Kein Zivilschutz, keine Informationen
Krieg über den Dächern von Teheran, Angst und Unsicherheit im ganzen Land: Unsere Autorin berichtet aus dem Inneren des Iran nach Beginn der israelischen Angriffe. Die Hauptstadt hat sie aus Angst mittlerweile selbst verlassen müssen.
Von: Afra
Als am Morgen des Freitags, 13. Juni, mehrere ranghohe Kommandeure der Revolutionsgarden sowie Wissenschaftler mit Verbindungen zum iranischen Atomprogramm getötet wurden, glaubten viele Menschen im Iran noch, dass es sich lediglich um gezielte Angriffe gehandelt habe – nicht um den Beginn eines umfassenden Krieges.
Doch diese Hoffnung wurde jäh zerstört, nachdem weitere Explosionen am Abend desselben Tages die fragile Stille der iranischen Hauptstadt Teheran zerrissen. Der Krieg, so schien es, hatte erst begonnen – und zeigte nun ein noch brutaleres Gesicht. Aus verschiedenen Ecken und Vororten Teherans waren Detonationen zu hören, mal dumpf und fern, mal ohrenbetäubend nah. Bei jeder Explosion zitterten die Fensterscheiben, und die Herzen der Menschen schlugen schneller. Trotz der Warnungen, sich von Fenstern fernzuhalten, standen viele hinter den Glasscheiben und blickten in einen Himmel, der ihre Nacht in Trümmer legte. Über der Stadt tobten Gefechte zwischen iranischen Luftabwehrsystemen und angreifenden Raketen – ein Krieg, sichtbar am Himmel der Hauptstadt.
Obwohl israelische Stellen betonten, keine Zivilisten ins Visier zu nehmen, tauchten unter den Toten nun nicht nur ranghohe Militärs auf, sondern auch Menschen ohne jegliche Verbindung zum iranischen Regime. In vielen Fällen wurden die Wohnorte hochrangiger Funktionäre angegriffen – Häuser, die sich oft in dicht besiedelten Wohngebieten befanden, in unmittelbarer Nähe der Wohnorte von Zivilist*innen. Mit jeder neu veröffentlichten Todesmeldung wuchs die Angst in der Bevölkerung. Die Sorge wurde persönlicher: Was, wenn der Nachbar zu den Zielpersonen gehört – und die eigene Familie im Umkreis des Einschlagsgebietes lebt?
Ein bitterer Befund wurde zunehmend offensichtlich: Die Islamische Republik ist für den Schutz der Zivilbevölkerung gegen Raketen- und Luftangriffe praktisch nicht gerüstet. Nur einige wenige Luftabwehrsysteme, deren Alter und Zustand unklar sind, können vereinzelt Raketen abfangen. Strukturelle Vorbereitungen für den Kriegsfall in urbanen Räumen fehlen völlig: Es gibt keine funktionierenden Sirenen zur Frühwarnung und keine öffentlichen Schutzräume. Die Menschen können nichts tun außer sich von Fenstern fernhalten und hoffen, dass die nächste Explosion nicht ihr Zuhause trifft. Doch das Warten – begleitet vom Klang des Krieges – ist zerstörerisch. Jede Detonation erschöpft das kollektive Nervenkostüm. Niemand weiß, ob das nächste Ziel das eigene Haus oder das eines geliebten Menschen ist. Die Menschen sind auf sich allein gestellt – gezwungene Zeugen eines Krieges, der in ihre Wohnzimmer getragen wird.
Mit der Eskalation der israelischen Angriffe geriet die Lage schnell außer Kontrolle. Parallel dazu intensivierte die Islamische Republik ihre Vergeltungsschläge auf israelisches Territorium. Die Atmosphäre im Land, insbesondere in Teheran, war angespannter als je zuvor. Zwar galten die israelischen Angriffe vorrangig militärischen Stützpunkten sowie Industrieanlagen, strategisch gelegenen Siedlungen und nuklearen Einrichtungen in verschiedenen Provinzen – doch die hohe Konzentration führender Kommandeure und Sicherheitsfunktionäre in der Hauptstadt machte Teheran zu einem wiederkehrenden Ziel.
Die Angst erreichte bald ihren Höhepunkt. In der Folge setzte eine Welle panischer Fluchtbewegungen ein – zunächst in benachbarte Städte, dann in entferntere Provinzen. Die allmähliche Abwanderung aus der Hauptstadt führte zu Staus und chaotischen Zuständen an Busbahnhöfen und auf Ausfallstraßen. Teheran, das politische Herz des Landes, begann sich zu leeren – verlassen von Menschen, die überzeugt waren: Wer bleibt, gerät unweigerlich ins Fadenkreuz. Und doch gibt es auch jene, die blieben – aus Prinzip und trotz ihrer Angst. Für sie ist Teheran nicht bloß ein Wohnort, sondern Symbol für Leben und Identität. Außerdem: Mit der Ausweitung der Angriffe wurde zunehmend klar, dass es keine sicheren Orte mehr gibt – der Krieg hat das ganze Land erfasst.
