung bei 20 Prozent der iranischen Bevölkerung festgestellt wurden.“
Laut dem Welthunger-Index 2024 leiden 5,3 Prozent der iranischen Kinder aufgrund chronischer Mangelernährung unter Wachstumsstörungen. Und die steigenden Preise – ebenso wie der Dollarkurs – setzen ihren Aufwärtstrend weiter fort.
Wenn selbst Kartoffeln vom Speiseplan verschwinden
Afshar* lebt in Khavaran, einem Viertel im Südosten Teherans, wo viele Waren etwas günstiger sind als im Stadtzentrum. Doch auch hier sind die Preise enorm gestiegen. „Ein Kilo Fleisch kostet 600.000 Toman, ein Kilo Hähnchen 90.000. Das kann ich mir nicht mehr leisten“, sagt er.
Mitte Januar bestätigte Ali-Asghar Maleki, der Vorsitzende der Vereinigung für Lammfleischhandel, dass die Fleischpreise parallel zum Anstieg des Dollar-Kurses gestiegen seien und der Markt dadurch fast zum Erliegen gekommen sei. Es scheint, dass der Verzicht auf Fleisch längst nicht mehr nur jene 27 Prozent betrifft, die mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen müssen. Vielmehr hat sich Fleisch zu einem Luxusgut entwickelt, das sich nur noch ein kleiner Teil der iranischen Gesellschaft leisten kann.
Ein Kollege von Afshar, ein Arbeiter mit einem Monatslohn von 10 Millionen Toman, lebt zur Miete. „Der größte Teil seines Einkommens geht für die Miete drauf. Er muss mit ein bis zwei Millionen Toman im Monat auskommen – und das nur mit Brot, Hülsenfrüchten und Kartoffeln. Aber seit einiger Zeit hat er selbst die Kartoffeln aus seinem Speiseplan gestrichen“, erzählt Afshar. Auch Afshar selbst hat längst begonnen, Fleisch durch Knochen und Hühnerfüße zu ersetzen. Ein Kilo davon kostet 30.000 Toman.
Parlamentschef: „Inakzeptable Bilanz“
Die Führung der Islamischen Republik ist sich des wachsenden wirtschaftlichen Drucks auf die iranischen Haushalte durchaus bewusst: Mohammad-Bagher Ghalibaf, der Vorsitzende des Islamischen Parlaments, Majlis, erklärte kürzlich in einer Sitzung mit dem Präsidenten und dem Chef der Justiz: „Die Menschen werden unter dem wirtschaftlichen Druck zermalmt, doch aus Respekt vor Islam und Religion beklagen sie sich nicht bei uns. Die Revolution sollte sowohl die spirituelle als auch die materielle Lage der Menschen verbessern – aber leider ist unsere Bilanz im wirtschaftlichen Bereich nicht akzeptabel.“
Ayatollah Ali Khamenei, der Oberste Führer der Islamischen Republik, sagte dagegen im Sommer 2023 vor Kommandeuren der Revolutionsgarden (IRGC), dass „wir trotz der steilen Steigungen große Teile des Weges zurückgelegt haben und uns nun den Gipfeln nähern.“ Doch laut dem iranischen Amt für Statistik ist das „nationale Pro-Kopf-Einkommen“ des Landes im Jahr 2023 um 20 Prozent im Vergleich zu vor zehn Jahren gesunken. Dieselben Daten belegen zudem, dass sich der Iran 2023 noch weiter in Richtung eines „armen Landes“ entwickelt hat – eine Realität, die sich nun in fast allen wirtschaftlichen Indikatoren widerspiegelt.
* Namen aus Sicherheitsgründen geändert
Foto: Eghtesad Online
Quelle: Radio Free Europe / Radio Farda