Schon in den ersten Stunden nach Beginn der Angriffe wurde das Internet gestört. Wiederholte Ausfälle, extreme Verlangsamung und das Blockieren vieler Kommunikationskanäle erschweren seither den Kontakt der Bevölkerung mit der Außenwelt. Wenige Tage später kappte die Islamische Republik offiziell den Zugang zum globalen Netz für die breite Öffentlichkeit, womit das Internet zu einer Art Intranet geworden ist. Dies schnitt die Menschen nicht nur von unabhängigen internationalen Nachrichtenquellen ab, sondern schränkt auch private Kommunikation zwischen Familien, Freund*innen oder Helfer*innen massiv ein. Die Menschen versanken in einer kommunikativen Isolation, die die kollektive Angst verstärkt und unabhängige Erzählungen über das Kriegsgeschehen verstummen lässt.
Gleichzeitig versuchte die israelische Armee, in einzelnen Fällen Evakuierungshinweise zu veröffentlichen, etwa vor Angriffen auf militärische Einrichtungen in Wohngebieten. Diese Warnungen wurden in internationalen Medien und sozialen Netzwerken verbreitet – doch mit der Blockade des globalen Internets erreichten sie große Teile der iranischen Bevölkerung nicht mehr. Die staatlichen Medien, allen voran das Fernsehen der Islamischen Republik, spielen in der Krisenkommunikation praktisch keine Rolle. Weder wurde über die gezielten Angriffe berichtet, noch werden gefährdete Regionen genannt oder Warnungen veröffentlicht. Die Nachrichtensendungen erschöpfen sich in Siegesrhetorik, faktenfreien Erfolgsmeldungen über iranische Gegenschläge und der vollständigen Ausblendung der Realität.
Eine der symbolträchtigsten Attacken der ersten Kriegstage war der präzise Beschuss des Hauptgebäudes des staatlichen Nachrichtensenders. Das Gebäude wurde schwer beschädigt, mehrere Mitarbeitende kamen ums Leben oder wurden verletzt, einige gelten als vermisst. Der Angriff erschütterte nicht nur die Glaubwürdigkeit der Staatsmedien weiter, sondern machte deutlich: Auch Propagandainstitutionen sind nicht vor dem Feuer sicher.
Mit jedem Tag weitet sich der Krieg aus. Die Zahl der zivilen Todesopfer in beiden Ländern steigt unaufhörlich. In Iran werden weiterhin gezielt hohe Funktionäre angegriffen; die Liste der Toten wird täglich länger. Die Angriffe beschränken sich längst nicht mehr auf die Nacht. Auch tagsüber ist der Himmel über Iran unsicher. Auch Transporte militärischer Ausrüstung auf Fernstraßen sind zum Ziel geworden – mehrfach wurden zivile Fahrzeuge, die zufällig auch auf diesen Routen unterwegs waren, von Explosionen erfasst. Straßen, einst Fluchtwege, sind zu Frontlinien geworden.
Die wichtigste Infrastruktur des Landes ist schwer beschädigt. Zahlreiche Banken sind außer Betrieb, öffentliche Dienste funktionieren nur eingeschränkt, es bilden sich lange Schlangen für Grundnahrungsmittel und Medikamente. Die Menschen, zermürbt von ständiger Angst, Ungewissheit und unfreiwilliger Flucht, leben in einem Zustand totaler Orientierungslosigkeit. Niemand weiß, wie lange dieser Krieg andauern wird – weder gibt es ein Zeichen des Rückzugs aus Israel, noch von Seiten des iranischen Obersten Führers, der in seiner jüngsten Rede betonte, keine Angst vor einer Fortsetzung des Kriegs zu haben.
In Abwesenheit unabhängiger Medien und transparenter Informationen richtet sich die Aufmerksamkeit der iranischen Öffentlichkeit zunehmend auf die USA. Die drängende Frage, die unbeantwortet und doch allgegenwärtig ist: Was passiert, nachdem die USA in diesen Krieg eingreifen? Ein Land, das bereits zuvor mit massiven wirtschaftlichen Problemen, Wasserknappheit, Stromausfällen und Arbeitslosigkeit kämpfte, ist nun in einen Krieg gestürzt worden, den viele nicht für möglich gehalten hatten. Zerstörte Städte, beschädigte Infrastruktur, getötete oder verschwundene Regierungsbeamte – all das zeichnet das Bild des Landes. Und dabei ist es vor allem eines, das in diesen Tagen am heftigsten verbrennt: die Hoffnung der Menschen.
Foto: ISNA
Mehr zum Krieg zwischen dem Iran und Israel
Angriff auf Iran: Naht Armageddon? Warum die Attacke auf ein Krankenhaus?
Krieg ohne rote Linien: Wie nah der Nahe Osten am nuklearen Ernstfall ist
Khamenei gegen das eigene System – der Wendepunkt für die „Welt der Islamischen Republik“